20 Jahre Dauer-Change

KOM-Geburtstag

Als Rudolf Hetzel, heute Geschäftsführer von Quadriga und damals bereits verlegerisch tätig, mich fragte, ob ich in seinen recht jungen Verlag als Chefredakteur einsteigen wollte, ging es ursprünglich um die Zeitschrift „Politik & Kommunikation“, die es heute immer noch gibt. Vom damaligen Magazin „pressesprecher“, das gerade erst ins Leben gerufen und an dem konzeptionell noch gefeilt wurde, war zunächst nicht die Rede. Erst als ich proaktiv fragte, wie es denn um diese neue Zeitschrift für Kommunikation stehe, räumte Hetzel ein, dass der Job ebenfalls frei wäre. Er war etwas überrascht, dass jemand der PR den Vorzug gegenüber der großen Politik geben wollte.  

Es gab damals kein Vorbild für eine journalistisch gedachte und gemachte PR-Zeitschrift. Echte Reportagen, Interviews, in denen kritisch nachgefragt wurde, sowie das Analysieren von Kommunikation im Zuge gesellschaftlicher Zusammenhänge waren in einem Medium für die Kommunikationsbranche nicht Usus. Wir änderten das. Es herrschte Aufbruchstimmung. Diese ging auch vom ebenfalls gerade gegründeten „Bundesverband der Pressesprecher“ aus, der die Zeitschrift mit ins Leben rief. Der Verband heißt heute bekanntlich Bundesverband der Kommunikatoren (BdKom). KOM zeichnet sich in meinen Augen bis heute als Magazin durch eine journalistische Grundhaltung aus.  

Die erste Ausgabe des "pressesprecher" drehte sich um Pressesprecher. Gern genommenes Fotomotiv: Kameras und Mikros. 
Die erste Ausgabe des pressesprecher drehte sich um Pressesprecher

Omnipräsenz des Medialen 

Was uns zu einem Thema bringt, das die Kommunikationswelt momentan beschäftigt und künftig noch stärker beschäftigen wird: die Tendenz zur Omnipräsenz des Medialen. „Mediatisierung“ nennt das der Medienwissenschaftler Andreas Hepp. Bernhard Pörksen spricht in diesem Kontext von der „redaktionellen Gesellschaft“. Gemeint ist jeweils, dass das Prinzip medial getriebener Kommunikation ubiquitär wird. Als Teilbereich dieser Entwicklung merken wir schon heute, wie Unternehmen zu medialen Aktivposten werden und sich an den Mechanismen großer Medienhäuser orientieren. Newsrooms sind hierfür ein Beispiel.  

 Wenn wir uns fragen, wie sich diese Entwicklung fortsetzen wird, dann reicht die damit implizierte Notwendigkeit einer hohen Themenkompetenz allein nicht mehr aus. Die Unternehmenskommunikation setzt nicht nur Themen. Sie muss auch deren Journey durch die verschiedenen Kanäle durchdenken. Das bedeutet, die aus dem Marketing bekannte Logik der Customer Journey auch in der Kommunikation anzuwenden. Hier sind es dann eine Themen-Journey und eine Stakeholder Journey. Die Kommunikation wird künftig noch stärker in Stakeholder-Communities denken und antizipieren müssen, was diese mit einmal gesetzten Themen anstellen und in welchem zeitlichen Rhythmus sie es tun.  

Das erfordert eine neue Dichte an Informationen über die unterschiedlichen Stakeholder. Es reicht nicht mehr, einmal eine Stakeholder-Map erstellt zu haben und dann mit dieser zu arbeiten. Die Kommunikation muss sich permanent neu in die Wertewelten der verschiedenen Stakeholder-Communities einfühlen – genauso wie in deren Medienwelten. Und sie muss diese Analyse mit einer gewissen Flexibilität angehen. Stakeholder-Konstellationen ordnen sich immer wieder neu. Stakeholder-Gruppen können sich miteinander vernetzen oder auseinanderdriften. Ein Beispiel sind Analysten und Wirtschaftsmedien. In den vergangenen Jahren haben sich diese meinem Eindruck nach angenähert. Kompetente Analysten agieren fast wie Content-Partner der Medien. Unternehmen gehen daher zunehmend dazu über, die beiden Zielgruppen zu parallelisieren und beispielsweise Medienevents für beide zu veranstalten. 

Darüber hinaus wird die Zielgruppe der Journalisten immer heterogener. Die beliebte These, klassische Publikumsmedien würden an Bedeutung verlieren, bedeutet nicht, dass die Medienarbeit als solche weniger wichtig wird. Sie wird nur komplizierter, digitaler und undurchsichtiger. Neue Reichweitenriesen wie „CNet“ oder „Golem“ sind mit herkömmlichen Tools nicht mehr automatisch zu erreichen. Von Old Boys‘ Networks oder Mechaniken der klassischen Beziehungspflege deutscher PR-Strippenzieher lassen sie sich nicht beeindrucken. Das gilt umso mehr für die wichtigsten Youtube-Kanäle.  

