Frau Germann, man sagt, die Coronakrise habe einen Digitalisierungsschub in Deutschland ausgelöst. Hat davon auch die Social-Media-Kommunikation von öffentlichen Verwaltungen profitiert?
Ja, Behörden nehmen Social Media endlich ernst. Verwaltungen, die vorher zehn Jahre lang behäbig gefragt haben, was ihnen „dieses Social Media“ bringen soll, können diese Frage durch Corona nun selbst beantworten: Es ist ein direkter Kanal zu den Bürgerinnen und Bürgern. Soziale Medien bieten die Chance, die Menschen direkt, schnell, unverfälscht und mit vergleichsweise geringen Mitteln zu erreichen. Mit dieser Erkenntnis sind Behörden seit März dieses Jahres geradezu über sich hinausgewachsen: Sie beantworten engagiert die zahlreichen auf Social Media eingehenden Kommentare und Direktnachrichten zu Corona, sie drehen Gebärdensprachenvideos und Erklär-Comics, sie widmen der Kommunikation über soziale Netzwerke mehr Zeit und geben auch mehr Budget aus.
Die Kölner Oberbürgermeisterin beispielsweise kooperierte mit reichweitenstarken Instagram-Accounts, um ihre Corona-Botschaften zu platzieren, und der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans probierte höchstselbst Tiktok aus, um in der Krise auch die Jüngsten zu erreichen.
Die Bürgerinnen und Bürger nehmen das Engagement dankend an: Behörden-Präsenzen in sozialen Netzwerken, die eine gute Corona-Krisenkommunikation machen, haben seit März deutlich an Followern und Reichweite gewonnen.
Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Viele Behörden haben zu Beginn der Krise richtigerweise auch abends und am Wochenende auf Kommentare geantwortet, nun aber schicken sie ihre Social-Media-Teams wieder fröhlich ins Wochenende – obwohl die Zahl der Infizierten, Fragen und Probleme derzeit wieder ansteigt. Behörden müssen in Krisenzeiten auch zu den Randzeiten über soziale Medien erreichbar sein. Für alles andere haben Bürgerinnen und Bürger, die gleichzeitig arbeiten und homeschoolen müssen oder wegen Kurzarbeit weniger verdienen, kein Verständnis. Es kostet Vertrauen.
Auch qualitativ bleiben derzeit viele Fragen aus der Bevölkerung ohne überzeugende Antwort. Nur zwei Beispiele: Wie soll man sich effektiv vor Corona schützen, wenn nahezu alles wieder erlaubt ist und Geschäfte, Bahnen, Restaurants, Flugzeuge und Innenstädte zu voll sind, um Abstand zu halten? Wie kann sich Personal in Kindergärten und Schulen schützen? Unvergessen auch, dass das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen seiner eigentlich herausragenden Social-Media-Arbeit anfangs kommunizierte, Masken würden keinen Schutz bieten. Noch heute lehnen einige das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ab, weil ihnen dieses Statement in Erinnerung geblieben ist.
Was empfehlen Sie den Behörden jetzt?
Jetzt gilt es, das Niveau zu halten, auf dem Erreichten aufzubauen und das Thema Social Media nachhaltig in jeder Behörde zu verankern. Soziale Medien sind für die Bürgerkommunikation von Behörden heute so wichtig und normal wie das Telefon und die E-Mail: Diese Einstellung muss für die Behördenspitze, aber auch für jede einzelne Verwaltungsfachkraft handlungsleitend sein. Dazu braucht es eine eigene, gute Social-Media-Strategie. Niemand will „Selbstdarstellungsinhalte“, klassische Terminberichterstattung oder Pressemitteilungen lesen, sondern engagierte öffentliche Stellen sehen, die Probleme lösen. Dazu braucht es Personal: Als Behörde sollten Sie jetzt Ihre Kommunikationseinheiten dauerhaft personell aufstocken oder alternativ gute Dienstleister einsetzen.
Christiane Germann erklärt in einem Workshop am 18. September auf dem Kommunikationskongress 2020, wie Behörden in sieben Schritten eine Social-Media-Strategie entwickeln. Weitere Informationen finden Sie unter www.kommunikationskongress.de.