Zusammenspiel zwischen Konzern und Brands

Henkel

Herr Tilger, unser erstes Interview führten wir vor knapp 20 Jahren. Der Titel damals: „Showdown der Strategen“. Bleiben wir einmal bei diesem Showdown und seinem Ergebnis: Wenn Sie auf die vergangenen Jahre zurückblicken, welche Entwicklung hätten Sie damals so nicht vorausgesehen? Was kam – rückblickend betrachtet – komplett überraschend?

Erst mal ist es überraschend, wie viel uns erhalten geblieben ist – darunter Kernaufgaben wie die CEO-Positionierung. Auch die Bedeutung der strategischen Beratung auf Top-Ebene ist heute so wichtig wie damals, gerade in der Aufgabe als Leiter Unternehmenskommunikation. Was sich aber verändert hat, ist die Vielfalt und Komplexität der Anspruchsgruppen, die eindeutig zugenommen hat. Und zugleich hat die Digitalisierung dazu geführt, dass Geschwindigkeit und Transparenz der Kommunikation massiv gestiegen sind. Informationen sind heute sprichwörtlich „auf Knopfdruck“ verfügbar. Eine Nachricht aus einem Teil der Welt kann rasend schnell weltweite Verbreitung und Beachtung finden. Darauf muss man sich einstellen.

Das Argument der vielen Anspruchs­gruppen könnte man als Zeichen eines Siegeszuges der Kommunikation deuten. Denn diese gab es ja schon früher, nur nicht im Visier der PR.

Aus meiner Sicht war die Stellung der Kommunikation vor 20 Jahren nicht schwächer als heute. Wir sehen aber alle, dass es mehr Stakeholder gibt, deren Stimmen wichtiger und lauter werden und die sich auch untereinander stärker vernetzen. Und es gibt deutlich mehr Kanäle. Früher lief der externe Kommunikationsprozess vor allem über die klassische Pressearbeit. Das reicht so nicht mehr. Klassische Medien sind immer noch wichtig, haben aber ihre Alleinstellung als Gatekeeper verloren. Anspruchsgruppen können ihre Forderungen an ein Unternehmen oder eine Organisation heute direkter artikulieren, dazu müssen sie nicht erst Öffentlichkeit über die Presse herstellen. Dies ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance.

Die Komplexität rührt bei Ihnen auch daher, dass das Geschäftsmodell umfassend ist. Die Marke Henkel ist ein eingeführter Name, aber Sie sind in zwei komplett verschiedenen Unternehmensbereichen aktiv: Adhesive Technologies und Consumer Brands. Ist das primär eine Challenge oder eine Chance?

Das stimmt. Wir kombinieren ein Konsumgütergeschäft mit einem Umsatz von rund elf Milliarden Euro mit einem Industriegeschäft, Klebstoffen, Beschichtungen und Dichtstoffen, mit ebenfalls etwa elf Milliarden Euro Umsatz. Genau dieses Spannungsfeld sowie die thematische Vielfalt, die sich daraus ergibt, haben mich von Anfang an gereizt, für Henkel zu arbeiten. Insbesondere das B2B-Geschäft umfasst eine große Bandbreite an Themen. Unsere Klebstoff-Technologie steckt in 800 Industriesegmenten: in Autos, Windrädern, Flugzeugen oder auch Sportschuhen. Allein in einem Smartphone sind bis zu 20 verschiedene Henkel-Lösungen verbaut. Doch es gibt noch weitere Besonderheiten bei Henkel: So sind wir einerseits seit fast 40 Jahren börsennotiert, waren ein Gründungsmitglied im Dax, haben aber zugleich die Familie Henkel als Hauptaktionär, sind also in gewisser Weise ein Familienunternehmen. Wir sind ein deutscher Traditionskonzern mit bald 150 Jahren Geschichte und zugleich hochgradig international aufgestellt. Unsere Belegschaft ist sehr international mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 125 Nationen. Den größten Umsatz machen wir in den USA. China kommt nach Deutschland auf Rang drei.

