Noch nie in den letzten 20 Jahren meiner Berufslaufbahn als Kommunikationsberaterin folgten so viele Krisen in so rascher Abfolge aufeinander wie in den zurückliegenden Monaten. Für Vorstände und Führungskräfte gleicht der Alltag derzeit eher einem Glaskugel-Lesen und Kommunikateure sowie HR-Expert*innen versuchen, für ihre Mitarbeitenden aller Bereiche zu einem verlässlichen Anker zu werden.
Dieses hohe Maß an Veränderung, an Neuem und Unbekanntem weckt bei fast allen Menschen den Wunsch nach einem starken Partner im Privaten und einer starken und verlässlichen Organisation im Beruflichen, die das eigene Leben in unterschiedlichen Abschnitten partnerschaftlich begleiten kann und will. (Interne)Kommunikateure, Führungskräfte und Change Manager sind deshalb gefragt, die passenden Leitplanken zu setzen und die Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Blick zu behalten.
Was ein bisschen klingt wie aus einem längst vergangenen Jahrzehnt ist aber tatsächlich ein Anspruch, den Mitarbeitende formulieren und auch fordern. Die Arbeitszeit mit der Lebensphase steigen und reduzieren lassen, Sabbaticals nehmen und aus dem Homeoffice arbeiten, in Zeiten nötiger Kurzarbeit eben in diese, und nicht in die Arbeitslosigkeit geschickt werden – das sind Erwartungen, die die Mitarbeitenden an ihre Organisation haben. Dazu gehört auch, in einer Krise zuerst informiert zu werden – bevor Informationen die externen Stakeholder und eine breite Öffentlichkeit erreichen.
In Zeiten von Unsicherheit Halt und Stabilität geben
Politische und wirtschaftliche Unsicherheit beschert den CEOs Kopfzerbrechen, nicht einmal jeder zweite hat für globale Krisen ein Konzept, heißt es in dem fünften „Workforce Attitudes Toward Mental Health Report“ von Headspace. 59 Prozent der Deutschen, heißt es dort auch, haben mindestens einmal wöchentlich Angst vor der Arbeit. Grund hierfür sind neben der Angst vor Verantwortung (47 Prozent) auch die mangelnde Stabilität (46 Prozent). 39 Prozent der Befragten gaben an, sich wegen Künstlicher Intelligenz Sorgen um ihren Arbeitsplatz zu machen.
Unternehmen und ganze Branchen befinden sich in einem immerwährenden Change-Prozess – der nachvollziehbarer Weise für Verunsicherung sorgt. Wir können und sollten müssen sie unterstützen. Aber wie gehen wir dabei am besten vor?
Ein bisschen grundlegende Theorie vorweg: Bekommen Menschen Angst, passieren im Gehirn verschiedene Dinge, die allerdings immer wieder einem Muster folgen. Die Amygdala, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist, wird beispielsweise aktiviert und sendet Signale an andere Teile des Gehirns, einschließlich des präfrontalen Kortex (der für das Denken und Entscheiden sowie für die Kreativität verantwortlich ist) und des Hippocampus (der für das Gedächtnis zuständig ist), versetzt uns also in Unruhe und eine Art Alarmzustand.
Logisch, dass in der Praxis all diese Prozesse dazu führen, dass Menschen sich gestresst fühlen, Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren oder klare Entscheidungen zu treffen. Ebenso führen die ablaufenden Prozesse zu einer verstärkten Wachsamkeit und erhöhten Empfindsamkeit für mögliche Bedrohungen. Eine sachliche, souveräne und konzentrierte Reaktion ist unter diesen Umständen kaum möglich.
Fazit: In der Situation, in der die Menschen die größte Menge an Ruhe und Konzentration benötigen, stehen genau diese ihnen nicht zur Verfügung.
Um böse Überraschungen in Veränderungsprozessen zu vermeiden, ist es für Kommunikatoren also im ersten Schritt hilfreich, sich diese Zusammenhänge bewusst zu machen und sie in ihren Strategien und ihrer Kommunikation zu berücksichtigen.
So gleich und doch so verschieden: unsere Grundbedürfnisse
Die neurologische Wissenschaft spricht von fünf Grundbedürfnissen, die erfüllt sein wollen, damit wir aktiv und in unserer Kraft sind und unser Potenzial voll ausschöpfen können:
- Bindung und Zugehörigkeit
- Lustgewinn und Unlustvermeidung
- Gestaltung und Selbstwirksamkeit
- Orientierung und Sicherheit
- Konsistenz
All diese Motive sollten bei der Planung der Internen Kommunikation berücksichtigt werden – thematisch ebenso wie bei der Wahl der Formate.
