Mit der SPD in den Bundestagswahlkampf

Raphael Brinkert

Am 1. November twitterte Raphael Brinkert: „Wir freuen uns sehr, gemeinsam mit Olaf Scholz und der SPD in den Wahlkampf ziehen zu dürfen.“ Brinkert und die 2019 von ihm gegründete Agentur Raphael Brinkert sollen die Sozialdemokraten im Bundestagswahlkampf 2021 beraten, die Kampagne entwickeln und helfen, sie gemeinsam mit der Partei umzusetzen. Die SPD verharrt seit einiger Zeit in Umfragen bei etwa 15 Prozent. Offiziell verfolgt sie weiterhin das Ziel, mit dem derzeitigen Finanzminister Scholz den nächsten Bundeskanzler zu stellen.

Mit Raphael Brinkert hat die SPD eine Agentur engagiert, die man bisher hauptsächlich mit Sport assoziiert. Brinkert selbst baute bei seinem vorherigen Arbeitgeber Jung von Matt den Sportmarketingbereich auf und leitete ihn. Für die Fußballnationalspieler Leon Goretzka und Joshua Kimmich initiierte er in diesem Sommer die Aktion „WeKickCorona“, bei der Fußballprofis und andere Prominente Geld spenden, mit dem während der Coronakrise soziale Einrichtungen unterstützt werden sollen. Etwa fünf Millionen Euro sind bisher zusammengekommen. Darüber hinaus arbeitet Brinkert für den DFB, die Robert-Enke-Stiftung und den Deutschen Olympischen Sportbund. 20 Mitarbeitende hat die Agentur aktuell. Beratung, Strategie und Kreation sind inhouse. Zusätzlich greift sie auf ein Expertennetzwerk zurück.

Warum jetzt die SPD? Die Wahl ist auf den ersten Blick überraschend, weil Brinkert im Europawahlkampf 2019 noch für die CDU arbeitete. Für den 43-Jährigen ist das kein Widerspruch zu seinem jetzigen Engagement: „Es sind beides Volksparteien der demokratischen Mitte, jedoch mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. So sehr mich Angela Merkel beeindruckt hat, so sehr imponieren mir der Wertekanon und die Geschlossenheit der SPD und die Agenda von Olaf Scholz für eine Kanzlerschaft.“ Jung von Matt war die Agentur der CDU im letzten Bundestagswahlkampf. Der aktuelle Auftrag der SPD soll über den Bundestagswahlkampf hinausgehen. „Unser Ziel ist es, einen Beitrag für ein Comeback der Sozialdemokratie in Deutschland zu starten. Wir wollen mithelfen, dass überzeugende Inhalte auch überzeugend kommuniziert werden“, sagt Brinkert. „Wie nimmt man die Partei wahr?“ Darum soll es gehen.

„Kommunikationsloch“

Dass die SPD schon mal bessere Zeiten hatte, ist Common Sense. Eine von der Partei nach der desaströsen Bundestagswahl 2017 in Auftrag gegebene Analyse zeigt recht schonungslos, was ihre strukturellen und kommunikativen Schwachstellen sind. „Aus Fehlern lernen“ – so lautet der Titel des 108 Seiten starken Berichts, in dem unter anderem der ehemalige „Spiegel“-Journalist Horand Knaup und SPD-Stammwerber Frank Stauss zu dem Ergebnis kommen, dass es an einem klaren Profil, den richtigen Köpfen zu den wichtigen gesellschaftlichen Themen und modernen Strukturen mangelt. Von einem „riesigen Kommunikationsloch“ ist die Rede. Das war 2018. Seitdem hatte die Partei neben Wahlniederlagen einen weiteren Führungswechsel zu verkraften. Die aktuellen SPD-Vorsitzenden mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans müssen seit ihrer Wahl mit dem Ruf leben, von Teilen der Partei vehement abgelehnt zu werden. Esken und Walter-Borjans gelten als deutlich linker als Kanzlerkandidat Olaf Scholz und große Teile der Bundestagsfraktion.

Nach außen den Eindruck von Geschlossenheit zu vermitteln dürfte eine der zentralen Aufgaben im Bundestagswahlkampf werden. „Schneller, mutiger, digitaler“ soll der Wahlkampf werden, verspricht Brinkert. Gespart werden muss ebenfalls. Aufgrund der zuletzt schlechten Wahlergebnisse muss das Willy-Brandt-Haus mit einem bis zu 40 Prozent niedrigeren Budget auskommen als 2017, schreibt „Business Insider“. Mit 20,5 Prozent erreichte die SPD damals ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl überhaupt. Akzente im Wahlkampf setzen konnte sie keine.