Die Story-Palette ist vielfältig. Aber leidet darunter nicht eine einheitliche Führung der Konzernmarke?

In der Tat ist das herausfordernd, denn wir müssen für eine Konzernmarke kommunizieren, die für die meisten Kunden und Verbraucher auf den ersten Blick nicht präsent ist. Meist dominieren unsere Produktmarken. Damit ist Henkel natürlich nicht allein. Ich kenne das von meinen vorherigen Positionen in der Chemie- und Pharmaindustrie. Für die Öffentlichkeit, gerade in Deutschland, sind wir zudem oft der „Konsumgüterhersteller“. Dabei ist Henkel viel mehr. Das gilt es über Geschichten und News glaubhaft zu kommunizieren. Dabei setzen wir auf starke Meta-Themen wie Nachhaltigkeit, Innovationskraft oder digitale Transformation. Die werden an Beispielen aus den Unternehmensbereichen konkretisiert. Im B2C-Segment geht es dann zum Beispiel um Verpackungen aus Recycling-Plastik oder dass man mit unseren leistungsfähigen Waschmitteln die Waschtemperatur deutlich senken kann. Im B2B-Sektor ist es vielleicht die Geschichte über ein Passagierflugzeug, das auch dank unserer Leichtbau-Klebstoffe Treibstoff einspart und so weniger CO₂ emittiert.

Heißt das, die Konzernthemen leiten die Kommunikation der Einzelmarken?

Die Kommunikation einer Einzelmarke folgt der jeweiligen Positionierung und Markenidentität der Produktmarke. Sie liegt auch klar in der Verantwortung der Unternehmensbereiche. Unsere Aufgabe in der Unternehmenskommunikation ist es, die Marke Henkel zu schützen, zu stärken und weiterzuentwickeln. Dabei fokussieren wir uns auf die großen Themen, die sich aus der Unternehmensstrategie ableiten. Deren Themen, wie zum Beispiel Nachhaltigkeit, spielen natürlich auch für die einzelnen Produktmarken eine Rolle. Aber sie werden für die jeweilige Marke konkretisiert und gezielt an die relevanten Zielgruppen kommuniziert. Als Konzernmarke adressieren wir nicht primär die Endverbraucher, sondern unterschiedliche Stakeholdergruppen wie Mitarbeiter, den Kapitalmarkt und Medien, die Politik, NGOs und Verbände.

Nutzen die Einzelmarken denn die Dachmarke Henkel?

Das ist unterschiedlich. Nehmen Sie zum Beispiel die Haarpflegemarke Schwarzkopf, weltweit unsere zweitgrößte Marke. Hier ist es nicht sinnvoll, Henkel als Absender oder „Endorsing Brand“ zu nutzen. Das würde bei den Endverbraucherinnen und -verbrauchern keinen besonderen Mehrwert erzeugen. Im Segment Wasch- und Reinigungsmittel nutzen hingegen viele Marken wie unser Flaggschiff Persil Henkel als Absender. Und im Industriegeschäft kann der Verweis auf die globale Präsenz, die technologische Kompetenz und Verlässlichkeit einer Marke wie Henkel ein wichtiger Faktor für die Kunden sein.

Waschmittelpackungen mit der Aufschrift "Persil" werden von Greifarm-Maschinen über ein Förderband gehoben. Die Bildunterschrift lautet: Henkel geht bei seinen Marken unter­schiedlich mit der Zugehörigkeit zum Konzern um: Bei Persil ist die ­Verbindung klar, bei Schwarzkopf weniger. © Jahr Henkel AG & Co. KGaA

Henkel geht bei seinen Marken unter­schiedlich mit der Zugehörigkeit zum Konzern um: Bei Persil ist die ­Verbindung klar, bei Schwarzkopf weniger. © Henkel AG

Kürzlich haben Sie den Integrated Communication Award vom F.A.Z.-Institut bekommen. Haben solche Awards für Sie eine echte Bedeutung?

