32,7 Millionen Euro für Lauterbachs Angstkampagne

Bundesregierung

Die Bundesregierung hat eine neue Kommunikationskampagne zum Thema Corona gestartet. „Ich schütze mich“, lautet der Titel der Kampagne, die gemeinsam mit dem Campaigner Raphael Brinkert und dessen Agentur Brinkertlück Creatives entwickelt wurde. Die Kreativen begleiteten bereits den vergangenen Bundestagswahlkampf der SPD. 32,7 Millionen Euro beträgt das Gesamtbudget, wovon 700.000 Euro als Honorar an die Agentur gehen.

Die Motive präsentierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gemeinsam mit der „Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski in der Bundespressekonferenz. Die 36-Jährige hatte sich wenige Wochen nach ihrer dritten Impfung mit dem Coronavirus infiziert und ist anschließend an Long Covid erkrankt, worüber sie in ihren Social-Media-Kanälen regelmäßig informiert. An der Kampagne selbst wirkt Stokowski nicht mit. Ein Honorar für den Auftritt in der BPK bekam sie ebenfalls nicht.

Im Zentrum der Kommunikationsmaßnahmen stehen 84 reale Personen, die in Videos, Audio-Spots, Anzeigen und auf Plakaten darüber sprechen, warum sie sich vor Corona schützen. Die Testimonials kommen Lauterbach zufolge aus der Mitte der Gesellschaft. Wie sich die 84 Teilnehmerinnen und Teilnehmer genau schützen, bleibt vage. Es gibt lediglich den Hinweis, dass sie ihren Impfschutz aktuell halten.

Seit dem 14. Oktober wird nun jeden Tag eine Person vorgestellt – unter anderem auf den Social-Media-Kanälen des Ministeriums. Die Kampagne läuft bis Anfang Januar. Ein bald einsetzendes Desinteresse an den 84 Spots und Plakaten dürfte angesichts der Kampagnenlänge und der zu erwartenden Redundanz der Geschichten vorprogrammiert sein.

Plakat mit Notfallsanitäter Lurans. © BMG
Plakat mit Notfallsanitäter Lurans © BMG

Lauterbach sprach bei der Vorstellung davon, dass es sich bei „Ich schütze mich“ um keine Angstkampagne handele, was man nicht wörtlich nehmen sollte, weil der SPD-Politiker nach außen auch die Überzeugung vertritt, in seinen Tweets und Interviews keine Panikmache zu betreiben, sondern fakten- und wissenschaftsbasiert zu argumentieren.

Richtig ist: Die Kampagne verzichtet darauf, Schockbilder zu verwenden, wie man sie beispielsweise von Zigarettenpackungen kennt. Im Coronakontext wären solche Bilder Menschen an einem Beatmungsgerät, Sterbende oder gestapelte Särge, die es während der Pandemiezeit häufig in der Berichterstattung zu sehen gab. Solche Motive zeigt die Kampagne nicht.

In ihrer Wirkung sollen die Bilder trotzdem Angst erzeugen. Angst vor einer Ansteckung, Angst vor einer Reinfektion, Angst, ältere Menschen zu infizieren, Angst, arbeitsunfähig zu werden, Angst, beruflich auszufallen und Angst, keinen Sport mehr treiben zu können. Um die Vermittlung von Informationen geht es kaum, was dem manchmal nicht faktensicheren Bundesgesundheitsministerium entgegenkommen dürfte. Zuletzt hatte es in seine „Fakten-Booster“-Anzeigen einen schweren Fehler eingebaut und musste diesen korrigieren.

„Ich schütze mich“ will Emotionen ansprechen. Es ist eine Angstkampagne. Für die Beurteilung ist es irrelevant, wie Lauterbach es selbst sieht. Entscheidend ist, wie die Motive wirken. In ihrer Bildsprache und in den Texten kommt sie freundlich daher. Sie soll einen subtilen Effekt erzielen. Unterschwellig schwingt ein Solidaritätsappell mit. Die missratenen Vorgängerkampagnen „Ärmel hoch“ und „Impfen hilft“ besaßen noch die klare Handlungsempfehlung, sich impfen zu lassen. Einen solchen Aufruf gibt es nicht mehr. Scholz & Friends durfte übrigens nicht mehr ran. Die Kritik an beiden vorherigen Kampagnen der Agentur fiel überaus negativ aus.

„Jetzt Impfschutz überprüfen“ steht auf den neuen Plakaten und in den Videos in der rechten Ecke – eine sehr schwache und generische Botschaft. Ginge es allein nach Lauterbach, würde er die vierte Coronaimpfung sicher offensiver anpreisen. Dem steht allerdings die Stiko-Empfehlung im Weg, die den zweiten Booster lediglich über 60-Jährigen, Menschen mit Vorerkrankungen und sonstigen Risikogruppen empfiehlt. Gesunde Personen seien mit drei Impfdosen weiterhin gut geschützt, heißt es. Differenzierte Werbung? Schwierig.

Wer soll was genau tun?

Awareness-Kampagnen leben davon, dass sie mit einprägsamen Botschaften arbeiten. Solche kann es bei der Coronaimpfung und Maßnahmen wie Maske tragen schon allein aus medizinischer Sicht nicht mehr geben, weil der Impf- und Immunitätsstatus der rund 84 Millionen Menschen in Deutschland inzwischen sehr unterschiedlich ausfällt.