Blick von außen

Das soll nun anders werden. Von Jung von Matt bringt Brinkert nicht nur Sportmarketing-Expertise mit. Er hat zudem für Marken wie Sixt und Zalando gearbeitet, die für ihre pointierte Werbung bekannt sind. Seine eigene Firma ist deutlich politischer ausgerichtet. Einer der Gründe für den SPD-Auftrag an seine Agentur sei gewesen, dass sie neben ihrer Digital- und Sozialkompetenz einen Blick von außen reinbringt, betont er.

Seine Agentur hat diverse aufmerksamkeitsstarke Kampagnen aus dem gesellschaftlich-politischen Bereich entwickelt, die gut zu den Grundwerten der SPD und ihrer Parteigeschichte passen. Einige dieser Kampagnen hat Brinkert selbst angestoßen. Er sieht sich selbst nicht nur als Werber, sondern auch als „Aktivist“. Die Menschenrechtskampagne „Jeder hat das Recht auf Menschenrecht“, in der sich Prominente gegen Diskriminierung und Fremdenhass aussprechen und für mehr Menschlichkeit gegenüber Geflüchteten appellieren, hat er initiiert. Für den Verein „Laut gegen Nazis“ entwickelte Brinkert Kampagnenmotive, die Hass-Postings aus den Sozialen Netzwerken mit historischen Bildern aus der NS-Zeit kombinieren. „United4Rescue“ ist ein Bündnis zur Unterstützung der zivilen Seenotrettung, das seine Agentur mit unterstützt hat. An anderen Stellen geht es um die Würdigung des Ehrenamts, um Integration und Inklusion. Das passt gut zu den SPD-Schwerpunkten.

Auf der Agentur-Website gibt es den Punkt „Haltung“. „Wir arbeiten nicht für und mit Personen, Vereinen, Verbänden, Institutionen und Dienstleistern, die gegen das Grundgesetz, die Menschenrechte, das Gemeinwohl und den United Nations Global Compact verstoßen. Ferner schließen wir eine Zusammenarbeit mit der AfD sowie mit Unternehmen aus der Tabak- und Rüstungsindustrie aus.“ Was heißt das konkret? „Wir machen nur das, woran wir glauben und von dem wir überzeugt sind. Und dazu gehören eben nicht Branchenteilnehmer, die einen negativen Beitrag zum Gemeinwohl leisten“, erklärt Brinkert. Als 100 Prozent inhabergeführte Agentur könne sie sich so eine Haltung erlauben. Er würde allerdings auch für Kunden arbeiten, die sich in einem Transformationsprozess befinden und die beispielsweise nachhaltiger werden wollen. „Wir verstehen das, was wir machen, nicht als Beruf, sondern als Berufung“, sagt der Wahl-Hamburger. „Bei uns stehen Kreativziele im Vordergrund, keine Quartalszahlen.“

Von Jung von Matt in der Schweiz hat Brinkert zuletzt Kreativchef Dennis Lück geholt. In der Werbewelt galt das als Coup. Außerdem die Markenexpertin Laura Galmés Schwarz und die ADC-Juniorin des Jahres Theresa Gramckow. In die SPD-Kampagne sollen „Mr. Media“ und „Wirtschaftswoche“-Kolumnist Thomas Koch und der Digitalexperte Nico Lumma eingebunden werden. Beide besitzen Parteinähe. Fest steht, dass die 19-jährige SPD-Influencerin Lilly Blaudszun eine Rolle spielen soll. Ihr dürfte die Aufgabe zufallen, vor allem in der Ansprache von jüngeren Wählerschichten authentischer rüberzukommen.

Brinkert ist Fußballfan. Wer seinen Namen googelt, erhält zahlreiche Treffer zum TuS Haltern, seinem Heimatverein. Brinkert ist dessen Marketingchef – und verfolgt mit dem Klub ambitionierte Ziele. Der TuS Haltern soll sich in Richtung von Athletic Bilbao entwickeln, einem Traditionsverein aus der ersten spanischen Liga, der ausschließlich Spieler aus dem Baskenland unter Vertrag nimmt. Ab der Saison 2021/22 sollen 75 Prozent der Spieler der ersten Haltener Mannschaft aus dem Verein oder aus Haltern kommen. Einer der Initiatoren dieses Ansatzes: Fußball-Weltmeister Benedikt Höwedes, der beim TuS Haltern das Fußballspielen lernte. Höwedes hat in diesem Sommer seine Profikarriere beendet. Er schnuppert aktuell als Trainee bei Brinkert erste Agenturluft.


Update: Die Agentur Raphael Brinkert firmiert ab dem 1. Februar unter dem Namen „BrinkertLück Creatives“, wie das Unternehmen Anfang Januar 2021 mitteilte.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DAS CORONA-JAHR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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