Die große Oberflächlichkeit

Influencer

Herr Schmitt, diese KOM-Ausgabe beschäftigt sich mit Influencern. Sie sind alles andere als ein Fan von Influencern. Was haben Sie eigentlich gegen die?

Schmitt: Nun, der Name sagt es ja schon: Influencer möchten Einfluss ausüben auf andere Menschen. Sie manipulieren. Das ist ein sehr antiaufklärerisches Motiv. Einer aufgeklärten Mediengesellschaft müsste es vielmehr darum gehen, dass man als bürgerliches Subjekt erkennt, welchen Einflüssen man ausgesetzt ist und inwieweit man auch manipuliert wird. Die Influencer regen nicht dazu an, dass sich ihre Follower aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit herausziehen. Sie wollen, dass möglichst unmündige Follower ihren Kauftipps und sonstigen Empfehlungen möglichst unkritisch und blind folgen.

Ihr Buch trägt den Untertitel „Ideologie der Werbekörper“. Worin genau liegt für Sie das Ideologische der Influencer?

Schmitt: Wir befinden uns im westlichen Kapitalismus eigentlich seit 50 Jahren in einer Dauerkrise. Das Marketing ist im Grunde eine Reaktion darauf. Immer geht es darum, Kaufanreize zu setzen und Menschen dazu zu stimulieren, etwas zu kaufen, was sie nicht brauchen. Werbung muss mit dem sogenannten Gebrauchswertversprechen arbeiten, das heißt, sie muss versuchen, an Stellen einen Gebrauchswert herzustellen, an denen der Kunde zunächst gar keinen erkennt. Influencer haben diese Strategie dadurch perfektioniert, dass sie diese unmittelbare Ansprache wählen, also alles mit der eigenen Person verknüpfen. Erstaunlich ist dabei, dass sie es zum größten Teil wirklich so meinen, weil sie natürlich selbst auch Opfer des Konsumkapitalismus sind. Wir können davon ausgehen,
dass Bibi, Julienco (Anmerkung: Bibi und Julian Claßen haben sich vor kurzem öffentlichkeitswirksam getrennt) und Diana zur Löwen außerhalb der sozialen Medien kein komplett anderes Leben führen, in dem sie Bücher lesen und in die Oper gehen. Sie und andere Influencer leben tatsächlich das Leben, das sie via Instagram oder Tiktok inszenieren. Sie sind also Opfer der Ideologie, die sie vertreten, aber zugleich deren Profiteure, weil sie dadurch sehr reich geworden sind.

Die positive Lesart von Influencern wäre, dass mit ihnen Social Media und das Internet insgesamt zu einer Form der Selbstermächtigung finden, in der der einzelne Mensch sich völlig neu entfalten kann. Stimmt das nicht?

Schmitt: Für die sozialen Medien stimmt das bis zu einem gewissen Grad schon, aber nicht für die Influencer. Natürlich hebelt das Internet das klassische Gatekeeper-System ein Stück weit aus. Wir erkennen heute auch, dass die Nische viel wichtiger ist, als das von Redaktionen im Fernsehen oder bei Zeitungen je gedacht wurde. Aber: Was die Influencer machen, negiert das Potenzial des Internets. Das Influencer-System ermöglicht es einzelnen Akteuren, mit einer großen Reichweite einen imposanten Aufstieg hinzulegen und sich selbst zu ermächtigen. Der Preis dafür ist aber, dass alle anderen sich eben nicht selbst ermächtigen, sondern Follower im wahrsten Sinne des Wortes bleiben.

Zwei Kapitel in Ihrem Buch beschäftigen sich mit dem Thema des Körperregimes, Stichworte Körperkult und Fitnesswahn. Ich dachte beim Lesen: Wir leben in einer Gesellschaft, in der viele Menschen übergewichtig sind. Was spricht also gegen eine Ideologie, die dazu führt, dass wir ein paar Bierbäuche weniger auf der Welt haben?

