Das Ende der Symbolpolitik

Politische Kommunikation

Die Routine des gut Gemeinten griff schnell. Gerade ein paar Tage waren seit Russlands Angriff auf die Ukraine vergangen, da funktionierte der Hamburger Verkehrsverbund die Anzeigen seiner Busse zu einem Deklarationsportal für politische Gemeinplätze um. “Stoppt den Krieg” hieß es an niemanden speziell gerichtet auf Hamburgs Straßen. Die Twittergemeinde spendierte Daumen-Hochs.

Ähnliche Symbolhandlungen produziert Russlands Krieg gegen die Ukraine seit Wochen zuhauf. Deutschland funktioniert im Symbolmodus noch effizient. Insbesondere Unternehmen sind inzwischen gut darin, ihre Kanäle zu nutzen, um „Zeichen“ zu setzen. Doch irgendwie hob der große Ukraine-Solidaritätsdiskurs nicht ab. Vielmehr machte sich schnell das unangenehme Gefühl breit, dass unsere Deklarationen in der Ukraine niemanden wirklich beeindrucken. Und dass der wichtigste Beitrag unseres Landes auch nicht darin bestehen wird, Flüchtlinge menschenwürdig aufzunehmen. Dass also das Schicksal der Ukraine nicht “bei uns” entschieden wird, sondern – so hart es klingt – auf dem Schlachtfeld. Der immer evidenter werdende Gasmangel macht den Eindruck der womöglich falsch gesetzten Prioritäten noch einmal evidenter.

Was wir momentan erleben, ist nichts weniger als das Ende der postmodernen Symbolpolitik. Diese verfängt nicht mehr, weil sie zu selten flankiert wird von realer, substanzieller politischer Aktivität. Schmerzlich führte uns das in den ersten Kriegsmonaten der inzwischen abberufene ukrainische Botschafter vor Augen, indem er uns via Talkshow und Twitter mit unserer politischen Zaghaftigkeit konfrontierte. Die Irritationen in Berlin darüber, dass sich Melnyk nicht auf gepflegte diplomatische Nichtssagerei beschränkte, waren beträchtlich. Die Erleichterung über seine Rückkehr nach Kiew wirkt dafür umso größer. Vor allem die SPD tut sich schwer damit, die über Jahrzehnte geübte außenpolitische “Beide Seiten müssen …”-Floskelei zu ersetzen. Die zunehmend offensichtliche Notwendigkeit, sich klar zu einer Seite zu bekennen, ist im konfliktscheuen Regierungsberlin immer noch ungewohnt.

“Welcome to the Desert of the Real” schrieb der Philosoph Slavoj Žižek vor 20 Jahren, nach 9-11. Doch zumindest in Deutschland kam man danach gar nicht in dieser neuen Realität an. Vielmehr entdeckte ein ganzes Land die Wohlfühlzone politischer Symbolik für sich. Demonstrations- und Solidaritätsrituale für Benachteiligte in aller Welt wurden eingeübt. Menschen und Institutionen lernten, sich zu allen großen politischen Themen irgendwie zu verhalten, ohne sich festzulegen oder zu handeln. Gerade große Unternehmen und ihre sozialwissenschaftlich geschulten PR-Manager wurden immer besser darin, den jeweils neuen politdiskursiven Trend schnell zu sehen und auf ihn aufzuspringen. Black Lives Matter? Schnell das Insta-Profil schwärzen. Besser als nichts. Substanzielle Beiträge blieben Mangelware.

Jetzt kosten Dinge plötzlich etwas. Die neue kommunikative wie handlungspolitische Realität ist dabei nicht nur unbequem. Sie ist auch widersprüchlich. Der Social-Media-Diskurs lebt davon, dass am Ende jedes Tweets feststeht, wer “gut” und wer “böse” ist. In der Endlosdebatte über die Coronamaßnahmen ist das gut erkennbar. Sofort hatten sich zwei Lager formiert, die einander komplette Schwachsinnigkeit vorwarfen. Und während bei den Verweigerern der Coronamaßnahmen ein Hang zur Realitätsverweigerung nicht überraschen dürfte, so war die mangelnde Bereitschaft zum ganzheitlichen Blick bei den Maßnahmenbefürwortern intellektuell enttäuschend.

Widersprüche aufzeigen

Das gilt gerade für die Medien. Journalismus heißt doch auch, genau hinzuschauen, Widersprüche zu entdecken und überraschende Zusammenhänge herzustellen. Dinge also komplexer zu verstehen. Aber haben unsere Medien danach gehandelt?

Bei der „Welt“ haben kürzlich drei Redaktionsmitglieder aus der Wissenschaft gekündigt, weil die Chefredaktion und andere Ressorts die Ansagen „der Wissenschaft“ (gemeint sind natürlich Virologen) nicht für die einzig relevanten halten. Aber ist es guter Wissenschaftsjournalismus, ein Thema eindimensional zu betrachten?

Virologen sind Wissenschaftler, ja – ebenso wie Sozialpsychologen, Erziehungswissenschaftler oder Urbanisten. Von gutem Wissenschaftsjournalismus würde man also erwarten, diese akademische Vielfalt den Lesern nahezubringen. Also sich nicht auf die Seite einer Disziplin zu schlagen, sondern den Lesern zu vermitteln, welche verschiedenen Zusammenhänge „die Wissenschaft“ bei einem so komplexen Phänomen wie einer Pandemie aufzudecken in der Lage ist. Auch hier gilt es, Widersprüchlichkeiten zuzulassen, sie sogar zu suchen. Denn die Welt ist widersprüchlich.

Gemeint ist damit nicht zuletzt auch die Art, wie verschiedene Dinge zeitlich zusammenhängen. Unser Umgang mit der Welt geht häufig noch von einer einfachen Zeitlichkeit der Ereignisse aus. In der PR-Welt sieht das Handlungsmuster so aus: PR-Ereignis A kommt auf, muss gemanagt und nach Möglichkeit ohne Shitstorm überstanden werden. Dann kommt Event B, C und so weiter. Die substanzielle Firmenpolitik läuft derweil weiter wie bisher.

Genau so funktioniert es aber heute nicht mehr. In der Politik nicht, weil dort Deutschlands Unfähigkeit oder Unwilligkeit, der Ukraine schwere Waffen zu liefern, zunehmend offenbar wurde; die Wirklichkeit sich also weigerte, den Weg der oben beschriebenen iterativen Kurzzeitevents zu gehen. Und in der Wirtschaft nicht. Dort haben die Unternehmen beispielsweise die einander widersprechenden Klimapolitiken unterschiedlicher Weltregionen mit einem kommunikativen wie produktionspraktischen Sowohl-als-auch neutralisiert. Genau das dürfte künftig nicht mehr funktionieren. Unternehmen werden künftig permanent Farbe bekennen müssen. Kommunikativ und realpolitisch.

Hinweis: zum Text aus der Ausgabe “#AgendaSetting” leicht adaptierte Version. 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #AgendaSetting. Das Heft können Sie hier bestellen.

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