Lauterbach wegen Kampagnenvergabe unter Druck

„Ich schütze mich“

Um die Auftragsvergabe der Corona-Kampagne „Ich schütze mich“ an die Agentur BrinkertLück Creatives war es lange ruhig. Etwa ein Jahr passierte so gut wie nichts. Die Geschichte schien auserzählt. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte Abgeordneten des Bundestags und Medien diverse unglaubwürdige und widersprüchliche Erklärungen aufgetischt, wie der Auftrag zustande kam. Außer in der „Welt“ und in einem Artikel in „Bild“ gab es in Leitmedien kaum Berichterstattung zu dem Thema. Oppositionspolitiker forderten lediglich halbherzig Aufklärung. Dem Ministerium war es gelungen, die Ungereimtheiten bei der Vergabe von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fernzuhalten. Der Dauertalkshowgast wurde in Interviews auch nicht gefragt, wie das mit der Kampagnenvergabe denn gelaufen sei – ein erstaunlich unkritischer medialer Umgang mit einem Thema mit Skandalpotenzial.

Die Angelegenheit könnte für Lauterbach jetzt doch noch ungemütlich werden. Der Linken-Abgeordnete Sören Pellmann hat Strafanzeige gegen den Minister gestellt. Pellmanns Begründung: „Es liegt der Verdacht nahe, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach den Steuerzahler geschädigt hat, indem er den Auftrag für diese Kampagne den durch das Vergaberecht geschützten freien Wettbewerb entzogen hat und der Auftrag viel zu teuer vergeben wurde. Mutmaßlich hat er sich somit der Untreue strafbar gemacht.” Auch der Vorwurf der Korruption stehe im Raum, weil das SPD-geführte Bundesgesundheitsministerium „den Auftrag ausgerechnet an die SPD-Werbeagentur“ BrinkertLück vergeben habe.

Pellmann fühlte sich zu seiner Anzeige durch einen Bericht des Bundesrechnungshofs vom 25. März motiviert. Das Finanzkontrollorgan hatte für den Haushaltsausschuss die Kampagnenvergabe überprüft.

Das Ergebnis bestätigt, was Oppositionspolitiker und einzelne Journalisten bereits vor einem Jahr vermuteten: Die Kampagnen-Vergabe war rechtswidrig. Wörtlich heißt es in dem Prüfbericht: „Der Bundesrechnungshof kommt nach Auswertung der zur Verfügung gestellten Unterlagen zu dem Ergebnis, dass die Agentur ÖA (Anmerkung: Scholz & Friends) der Kampagnenagentur (Anmerkung: BrinkertLück) keinen Unterauftrag für die Impfkampagne erteilt hat. Vielmehr deuten alle nachprüfbaren Umstände und Fakten darauf hin, dass das BMG selbst die Kampagnenagentur mit der Durchführung der Impfkampagne verpflichtete. Hierbei verstieß es aus Sicht des Bundesrechnungshofes gegen das Vergaberecht und schloss den Wettbewerb unzulässig aus.“

Scholz & Friends war zum Zeitpunkt der Vergabe Rahmenvertragspartner des Ministeriums. BrinkertLück hatte keinen Vertrag mit dem BMG. Die SPD-Werber hätten bei der im Raum stehenden Etatgröße ohne neue Ausschreibung nur von Scholz & Friends und nicht direkt vom Ministerium beauftragt werden dürfen.

Plötzlich alles geheim

Der Bundesrechnungshof bemängelte zudem, dass „das BMG einen Großteil der vergaberechtlich relevanten Unterlagen als Verschlusssache (VS) des Geheimhaltungsgrads VS-VERTRAULICH“ eingestuft hat. Die Öffentlichkeit und die Abgeordneten des Bundestags sollen offenkundig nicht erfahren, wie die Vergabe gelaufen ist, was insofern stringent ist, weil das BMG auch bei anderer Gelegenheit wie der Maskenbeschaffung begrenzten Ehrgeiz erkennen lässt, Transparenz herzustellen.

Der Bundesrechnungshof urteilte, „dass für eine Unterbeauftragung der Kampagnenagentur durch die Agentur ÖA keinerlei Anhaltspunkte bestehen“. Offenbar konnte das Ministerium keine schriftlichen Belege wie E-Mails oder Vermerke präsentieren, aus denen hervorgeht, dass Scholz & Friends die Agentur BrinkertLück via Unterauftrag bei der Corona-Kampagne ins Boot holen wollte.

Gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“ erzählte ein Ministeriumssprecher dann wieder die bekannte Geschichte, die Unterbeauftragung sei „mündlich“ erfolgt. In einem Hochbürokratieland wie Deutschland sollen sich Agenturchefs und Ministeriumsangestellte über die Vergabe eines Auftrags knapp unter der Millionengrenze tief in die Augen geschaut und per Handschlag geeinigt haben?

Es wäre sowieso nicht entscheidend: Der Vertrag sah die Schriftform vor. Die Aussage des Ministeriums widerspricht der von Scholz & Friends. Die Agentur sagt, in keiner Form einem Unterauftrag an BrinkertLück zugestimmt zu haben. Auch nicht mündlich.