Schmitt: Dagegen hätte ich nichts. Ich würde auch Ihre Diagnose bestätigen, dass wir ein Problem mit Übergewicht haben. Ich bezweifle aber, dass das durch Instagram oder Tiktok abgeschafft wird. Speziell diese beiden sozialen Medien konfrontieren uns mit Idealen, an denen wir selbst nur scheitern können. Und sie tun dies stundenlang. Die durchschnittliche Smartphone- Nutzungsdauer liegt bei 4,8 Stunden. Junge Leute verbringen zwei bis drei Stunden allein auf Tiktok. Dort schauen sie sich die unerreichbaren Ideale an. Danach fressen sie sich vielleicht sogar aus Frust noch voll.

Peter Sloterdijk, den Sie in einem Podcast kürzlich zitiert haben, hat in „Du musst dein Leben ändern“ über den Menschen als Übenden geschrieben. Das heißt, es wäre geradezu die Definition des Menschseins, ständig ins Fitnessstudio zu rennen und an sich zu arbeiten.

Schmitt: Generell ist die Übung an sich selbst nicht schlecht. Ich würde auch nicht jede Form der Selbstoptimierung als neoliberal brandmarken. Aber beim Influencer-Business steht der Körper  deshalb im Mittelpunkt, weil er die perfekte Verkaufsfläche ist, die perfekte Testfläche für Produkte. Es geht nicht darum, einfach nur eine Ästhetik zu bedienen, die man schön findet. Es sind immer handfeste kommerzielle Interessen im Spiel. Wir haben das für unser Buch untersucht: Die Top Ten Global Influencer haben alle den sogenannten perfekten Body. Sex sells.

Was spricht gegen etwas Sexappeal in der Kommunikation? Immerhin beklagen wir, dass unsere Zeit im Zuge immer bissigerer Tugendwächter zunehmend prüde wird.

Schmitt: Was wir heute erleben, ist eine ambivalente Form der Pornografisierung. Zum einen ist Nacktheit auf den Plattformen verboten und Pornografie offiziell strengstens untersagt. Zugleich wohnt man die ganze Zeit der Produktion inszenierter Körper bei. Mit echter Erotik hat das übrigens nichts zu tun. Man muss nur mal die Sommerfotos, die Reise-Influencer dieser Tage posten, mit einem Film wie „La Piscine“ mit Alain Delon und Romy Schneider vergleichen. Dann erkennt man den Unterschied zwischen Pornografie und Erotik.

Dieses Magazin beschäftigt sich mit der Welt der PR-Abteilungen von Unternehmen. In diesen gilt die Influencer-Kommunikation als das neue Ding. Zugleich gibt es dort ein Bedürfnis nach einem besseren Kapitalismus, von dem man ein Teil sein will. In dieser Perspektive ersetzt die Kommunikation mit Influencern die alte Welt der Top-Down-Kommunikation, der asymmetrischen Kommunikation, wie das die Theoretiker James Grunig und Todd Hunt nennen. Ist die neue digitale Bottom-Up-Kommunikation nicht doch das kleinere Übel?

Schmitt: Das vielleicht. Dennoch möchte ich, ohne mich zu stark als Berater von Unternehmen zu gerieren, hinterfragen, ob die Fokussierung auf das Influencer-Marketing Unternehmen wirklich erfolgreicher macht. Was spricht denn gegen die klassischen Werbeauftritte? Ja, Influencer haben eine sehr hohe Reichweite, aber diese bringt doch auch das mit sich, was der Werber „Streuverluste“ nennt.

Wobei sich die Kommunikatoren dagegen verwahren würden, Werbung, Marketing und PR als quasi deckungsgleich zu betrachten.

Schmitt: Mag sein. Und das liegt vermutlich an der von Ihnen angesprochenen Sehnsucht nach einem guten Kapitalismus. Letzte ist etwas, das viele Influencer jetzt als Markt für sich erkannt haben. Influencer sind ja im höchsten Maße darauf angewiesen, glaubwürdig zu sein. Deshalb müssen sie auch darauf achten, Produkte zu bewerben, die in irgendeiner Weise „nachhaltig“ sind. Das mag auch den einen oder anderen positiven Effekt haben, was soziale Standards oder Lieferketten anbelangt. Aber im Großen und Ganzen haben wir es da auch mit einem neuen Gebrauchswertversprechen zu tun. Hier bin ich Marxist. Ich glaube nicht, dass es den Unternehmen wirklich darum geht, eine komplett andere, bessere Form des Wirtschaftens zu erfinden. Ich habe noch kein Unternehmen gesehen, das bereit ist, dauerhaft auf Profit zu verzichten, um irgendwas für die Umwelt zu tun.