Mit einer zweifach geimpften 20-Jährigen mit zwei Infektionen in den vergangenen zwölf Monaten ist anders umzugehen als mit einer ungeimpften 75-Jährigen oder einem 60-Jährigen vierfach Geimpften mit einer Omikron-Infektion vor wenigen Wochen. Lauterbach erklärte in einem Interview in der „Aktuellen Stunde“ des WDR kürzlich sogar, dass sich Jüngere, die sich vor kurzem infiziert hätten, aktuell nicht impfen lassen müssen. Die dürfte das freuen. Er hatte auch mal anders geredet.

Hier zeigt sich das Hauptproblem der Kampagne: Sie hat keine Zielgruppe. Wer soll sich angesprochen fühlen? Wer soll was genau tun? Was ist überhaupt das Ziel? Ausgespielt werden soll die Kampagne in TV, Radio, Internet und Out-of-Home. Die Streuverluste werden enorm sein. In einem Umfeld mit einer jüngeren Zielgruppe ist die Werbung deplatziert. Ältere Menschen dürften nach zweieinhalb Jahren ebenfalls wissen, wie sie sich schützen können. Einen weiteren Winter in Angst können die nicht mehr gebrauchen.

Die richtige Botschaft hätte deshalb deutlich konkreter ausfallen müssen: Bitte mit Ihrem Hausarzt das weitere Vorgehen besprechen! Das hätte nur noch langweiliger geklungen, als den Impfschutz überprüfen zu lassen. Eine solche Beratung müsste dann mögliche Impfrisiken und die Häufigkeit von Impfschäden umfassen. Das Post-Vac-Syndrom kommt zwar selten vor, kann das Leben aber beeinträchtigen. Das ist ein weiterer Schwachpunkt der Kampagne: Risiken der Coronaimpfung spielen keine Rolle. Transparenz ist nicht erwünscht.

Ein zusätzliches Minus: Die Botschaften der Testimonials kommen naiv daher. In die medizinische Materie einarbeiten wollte sich Brinkertlück offenbar nicht.

Auf dem Plakat von Floristin Barbara steht das Zitat, „Ich schütze mich, weil Düfte für mich das Schönste sind.“ Dabei gehen Omikron-Infektionen deutlich seltener mit Geruchs- und Geschmacksverlust einher, als es bei Delta der Fall war. So steht es bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Darüber hinaus schützen Impfungen nur begrenzt vor leichten Symptomen, sondern vor allem vor einem schweren Verlauf. Bei Bäcker Christian dachte man sich wohl, es muss besonders einfach sein. „Ich schütze mich, damit ich alles gebacken bekomme.“ Corona hatte Christian bisher nicht. Was soll er denn jetzt tun?

Notfall-Sanitäter Lurans wird zitiert mit, „Ich schütze mich, weil ich in Quarantäne keine Leben retten kann“. Mit Blick auf die Impfung macht das wenig Sinn, weil sich Geimpfte genauso infizieren können und nach der bisherigen Gesetzeslage in Quarantäne oder Isolation müssen wie Ungeimpfte. Im Video von Rentnerin Ursula heißt es, sie hätte sehr darunter gelitten, ihre Enkel nicht besuchen zu können. Dass sie diese nicht sehen konnte, war die Folge der Kontaktbeschränkungen von Bund und Ländern. Wenn die Maßnahmen sie so gestört haben, warum wirbt sie jetzt für eine Bundeskampagne?

Die große Impfbegeisterung ist in Deutschland längst verflogen. Das zeigen die Impfzahlen. Das Verständnis für andere Maßnahmen ist in Teilen ebenfalls nur noch wenig vorhanden, wozu Mitglieder der Bundesregierung und zuletzt der Bundespräsident mit ihren Maskenfails beigetragen haben.

„Ich schütze mich“ dürfte wie die vorherigen Kampagnen wirkungslos verpuffen, was die Ausgabe von 32,7 Millionen Euro an Steuergeldern fragwürdig erscheinen lässt. Die Devise: Wir haben halt wenigstens etwas gemacht. Der Betrag hätte besser in die Ansprache und Aufklärung von Risikogruppen gesteckt werden können. Oder in die Long-Covid-Forschung.

Das wäre sicher im Sinne von Margarete Stokowski gewesen. Wollte man das Vertrauen in die Wirksamkeit der Coronaimpfung erhöhen, hätte man die Kampagne nicht von einer dreifach geimpften 36-jährigen Autorin vorstellen lassen dürfen, die kurz nach der Impfung an Long Covid erkrankt ist und in einem hohen Maße polarisiert. Impfskeptikern wird eine Vorlage geliefert. Ältere Zielgruppen kennen Stokowski zudem kaum. Hier galt wohl der Wunsch des Ministers. Der zeigt sich gerne mit seinen Lieblingsprominenten.

Bei den bisher veröffentlichten acht Einzelschicksalen geht es um Long Covid einmal.

Ergänzung nach Anfrage an das Bundesgesundheitsministerium zur Beauftragung von BrinkertLück. “Eine Ausschreibung war nicht nötig. Die Beauftragung läuft über den bestehenden Vertrag mit Scholz & Friends.” 

 

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