Dieser Award in jedem Fall, weil wir für unser Teamwork und unsere integrierte Zusammenarbeit ausgezeichnet werden und über Jahre auf dieses Ergebnis hingearbeitet haben.

Wie das?

Eine Kommunikationsabteilung zu leiten, heißt auch immer, mit begrenzten Ressourcen an Mitarbeitern und Budget den optimalen Output zu organisieren. Dafür müssen wir diszipliniert und strukturiert arbeiten. Wir haben aus der Konzernstrategie eine Kommunikationsstrategie abgeleitet und diese in ein sogenanntes „Message House“ überführt. Das gilt langfristig, wird aber regelmäßig überprüft und aktualisiert. Der Begriff Message House darf ruhig wörtlich genommen werden, denn es ist genau wie ein Haus aufgebaut: Ganz oben stehen Purpose und Strategie, dann kommen strategische Prioritäten wie zum Beispiel Nachhaltigkeit, die dann wieder aufgesplittet wird in Fokusthemen wie Klimaschutz oder Kreislaufwirtschaft. Wir definieren auch, für welche Zielgruppen welche Themen besonders relevant sind, steuern diese Themen dann über alle Kanäle durch – und das weltweit. Der gesamte Kommunikationsprozess ist dabei weitgehend digitalisiert: von der Themenplanung über die Content-Erstellung und die Ausspielung bis hin zur Output-Messung. Gemeinsam mit einem externen Partner erheben wir zusätzlich noch die Effekte auf die Wahrnehmung des Unternehmens. So messen wir unsere Reputation quasi in Echtzeit.

Besonders beeindruckt hat die Jury das Ausmaß an Integration: „Prioritäten und zentrale Botschaften werden konsequent aus der Unternehmensstrategie abgeleitet“, hieß es in der Begründung. Kann das nicht auch ein Nachteil sein, in dem Sinne, dass keine Spontanität mehr möglich ist?

Das Gegenteil ist der Fall. Eine Strategie und einen klaren Plan zu haben, erlaubt es uns, mit unerwarteten Entwicklungen und neuen Themen umzugehen und darauf angemessen zu reagieren. Jeder Tag bringt Überraschungen, die Vielfalt von Themen ist enorm. Wir sind in der Lage, flexibel auf externe Vorkommnisse zu reagieren, eben weil wir eine klare Strategie, Prozesse und Strukturen haben. Unsere zentralen Themen werden nicht verdrängt, und wir werden nicht nur von tagesaktuellen Entwicklungen getrieben. Unser Message House gibt uns einen Rahmen vor. Wir scannen täglich, was in unserem relevanten Umfeld passiert. Das führen wir dann zusammen.

Das heißt, Sie holen sich mit dieser Scan-Funktion die Kreativität ins Haus.

Es ist vor allem der Blick nach draußen und das aufmerksame Verfolgen von Themen, Stimmungen und Tonlagen. Das hilft uns, unsere Kommunikation zu justieren. Deshalb ist es mir auch wichtig, dass wir die Themen in unserem Message House regelmäßig anpassen. Beispiel: Ein Fokusthema im Bereich Digitalisierung war bisher Industrie 4.0. Das haben wir jetzt durch künstliche Intelligenz (KI) ersetzt.

Wie sehen Sie die Bedeutung von KI für die Kommunikation?

Die sehe ich auf zwei Ebenen. Einerseits geht es darum, intern und extern zu kommunizieren, welche Bedeutung KI für uns als Unternehmen hat und wie wir sie bereits nutzen. Chat Bots unterstützen zum Beispiel bei Kundenanfragen. KI wird auch in Forschung und Entwicklung eingesetzt. Ein zweiter Fokus ist unsere Arbeit in der Unternehmenskommunikation. Wie können wir künftig KI und Generative KI in unserer Arbeit nutzen? Hier haben wir Piloten gestartet und erste Texte durch KI schreiben lassen.

