Intransparenter Wohlfühltalk mit Verlängerung

Zervakis und Scholz

Auf der Republica 2022 führte die TV-Moderatorin Linda Zervakis mit Olaf Scholz einen etwa 20-minütigen Bühnentalk. Der Bundeskanzler war selbst für die von Politikerinnen und Politikern gerne besuchte Berliner Digitalkonferenz ein außergewöhnlicher Gast. Die ehemalige „Tagesschau“-Sprecherin Zervakis ist inzwischen für ProSieben tätig. Sie hatte den SPD-Kanzlerkandidaten Scholz bereits im Wahlkampf 2021 interviewt. Die Konstellation auf der Bühne wirkte von daher nicht ungewöhnlich.

Die „taz“ hat vor kurzem berichtet, dass die 47-Jährige nicht von der Republica engagiert worden war, sondern direkt vom Bundeskanzleramt. Scholz brachte praktisch seine eigene Interviewerin mit. Für Zervakis ist das ein Problem. Nach aktuellem Stand hat sie zwar kein Honorar erhalten, aber immerhin eine „Kostenpauschale“ von 1.130,50 Euro brutto. Hiermit sollen alle Kosten abgedeckt worden sein, die Zervakis und ihrem Team im Zusammenhang mit der Moderation entstanden sind; eine Art Aufwandsentschädigung. Was das für Kosten sind, wollte die Moderatorin bisher nicht verraten. Ein Sprecher des Bundespresseamtes teilt mit, eine Aufschlüsselung liege dort nicht vor.

Der Betrag in Höhe von 1.130,50 Euro wäre als Honorar für ein so bekanntes TV-Gesicht wie Zervakis sehr niedrig. Die Summe ist wiederum für einen eintägigen Berlin-Trip zu hoch, als dass man über sie einfach hinwegsehen könnte. Hinzu kommt die Frage nach der Unabhängigkeit der Moderatorin. Im Auftrag des Kanzleramts Olaf Scholz interviewen, dafür Geld bekommen und kein Wort über die Beauftragung verlieren, sieht nicht gut aus, wenn man als Moderatorin mit journalistischem Anspruch wahrgenommen werden will.

Zervakis entschied sich gegen Transparenz; dafür für einen Anwalt, der es der „taz“ nach Darstellung des Mediums zu untersagen versuchte, „auch nur den Verdacht zu äußern, dass Zervakis für die Moderation auf der Republica eine Bezahlung erhalten haben könnte, die als Teil einer großzügigen Kostenpauschale getarnt wurde“. Das Ganze sei vor Gericht gegangen, so die Tageszeitung. Zervakis habe dann ihren Antrag auf eine einstweilige Verfügung wieder zurückgezogen – offenbar aufgrund nicht vorhandener Erfolgsaussichten. Gegen kritischen Journalismus vorgehen, wenn man selbst als kritisch gelten will, ist dem eigenen Image selten förderlich. Kein kluger Schritt also.

1.130,50 Euro brutto

Ihre Schweigsamkeit öffnet nun zusätzlich die Tür für Spekulationen, was ihr für Kosten in Höhe von 1.130,50 Euro brutto entstanden sein könnten. Essen in Restaurants, Taxifahrten, Frisör, Styling, ein Hotelzimmer zur Vorbereitung, vielleicht noch ein Outfit, das sie speziell für diesen Anlass anschaffte? Für eine bekannte Persönlichkeit, die TV-Standards gewohnt ist, wäre all das denkbar. Großzügig zu sich selbst gewesen zu sein, wäre für Zervakis jedenfalls immer noch besser, als wenn man ihr ein Honorar vom Kanzleramt nachweisen könnte.

Die „taz“ musste vor ein Verwaltungsgericht ziehen, um von der Behörde Auskunft über die Kostenpauschale zu erhalten. Viel Aufwand für 1.130,50 Euro. Irrationalität im Scholz-Team setzte allerdings schon früher ein. Was genau das Bundeskanzleramt dazu bewogen hat, mit Zervakis eine prominente Moderatorin anzusprechen, um einen harmlosen Talk zu Digitalisierungsthemen zu führen, ist unklar.

Hatten Scholz und sein Team wirklich so große Angst davor, auf der Republica mit kritischen Fragen „gegrillt“ zu werden? Auf einer Veranstaltung, die froh war, den Bundeskanzler zu Gast zu haben und ihn sicher nicht verprellen wollte? Dass Deutschland bei der Digitalisierung hinterherhinkt, ist kein Geheimnis. Dass die SPD in den vergangenen 25 Jahren oft mitregiert hat, weiß jeder. Warum sollte genau dieser Auftritt es rechtfertigen, eine eigene Interviewerin mitzubringen, während Scholz zig andere Medientermine routiniert abspult?

Offenbar ging das Scholz-Team davon aus, durch die eigene Beauftragung Einfluss auf die Fragen der Moderatorin nehmen zu können – oder man war sich sicher, dass Zervakis sowieso freundlich fragt. In jedem Fall wollte der Kanzler offensichtlich auf der Republica einen Wohlfühltalk führen.

Zurück zu den Kosten. Die „taz“ hatte berichtet, dass Zervakis aus München zur Republica angereist war und am selben Tag von Berlin in die bayerische Landeshauptstadt zurückfuhr. ProSieben-Sprecher Christoph Körfer hat das KOM bestätigt. Er legt aber Wert darauf, dass der Sender mit dem Republica-Auftritt nichts zu tun hatte. Die ICE-Fahrten von Zervakis zwischen Berlin und München hätte man nicht wegen der Republica bezahlt, sondern weil die Moderatorin andere Termine für ProSieben wahrzunehmen hatte. Das Bundeskanzleramt musste die Reisekosten jedenfalls nicht tragen.

Nach allem, was bisher bekannt ist, hat Zervakis an dem Auftrag nichts verdient. Dafür ist der Ärger ganz schön groß. „Das hier liest sich wie ein Lehrstück, wie man aus einer kleinen unangenehmen Sache eine maximal große superpeinliche Sache machen kann”, twitterte Medienjournalist Stefan Niggemeier. Inzwischen berichten fast alle reichweitenstarken Medien über die Angelegenheit. Es geht um Steuergeld.

Dabei hätte es für die Moderatorin einen Weg gegeben, Scholz zu interviewen, ohne in einen Interessenkonflikt zu geraten. Sie hätte dafür lediglich von der Republica selbst engagiert werden müssen. Ein Honorar wäre unproblematisch gewesen, weil das Geld vom Veranstalter und nicht vom Kanzleramt gekommen wäre. Bei einer Beauftragung durch die Bundesregierung hätte sie bei den zu erstattenden Ausgaben besonders sensibel vorgehen müssen. Weniger wäre hier mehr gewesen. Je länger sie ihre Strategie der Intransparenz nun fortführt, desto größer dürften die Zweifel daran werden, dass alle Kosten zu erklären sind,

Unabhängig davon hätte Zervakis dem Publikum vor dem Talk mit Scholz mitteilen müssen, dass sie im Auftrag des Kanzleramts dort ist und kein journalistisch unabhängiges Interview stattfindet. Stattdessen plauderte Zervakis noch im Herbst in einem T-Online-Podcast über die Veranstaltung – so als ob alles normal gelaufen wäre. Das ist es definitiv nicht.

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