Ich möchte noch einmal auf das Verhältnis von Kommunikation und Werbung zurückkommen. Zwei Bereiche, die aus Firmensicht eben doch etwas anderes sind und natürlich auch anders organisiert werden. Kommunikationsabteilungen definieren sich heute oft beinahe als Anti-Werbeabteilungen. Sie nehmen eine Scharnierfunktion zwischen Unternehmen und Gesellschaft ein und vermitteln zwischen Company und den sogenannten Stakeholdern.

Schmitt: Das mag auch dazu führen, dass man kurzfristig Profite anheimgibt, etwa im Sinne der grünen Transformation, weil man antizipiert, dass in den nächsten Jahren Produkte mit Nachhaltigkeitslabel noch viel begehrter sein werden. Das kann eine sehr kluge Strategie sein. Dennoch: Mir leuchtet die strikte Trennung, die Sie da machen, nicht ein. Das Bedürfnis danach mag auch daran liegen, dass viele frühere Journalisten in den PR-Abteilungen arbeiten, die eine gewisse Distanz zur Werbung haben wollen und die Werbebranche ein wenig als diabolisch ansehen, wie der Autor Frédéric Beigbeder in seinem Roman „39,90“. Ich bin hier auf Seiten der Werbeleute. Werbung ist ehrlich. Und sie ist manchmal auch sehr intelligent und kreativ. Zumindest war sie das mal, etwa in den Neunzigerjahren. Das war oft raffiniert, ironisch oder sogar erotisch.

Stimmt, verglichen damit wirkt die heutige, moralgesättigte Werbung und Kommunikation häufig ernst, didaktisch und langweilig eindimensional. Das war in den Neunzigern anders, aber auch schon in den Sechzigern, wenn wir etwa an die ikonischen Kampagnen von Charles Wilp denken.

Schmitt: Absolut. Insofern könnte man sagen, dass der Kapitalismus durch das Bedürfnis, gut zu werden, seine Faszination, seine Kreativität, seine sexy Pose ein bisschen verloren hat.

Ich habe mich mal auch mit der Rezeption Ihres Buches beschäftigt. Da gibt es durchaus auch kritische Rezensionen, zum Beispiel in der Jugendzeitschrift „Jetzt“, quasi einem Zentralorgan der Influencer und ihrer Follower. Dort werden Sie und Ihr Ko-Autor als Waldorf und Statler aus der Muppet Show bezeichnet.

Schmitt: Damit kann ich sehr gut leben. Das sind die ikonischsten Figuren in der Muppet Show. Was mich bei der Rezeption des Buches insgesamt überrascht hat, ist, dass sich Autoren aus dem Feuilleton schwerer mit unserer Kritik tun als Leute aus der Wirtschaft. Die Feuilletons scheinen eine unglaubliche Angst zu haben, altmodisch zu wirken. Also müssen sie alles, was neu ist, umarmen
und toll finden. Am Ende wird dann Tiktok mit Nietzsche verglichen. Und dann gibt es bei jungen Journalisten auch eine große Sehnsucht, selbst wie Influencer zu sein.

Ole Nymoen und Sie betreiben diverse Podcasts, kleiden sich bewusst, inszenieren sich auch. Der Publizist Christian Baron sagt über Sie, Sie seien das unterhaltsamste und kompetenteste Duo seit Bud Spencer und Terence Hill. Sind Sie nicht selbst Influencer?

Schmitt: Nein, da müssen wir bei der Definition genau bleiben. Influencer sind Menschen, die auf den sozialen Medien eine große Reichweite haben, die Dinge, die sie dort tun, aber mit Werbung verknüpfen. Wir machen Inhalte. Bei den Influencern ist die Werbung der Inhalt. Aber klar: In den sozialen Medien ist der Auftritt wichtig und auch die Bindung an Gesichter. Deswegen muss man in gewisser Weise zu einer Marke werden, zu einer „Persona“ im Sinne von „Maske“. Das sind wir sicher auch.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Influencer. Das Heft können Sie hier bestellen.

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