Angst schüren vor Social Media

Risikokommunikation

Viele Menschen in Deutschland haben in diesem Jahr ein neues Wort gelernt: „Blackout“. Kontinuierlich weisen Medien und Behörden unter anderem über Social Media auf das Risiko eines längeren Stromausfalls hin. Sie erklären, welche Vorräte wir für den Fall des Falles benötigen: unter anderem haltbare Lebensmittel, Taschenlampen mit ausreichend Batterien und geladene Powerbanks.

Der offizielle Ausdruck für diese Art von Empfehlungen lautet „Risikokommunikation“. Der Krisenfall ist noch nicht eingetreten, aber er könnte eintreten. Die Bevölkerung soll dafür sensibilisiert werden. Sie soll wissen, wie sie sich im Zweifel selbst helfen kann. Insbesondere jüngere Menschen in Deutschland kennen echte Notlagen nur aus dem Fernsehen. Wie man sie am besten erreichen kann? Klar, über Social Media! Denn die Generation der 14- bis 29-Jährigen hat in der Regel kein Zeitungsabo mehr, ist dafür aber der ARD/ZDF-Onlinestudie zufolge 234 Minuten am Tag online.

Am Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Deutschlands wichtigster Fachbehörde für den Katastrophenschutz, scheint das Mediennutzungsverhalten der vergangenen 20 Jahre leider weitgehend vorbeigegangen zu sein. Ihr kürzlich veröffentlichtes 137 Seiten starkes Handbuch „Risikokommunikation – Ein Handbuch für die Praxis“ richtet sich an Behörden und Hilfsorganisationen. Es sollte diese eigentlich ermutigen und befähigen, soziale Medien richtig zu nutzen. Das BBK rät aber von Social Media als Kommunikationskanal eher ab. Die Behörde warnt regelrecht – und stützt ihre Argumentation dabei auf Vorurteile und Ängste aus der Mottenkiste.

Unter anderem heißt es auf Seite 90: „Der Einsatz von Social Media passt nicht immer zu dem Bild, das man von seiner Organisation in der Öffentlichkeit kreieren will.“ Richtig wäre: Social Media sind absoluter Standard. Welches Bild man dort abgibt, liegt an der Organisation selbst. Außerdem steht im Handbuch (S. 18): „Wenn eine Behörde einen Auftritt in einem sozialen Netzwerk hat, aktuell aber nicht über ausreichend Personal verfügt, um bei einem erhöhten Nutzeraufkommen die entsprechende Pflege zu gewährleisten, und dieser Zustand auch nicht zeitnah zu beheben ist, sollte dieser Kanal eher nicht für die geplante Risikokommunikation genutzt werden, auch wenn er für die Zielgruppe ein relevantes Medium ist.“ Eigentlich müsste dort stehen: Falls es bislang versäumt wurde, Social Media personell gut genug auszustatten, sollte dies entweder schleunigst nach-geholt oder vorübergehend eine Agentur beauftragt werden.

Fakt ist: Social Media gehören zu den wichtigsten Mitteln der Krisen- und Risikokommunikation öffentlicher Stellen. Die eigentlich eher konservative BBK-Mutterbehörde Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) schrieb zum Thema Krisenkommunikation bereits 2014, dass soziale Netzwerke „unverzichtbare“ Instrumente seien.

Das BBK scheint im Fax- und Broschüren-Zeitalter festzustecken. Als Instrumente der Risikokommunikation werden im erwähnten Handbuch zunächst auf vielen Seiten Publikationen (Broschüren, Flyer und Plakate) und „Tage der offenen Tür“ als Mittel der Wahl angepriesen. Wer weiterliest, findet irgendwann den Abschnitt „Internet, Social Media, Apps“ – und fühlt sich spätestens hier in die Zeit Anfang der 2000er Jahre zurückversetzt. Man liest Sätze wie: „Eine Möglichkeit, um die Informationen der eigenen Organisation im Internet verfügbar zu machen, ist das Anlegen einer eigenen Website.“ Das soll fortschrittlich sein?

Zeitgemäßer wird es leider nicht. Der Unterabschnitt zu Social Media ist überschrieben mit: „Social Media – ja oder nein?“ Richtig wäre: Social-Media-Kommunikation von Behörden ist im Jahr 2022 keine Frage des Obs, sondern ausschließlich des Wies! Hier wäre viel Platz gewesen für die Vorteile und Chancen von Risikokommunikation auf sozialen Plattformen: kostengünstig, schnell und effektiv. Das BBK aber hebt warnend den Zeigefinger. „Insbesondere das Potenzial für so genannte Shitstorms sollte berücksichtigt werden“, heißt es unter Verweis auf Literatur aus dem Jahr 2013. Richtig wäre: Sogenannte „Shitstorms“ kommen selten vor – und schaden auch nur dann, wenn man wirklich Mist gebaut hat.

Wer das BBK-Handbuch liest – beispielsweise als Bürgermeister*in oder Feuerwehr –, muss zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass Social Media ein Risiko sind. Das Buch soll wohlgemerkt Hilfestellung für echte Risiken wie Hochwasser, Stromausfall und Corona geben. Dieser Eindruck ist nicht nur komplett falsch, sondern auch fatal für Deutschland. Auf kommunaler Ebene werden die (personellen) Ressourcen für Behördenkommunikation oft knappgehalten. Wenn lokale Stellen nun von einer Bundesbehörde wie dem BBK gesagt bekommen, dass Social Media maximal eine Option und eigentlich Mist sind, werden sie verführt, das zu glauben. Die Folge: Der Staat kommuniziert an den Menschen vorbei. Das tut er leider bereits viel zu oft wie bei den langweiligen, dafür aber teuren Corona-Plakatkampagnen.

Was mich überrascht: Das BBK ist eigentlich eine Social-Media-Vorzeigebehörde. Auf Twitter, Instagram und Youtube betreibt sie exakt die Risikokommunikation, die sie anderen madig machen möchte. Warum also ausgerechnet das BBK Kommunikationsempfehlungen aus der Steinzeit veröffentlicht, während wir dringend gute und moderne staatliche Kommunikation brauchen, weiß wohl nur die Behörde selbst. Meine Anfrage beim Medienteam hierzu wurde leider nur ausweichend beantwortet.

Ich wünsche mir, dass der Leitfaden als Fehler erkannt und aus dem Netz genommen oder zeitnah aktualisiert wird. Das BBK sieht das leider anders: „Derzeit ist nicht vorgesehen, das Handbuch zu überarbeiten“, so die Antwort. Offenbar braucht es noch viele gedruckte Broschüren, bis deutsche Behörden in der kommunikativen Gegenwart ankommen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Nachhaltigkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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