Ein Prozent Antworten

Behördenkommunikation

Im Januar 2023 postete das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) bei Facebook folgendes Zitat seines Staatssekretärs Patrick Graichen: „Die Energiewende ist ein Garant dafür, dass wir die Versorgungssicherheit erhöhen. Denn je mehr wir in Wind, Solar, Netze, Batterien, Kraftwerke investieren, desto moderner wird auch das Stromsystem.“

Nun gehören Kacheln mit Politiker-Zitaten seit Jahren zu den Liebestöter-Inhalten auf Social Media. Dennoch erhielt das Ministerium auf den Beitrag 111 Kommentare. Die meisten waren themenbezogen, einige kritisch, aber fast keiner unfreundlich.

„Was Deutschland dringend braucht, ist eine sichere und stabile Versorgung zu Preisen, die sich Menschen auch leisten können, nicht nur Politiker und Oligarchen“, kommentierte ein Nutzer. „Jetzt Atomkraftwerke verlängern und reaktivieren … nur so können wir langfristig stabile bezahlbare und saubere Stromerzeugung garantieren … alles andere ist Augenwischerei“, lautete ein anderer Kommentar. „Dann solltet ihr schnellstmöglich die Strombörse abschaffen“, schrieb ein Bürger.

Die Kommentare lieferten eigentlich eine Steilvorlage für das Ministerium, um tiefer in die Materie einzusteigen. Es könnte erklären, einordnen oder falsche Aussagen richtigstellen. Und zwar nicht nur, um den Fragesteller*innen zu antworten – es ist nicht auszuschließen, dass auch Bots darunter sind –, sondern vor allem, um den Mitlesenden auf Facebook Orientierung zu geben. Energiepreise, Versorgungssicherheit und Klimaschutz gehören im Moment zu den wichtigsten und emotionalsten Themen. Fast jeder ist direkt betroffen.

Nur: Zwei Tage nach dem Post war auf keinen der 111 Kommentare eine Reaktion erfolgt. Natürlich kennt das Ministerium die Antworten. Es könnte auch Verständnis für geäußerte Sorgen und Zweifel zeigen. Robert Habecks Social-Media-Team reagiert im Durchschnitt lediglich auf etwa ein Prozent der Facebook-Kommentare. Das ist viel zu wenig.

Grundsätzlich sollte eine öffentliche Stelle auf jeden Kommentar reagieren. Ausnahme: Trollkommentare. Falls das mal nicht möglich ist, weil beispielsweise auf einen einzigen Beitrag mehrere hundert Kommentare eingehen, sollte das Social-Media-Team zumindest auf eine Quote von 50 Prozent beantwortete Fragen kommen. Dann kann die Community erkennen, dass eine Behörde sie ernst nimmt.

Vizekanzler Habeck erhält viel Lob für seine authentischen Erklärvideos. Und auch der restliche BMWK-Content auf Facebook ist gut gemacht. Doch das Ministerium vergisst, dass gutes Community Management der wichtigste Job als Social-Media-Behörde ist.

Keine einzige Antwort

Bei anderen Bundesministerien ist die Aktivität ähnlich niedrig. Bundesverkehrsminister Volker Wissing erklärte im Oktober 2022 in einem Instagram-Reel, warum das Laden von E-Autos mit einer besseren Ladeinfrastruktur künftig „so einfach wie Tanken“ werde. Es kamen konstruktive Fragen: „Ist auch geplant, das Zahlen dann zu vereinfachen?“ Und sogar Lob. Doch das Ministerium reagierte auf keinen einzigen Kommentar.

Scrollt man sich durch die restlichen Instagram-Posts des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV), stellt man fest, dass die Antwortquote ähnlich schlecht ist wie im Habeck-Ministerium. Das ist fatal, denn das BMDV hat auf Instagram mehr als 41.000 Follower*innen, von denen sich ein großer Teil mit den Themen auskennt und inhaltlich konstruktiv nachfragt. Hier läge ein erhebliches Potenzial für das Ministerium, mit der interessierten Öffentlichkeit in Kontakt zu treten. Doch der Wert wird nicht erkannt. Die Community wird sich selbst überlassen. Die Quittung folgte Heiligabend: Am 24. Dezember wünschte das BMDV per Instagram-Reel „Frohe Weihnachten“. Niemand antwortete. Warum auch? Es reagiert ja sowieso niemand.