Der BMG-Verweis auf eine mündliche Absprache dürfte dazu dienen, den Schein aufrechtzuerhalten, die Kampagnenvergabe könnte doch korrekt erfolgt sein. Es ist eine Schutzbehauptung. Man will Zeit gewinnen. Dem Ministerium dürfte es darum gehen, vom Vorwurf wegzukommen, mit Vorsatz gehandelt zu haben. Man plädiert auf Fahrlässigkeit. Alles soll wie ein dummer Formfehler aussehen.

Gegenüber dem Bundesrechnungshof erklärte das Gesundheitsministerium denn auch bürokratisch verklausuliert, es sei „allein zu einer Fehleinschätzung bei Ermittlung der Tatsachengrundlagen gekommen, nicht bei der Anwendung des Vergaberechts“. Ein materieller Schaden sei nicht entstanden. Bitte mal locker machen.

Politisch dürfte dem Ministerium vor allem daran gelegen sein, den Vorwurf zu entkräften, als SPD-geführtes Haus den Auftrag ausgerechnet an eine SPD-Wahlkampfagentur vergeben zu haben. Für den anstehenden Bundestagswahlkampf liefert das der politischen Konkurrenz eine Steilvorlage. Vetternwirtschaft und Klügel klingen nicht schön. BrinkertLück wäre als Kampagnenagentur eine Belastung – auch für Bundeskanzler Olaf Scholz. Mindestens bis zum Wahltag muss das Thema aus SPD-Sicht klein bleiben.

Wie lief die Vergabe?

Der Bericht des Bundesrechnungshofs enthält weitere interessante Details über die Kampagnenvergabe.

BrinkertLück sei am 19. März 2022 per E-Mail auf das BMG zugegangen und habe Ideen für eine Impfkampagne vorgestellt. Agenturchef Raphael Brinkert hatte sich vorher öffentlich zu den Impfkampagnen der Bundesregierung geäußert und suggeriert, dass er es besser könne. Dem Bundesrechnungshof zufolge gab es zwischen Agentur und Lauterbach im Vorfeld der E-Mail Kontakt. Der erfolgreiche SPD-Bundestagswahlkampf war als Türöffner für Brinkert sicher nicht schädlich.

Anschließend erfolgten mehrere Gespräche über die Details der Kampagne. Anfangs war Scholz & Friends beteiligt; irgendwann nicht mehr. Am 2. August habe das Ministerium dann BrinkertLück signalisiert, dass Interesse an einer Zusammenarbeit bestände. Am 16. September forderte das Ministerium BrinkertLück auf, seine Tagessätze auf das Niveau des Rahmenvertrages zu senken. Am 18. September lieferte die Agentur ein überarbeitetes Angebot ab.

Parallel fand eine BMG-Ausschreibung über einen Folgeauftrag statt, für den Scholz & Friends und BrinkertLück gemeinsam ein Angebot einreichten, den Zuschlag allerdings nicht erhielten. Den bekam IFOK. Über diesen Vertrag läuft die aktuelle Cannabis-Kampagne.

Der Bundesrechnungshof stellt in seinem Bericht Vermutungen an, warum Scholz & Friends trotz eines bestehenden Vertrags mit dem Ministerium nicht darauf bestand, selbst die Corona-Kampagne umzusetzen. Dass eine solche geplant war, hätte der Agentur seit dem 25. Juli klar sein müssen, als ein Abstimmungsgespräch zwischen dem Fachreferat, BrinkertLück und Scholz & Friends stattfand. Die beiden Agenturen pitchten wie erwähnt gemeinsam um einen Folgeauftrag des Ministeriums. Das bedingt zwangsläufig Austausch. Wieso man sich bei „Ich schütze mich“ nicht auf eine Unterbeauftragung Brinkerts durch Scholz & Friends verständigen konnte oder wollte, ist unklar.

Weshalb Scholz & Friends intern das Vergabeproblem nicht selbst auf die Agenda brachte, erklärt der Bundesrechnungshof folgendermaßen. „Den äußeren Umständen nach nahm die Agentur ÖA das Vorgehen des BMG hin. Dazu könnte beigetragen haben, dass die Agentur ÖA zu diesem Zeitpunkt auf einen Zuschlag für den Folgeauftrag der Kommunikationsdienstleistungen hoffte.“ Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Der Folgeauftrag mit Starttermin 1. November 2022 landete beim Wettbewerber IFOK.

Am 31. Oktober 2022 berichtete „Bild“ unter der Überschrift „Lukrativer Auftrag für SPD-Werbeagentur. Lauterbach unter Klüngel-Verdacht“ erstmals über das Vergabedrama. Wie gelangten die Informationen an die Redaktion? Informationen über Ausschreibungen werden gerne von denjenigen an Medien durchgestochen, die nicht zum Zuge kamen. So könnte es auch hier gewesen sein. Ein Randaspekt.

Die Union hat nun eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses beantragt. Die Vergabe des Auftrags für die Kampagne mag rechtswidrig gewesen sein. Wie ein Ministerium versucht, die Öffentlichkeit mit absurden Erklärungen und Intransparenz abzuspeisen, ist längst ein Skandal für sich.

Weitere Artikel