Haben Sie die Geschichte denn auch verwendet?

Ja, die wurde intern veröffentlicht. Wir haben aber klar gekennzeichnet, dass die Texte von einer generativen künstlichen Intelligenz erstellt wurden – oder besser gesagt: mit Hilfe. Denn wir haben die Geschichte vor der Veröffentlichung noch mal überarbeitet, weil doch nicht alles stimmte. Ganz ohne den Menschen ging es dann doch nicht.

Was glauben Sie, ist die Kommunikation in zehn Jahren durch KI durchautomatisiert?

Zunehmend, aber nicht vollständig. Ich kann mir gut vorstellen, dass in Teilbereichen eine Automatisierung stattfindet und uns KI-Technologie unterstützt, zum Beispiel in sehr strukturierten Bereichen wie der Finanzkommunikation. Aber wird mal eine Hauptversammlungsrede von der KI geschrieben? Nein. Die Rede für eine Jubilarfeier? Auch nicht.

Wobei KI-Verfechter sagen würden, das wäre die finale Stufe.

Kreativität und Automatisierung werden neu ausbalanciert. Das gilt auch für den klassischen Mediensektor. Ich sprach kürzlich mit dem Herausgeber einer großen Tageszeitung. Er betonte, dass man sich dort ausdrücklich gegen automatisiert erstellte Texte ausspricht. Bei anderen Zeitungen und Publikationen ist man da schon offener. Und große internationale Nachrichtenagenturen experimentieren schon heute mit KI-generierten Meldungen und nutzen den immensen Geschwindigkeitsvorteil.

Noch mal zum Award: Sehr gelobt haben die Juroren die „klare Darstellung der Markenarchitektur“. Wie weit geht hier der Einfluss der Unternehmenskommunikation? Reden Sie auch bei der Konzeption der Markenarchitektur mit? Haben Sie ein Vetorecht, wenn eine neue Marke gekauft werden soll, die aus Ihrer Sicht nicht ins Portfolio passt?

Die Kollegen in den Unternehmensbereichen haben da eindeutig mehr Kompetenz, den strategischen Fit für unser Portfolio zu bewerten. Das ist nicht unsere Aufgabe. Allerdings sitzen wir mit am Tisch, falls mit einer Akquisition mögliche Reputationsrisiken verbunden sein könnten. Unsere Aufgabe ist es, die Corporate Brand zu schützen und stetig weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch die Frage, welche Konsequenz die gesamte Markenarchitektur für die Wahrnehmung der Konzernmarke hat. Und hier hatten wir tatsächlich eine Herausforderung – allerdings weniger auf einzelne Produktmarken bezogen, sondern mit Blick auf die Unternehmensbereiche und teilweise auch die Funktionen. Einzelne Einheiten im Unternehmen hatten begonnen, eine eigene Markenidentität aufzubauen. Das hätte die Henkel-Marke dauerhaft geschwächt. Deshalb haben wir gemeinsam mit allen Bereichen und am Ende mit dem Vorstand eine klare Markenarchitektur definiert. Das hilft uns heute sehr, denn wir können nun viel besser die verschiedenen Aspekte von Henkel unter einer Marke integrieren.

Und was konnten Sie den Bereichen im Gegenzug anbieten?

Wir haben die Marke Henkel klarer und dynamischer positioniert und den visuellen Auftritt grundlegend überarbeitet. Dazu haben wir zunächst ein Purpose-Statement entwickelt, das im gesamten Unternehmen breite Zustimmung und Unterstützung gefunden hat. Auf dieser Basis wurde dann der gesamte Markenauftritt modernisiert – mit einer neuen Corporate Identity, progressiven Farben, Schriften und grafischen Elementen. So bieten wir einerseits mehr Flexibilität und Vielfalt. Andererseits geben wir mit der Markenpositionierung und -architektur einen verbindlichen Rahmen für alle Teile von Henkel vor. Kurz gesagt: „Freedom within a ­framework.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Beratung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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