Besser aufgestellt ist das Social-Media-Team des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das Haus gab im Januar 2023 auf Facebook bekannt, dass Deutschland im Zuge einer Forschungspartnerschaft mit Australien ab 2030 Wasserstoff aus „Down Under“ geliefert bekommt.

Unter dem Foto von Ministerin Bettina Stark-Watzinger und dem australischen Energieminister wurden viele kritische Nachfragen gepostet. Beispiel: „Und wie kommt es nach Deutschland? Sicherlich mit Schiffen, die dann um die Welt fahren mit Diesel betrieben. Tolle grüne Energie!“

Das Social-Media-Team des Ministeriums parierte: „Sehr geehrter Herr W., Ihr kritischer Einwand ist berechtigt! Natürlich ist der Transport mit Tankern mit Antriebstechnologie, die fossile Energieträger nutzt, noch nicht optimal. Es ist aber in Zukunft davon auszugehen, dass z.B. vermehrt Methanol- oder Ammoniak-Antriebe genutzt werden. Darüber hinaus gibt es weitere klimafreundliche Optionen (z.B. Wasserstoff über Brennstoffzellen). Im Vergleich zu den heutigen Schiffen, die fossil betrieben werden und z.B. Kohle aus Australien verschiffen, dürften die CO-Emissionen des grünen Wasserstoffs daher in Zukunft gering sein. (…) Viele Grüße aus dem Social-Media-Team des BMBF.“

Insgesamt wurde etwa ein Viertel der Kommentare unter diesem Post beantwortet – freundlich, ausführlich, individuell und kompetent. Hier nimmt man sich offenkundig mehr Zeit für die Bürger*innen.

Vorzeige-Beispiele gibt es auch auf kommunaler Ebene. Eines ist die Stadt Mainz. Auf Twitter fragte die Mutter eines Schulkindes im September 2022, warum von zwölf für das neue Schuljahr bestellten Büchern bislang nur zwei angekommen seien. Die Stadt antwortete: „Hallo, leider gibt es bei den Anlieferungen von Schulbüchern dieses Jahr große Probleme. Hintergrund ist, dass einige Bundesländer (auch RLP) spät Ferien hatten. Die großen Schulbuchauslieferer haben jetzt noch Lieferzeiten von mehreren Wochen. Wir haben entschieden, dass wir das packen, was da ist & ausliefern. (…).“ So unkompliziert, persönlich und nahbar wünsche ich mir alle Behördenantworten auf Social Media.

Betrachtet man alle Bundes- und Landesministerien sowie Kommunen, ergibt sich folgendes Bild: Die Behörden stecken weitaus mehr Zeit und Geld in die Erstellung von Content als in die mindestens genauso wichtigen Kommentarspalten. Das Community Management, also die bewusste und gewollte Interaktion mit den Followern, muss aber genauso viel Zeit in Anspruch nehmen wie die Content-Erstellung.

Als Begründung für die Ein-Prozent-Kommunikation höre ich oft: „Wir machen Social Media nur nebenbei und schaffen es nicht, Kommentare zu beantworten.“ Oder noch schlimmer: „Bei uns wurde entschieden, dass wir die Kommentare nicht beantworten dürfen.“ Einige Behörden, die wenige oder keine Kommentare bekommen, freuen sich sogar über die geringe Zahl, obwohl sie diese eigentlich als Alarmsignal und Beleg für Desinteresse begreifen sollten.

Behörden verpassen eine große Chance. In Kommentarspalten könnten sie gut erklären und argumentieren. Antworten werden gerne gelesen. Das hat die aktuelle ARD/ZDF-Onlinestudie 2022 ergeben. Es ist auch meine Erfahrung. Kommentare sind, wie jeder Social-Media-Experte weiß, ein Reichweiten-Booster. Ein guter Kommentar kann viele Menschen erreichen – und macht dabei weniger Arbeit als ein ganzer Beitrag. Wer keine Kommentare bekommt, weil die Community sich bereits enttäuscht vom Acker gemacht hat, sollte zunächst in Facebook-Gruppen und auf beliebten Profilen und Seiten mitkommentieren – auch als Behörde.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Live und Events. Das Heft können Sie hier bestellen.

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