Stichwort Youtube-Kanal: An den Rändern des Mediensystems verschwimmt gerade das Bild davon, was überhaupt ein Journalist ist. Neben den Influencern prägt sich der neue Stakeholder-Typus des „Maven“ aus. Darunter verstehen Unternehmen wie BMW publizierende Meinungsmacher, die über eine gewisse Social-Media-Reichweite verfügen, aber vor allem in einem bestimmten Thema als inhaltlich kompetent angesehen werden. Mit Mavens langfristig zu kooperieren, stellt für Unternehmen eine Herausforderung dar, die jener der Influencer-Kommunikation nicht entspricht. 

2015 war Haltung bereits ein Titel

Kommunikation breiter denken 

Diese Herausforderungen werden vielleicht nicht mehr im PR-Department allein geschultert. Die Idee der Kommunikation zieht sich künftig durch das gesamte Haus. Die mediale Kompetenz in Unternehmen insgesamt hat – auch bedingt durch die sozialen Medien – zugenommen. Das ist für die Kommunikationsabteilung Chance und Painpoint zugleich. Einerseits können sie mit medienaffinen Mitarbeitern aller Abteilungen arbeiten. Manche Unternehmen öffnen zurzeit ihre zentralen PR-Entscheidungsgremien für Vertreter der Strategie- oder Finance-Abteilung. Zugleich steigen aber auch die Erwartungen aller Departments an die mediale Performance des Unternehmens – inklusive oftmals unrealistischer Wünsche verschiedener Abteilungen bis hin zum Vorstand.  

Insbesondere Vorstände und CEOs werden künftig noch stärker im Zentrum der medialen Strategie stehen. Sie rücken als Person weiter ins Zentrum, Stichwort CEO-Positioning. Ihre Social-Media-Kanäle gilt es zu bespielen – glaubwürdig, im richtigen Ton, aber auch kontinuierlich. Und die Frage stellt sich, was mit diesen Kanälen geschieht, wenn ein CEO mal nicht mehr CEO ist.  

Auch aufgrund dieser neuen Komplexität sind quantitative Messmechaniken en vogue. Hier dürften künftig viel differenziertere Metriken entwickelt werden. Das ist gut so. In Sachen Messbarkeit von PR-Effizienz befinden wir uns momentan in einer Mittelphase. Es wird viel quantifiziert, aber oft in einer Art aufgeregter Scheinpräzision. Die Kommunikation freut sich, endlich mal die eigene Effizienz belegen zu können, läuft aber Gefahr, die eigenen Stärken aus dem Blick zu verlieren.  

Die Frage nach den Stärken der Kommunikation und ihrer Professionals wird künftig vermehrt gestellt werden. Stichwort Künstliche Intelligenz. Was bleibt von den „alten“ PR-Jobs? Die Binse „AI verändert alles“ darf momentan in keinem Statement von Agenturvertretern fehlen. Fest steht: Tools wie ChatGPT werden viele Prozesse in Medien und Kommunikation automatisieren. Doch hier scheinen mir nicht Angst oder Hysterie der richtige Weg zu sein, sondern Vorfreude: Vielleicht ermöglicht dies eine neue Konzentration auf das Wesentliche.  

Auf globalstrategische Fragen zum Beispiel. Denn unsere Welt ist politisch komplizierter geworden. Als wir das Magazin „pressesprecher“ entwickelten, stand die Welt zwar auch unter Schock. 9-11 war gerade einmal zwei Jahre her. Aber die Weltlage war insofern geordneter, als die USA die einzige Weltmacht waren. Heute gilt das nicht mehr. Unser systemischer Konkurrent China ist zugleich der vielleicht wichtigste Treiber der globalen Ökonomie. Gerade deutsche Unternehmen kommen von China als Absatzmarkt und Lieferant nicht los.  

Das Thema Politik wird für die Unternehmenskommunikation weiter an Bedeutung gewinnen. Carolin Zeller, meine Professorenkollegin an der Quadriga Hochschule, formuliert es so: „Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen sind so eng an politische Gegebenheiten gekoppelt wie seit Jahrzehnten nicht. Und das verändert die Public Affairs“. Diese brauche ein „stabiles, aber adaptives Strategie-Framework“. 

Diese Frameworks versuchen wir, mit unserer akademischen Arbeit an der Quadriga Hochschule zu liefern. Auch für Wissenschaftler ist ein publizistischer Resonanzboden wichtig. Auf die nächsten 20 Jahre, liebes KOM-Magazin! 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Europa. Das Heft können Sie hier bestellen.

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