Denn unsere Bedürfnisse sind keine „Luxus“-Elemente, um die man sich kümmern kann oder nicht. Im Gegenteil: Sie sind die Grundvoraussetzung dafür, dass wir im Alltag bestmöglich funktionieren können. Das Gefühl von Bindung und Zugehörigkeit beispielsweise beeinflusst, wie wir Feedback aufnehmen und wie wir uns in einer Gruppe positionieren. Lustgewinn und Unlustvermeidung, regeln, wie wir auf Belohnungen oder Bestrafungen reagieren. Gestaltung und Selbstwirksamkeit, Orientierung und Sicherheit, sowie Konsistenz nehmen Einfluss darauf, wie wir Entscheidungen treffen und wie wir Informationen interpretieren und verarbeiten.
Handlungsempfehlungen zur Beziehungspflege
All diese Faktoren entscheiden über Erfolg und Misserfolg in Teams und damit im gesamten Unternehmen. Der Umgang mit Emotionen gehört glücklicherweise zu den ureigensten Kompetenzen der IK. In stressigen Phasen, egal ob in einem Change-Prozess oder einer anderen Krise ist sie eine unverzichtbare Unterstützung.
Sie wollen aktive Beziehungspflege betreiben? Wir empfehlen diese ersten Schritte:
- Ein Check des Status quo: Eine Analyse der aktuellen Situation zur Ableitung allererster Maßnahmen. Das kann beispielsweise eine Umfrage sein, ein Tool-Check, oder ähnliches.
- Ein detaillierterer Blick auf die Mitarbeitenden: Analyse und Auswertung der wirklichen Bedürfnisse sorgt für eine gute Kenntnislage und passende Ableitungen im Anschluss.
- Ein Blick auf die Führungskräfte: Was brauchen sie? Eher selbst Unterstützung oder doch besser Befähigung, ihrer Führungsrolle adäquat nachkommen zu können? Oder Beides? Was genau kann jetzt helfen, die Führungskraft in ihrer Rolle als Kommunikator*in zu bestärken? Führungskräfte sind Treiber von Veränderungen und gleichzeitig meist selbst von ihnen betroffen. Welche Auswirkungen hat es auf den Menschen?
Schon bei den allerersten Schritten sollte das Why erklärt werden. Auch wenn das What und das How noch nicht im Detail bekannt sind. Auch wenn man noch nicht viel sagen kann, sollte man trotzdem sprechen. Dabei geht es nicht primär um Ergebnis- sondern um Prozesskommunikation um Mitarbeitende abzuholen und in die neue Richtung mitzunehmen. Wir alle sind Individuen. Um Zusammenhänge zu verstehen, brauchen wir Einordnungen.
Erste Fragen können sein:
- Welchen Weg können wir wählen, um in einen offenen Austausch mit den Mitarbeitenden zu kommen, um mehr über ihre Motive und Bedürfnisse zu erfahren und auch die eigenen Motive zu sprechen?
- Welches Verhalten und welche Kommunikation sollten wir wählen, um konsistent zu sein und Vertrauen zu erzeugen?
- Welche Tools sind optimal für die Themen, die wir zu kommunizieren haben? Aus welchem Grund wähle ich einen bestimmten Kanal?
- Welche Wege bieten sich an, um möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen den Zusammenhang zwischen Bedürfnissen, Motiven und Motivation zu verdeutlichen?
Die Interne Kommunikation ist keine Umsetzungsabteilung. Sie hat eine beratende Funktion für die Geschäftsleitung – nicht nur in den Phasen des Wandels. Und sie ist maßgeblich erfolgskritisch, deshalb gilt es, sie frühzeitig einzubinden in Phasen der Veränderung.
Unternehmen können Krisen als deutlich weniger belastend erleben, wenn sie Kommunikation und HR frühzeitig in die Organisationsentwicklung einbinden und ihr so die Möglichkeit geben, Herausforderungen schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt mitzudenken.
Die Kommunikation in schwierigen Zeiten gewinnt, wenn sie strategisch geplant und kontinuierlich umgesetzt wird. Umsichtig ausgewählte Botschaften dürfen wiederholt und in den Kontext aktueller Ereignisse entlang der Unternehmensleitlinie gesetzt werden. Eine klare Priorisierung hilft, unnötiges von Wichtigem zu unterscheiden. In unruhigen Zeiten ist ein Zuviel vom Falschen ein zusätzlicher Stressor, der auf die Zielerreichung negativen Einfluss hat und Ressourcen sinnlos bindet.
Auch auf Trial-and-Error-Strategien darf die Kommunikation in diesen Zeiten gern verzichten. Sind erfolgskritische Faktoren unbekannt, schlägt die Stunde der Umfragen, Fokusgruppengesprächen und Feedback-Runden. Wünschen die Mitarbeitenden sich etwa ein wöchentlich aktuelles Statement von der Geschäftsleitung, dann sollte auch genau das angeboten werden.
So aufgestellte Organisation haben es leichter, zu ihren Mitarbeitenden eine enge Bindung zu halten und vertrauensvolle Dialoge zu führen – auch und besonders dann, wenn die Themen komplexer und die Umstände schwieriger werden.
1Workforce Attitudes Toward Mental Health Report (Headspace)