Gut aufpassen

Journalismus

Ob er den Chef des Öl- und Gasförderers Wintershall Dea oder den Vorstandsvorsitzenden von Henkel interviewt: Wenn Jürgen Flauger zu einem Interviewtermin geht, begrüßt ihn nicht nur die Person, mit der er sprechen will. Mit am Tisch sitzt immer auch jemand aus der Kommunikationsabteilung. Für Flauger ist das in Ordnung. „Das ist ja kein Hintergrundgespräch, in dem man absolut vertraulich redet“, sagt der Journalist, der beim „Handelsblatt“ das Ressort Unternehmen und Märkte leitet.

Sowohl in Unternehmen als auch in der Politik ist es ab einer bestimmten Hierarchieebene üblich, dass Sprecher*innen bei Interviews dabei sind – entweder im Raum oder digital zugeschaltet. Während Vorstände und Minister*innen zu Recherche- oder Hintergrundgesprächen, aus denen nur einzelne oder gar keine Zitate verwendet werden, auch schon mal allein kommen, lassen sie sich bei den sogenannten Wortlautinterviews in der Regel von jemandem aus der Presseabteilung begleiten.

Auch Andreas Möller ist bei allen CEO-Interviews dabei. Er leitet die Unternehmenskommunikation des schwäbischen Werkzeugmaschinenherstellers Trumpf, dessen CEO Nicola Leibinger-Kammüller eine viel gefragte Interviewpartnerin ist. Dass in den Gesprächen aufgrund seiner Anwesenheit weniger Vertraulichkeit herrscht, glaubt Möller nicht. „Das zerstört die Vertraulichkeit aus meiner Sicht gar nicht. Sie müssen dezent und diskret
sein, das ist vollkommen klar“, sagt er. „Sie spielen in dem Augenblick keine Rolle, aber das Wissen, das Sie für den Notfall im Köcher haben und dann auch für die Autorisierung mitnehmen, ist schon wichtig.“ Möller lässt immer ein Band mitlaufen und protokolliert das Gespräch.

Das Aufnahmegerät einzuschalten, empfiehlt auch Clarissa Haller, Beraterin bei der Agentur Dynamics Group in Zürich. Sie hat fünf Jahre lang die Unternehmenskommunikation von Siemens unter dem Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser geleitet. Die Anwesenheit der Pressesprecher*innen bei Interviews ist ihrer Meinung nach auch mit Blick auf die spätere Autorisierung sinnvoll. „Kommunikationsverantwortliche sind hier nicht nur Aufpasser, sie geben auch Sicherheit“, sagt Haller. „Und im schlimmsten Fall, wenn es ein unfreundliches Gespräch wird, oder falls es nach dem Gespräch Probleme mit der Freigabe gibt, ist es hilfreich, wenn noch mal zwei zusätzliche Ohren dabei sind.“

Bianca Walther, Sprecherin des SPD-Parteivorstands und des Parteivorsitzenden Lars Klingbeil, hat bei Interviews ebenfalls die anschließende Autorisierung im Blick. „Wenn man Interviews begleitet, bekommt man auch die Zwischentöne mit, weiß, wenn etwas vielleicht bewusst nur im Hintergrund gesagt wird, und kann das für die Autorisierung des Interviews einordnen“, sagt sie. „Häufig werden Interviews ja nicht komplett im Wortlaut aufgeschrieben, sondern für die Leserinnen und Leser zusammengefasst. Dann muss man als Sprecherin für die Freigabe wissen, was vielleicht ausgelassen wurde, aber wichtig ist.“ Beim Zuhören könne sie auch gut einschätzen, welche Sätze zu einer Headline oder einer Ticker-Meldung werden könnten: „Ich bekomme also bereits ein Gefühl für den Text, der am Ende mal in der Zeitung stehen wird.“

Kaffee nachschenken

Jürgen Flauger vom „Handelsblatt“ erlebt es jedoch immer wieder, dass Pressesprecher*innen sich nicht nur mit Fakten einbringen, sondern auch versuchen zu argumentieren. Das kommt bei dem Journalisten nicht gut an: „Das steht dem Kommunikationsverantwortlichen einfach nicht zu. Er ist ja nicht mein Gesprächspartner“, sagt Flauger. Clarissa ller empfiehlt, dass die Kommunikationsleute sich einfach raushalten, wenn es nichts zu sagen gibt. „Dann sitzen sie halt am Rand und schenken den Kaffee nach.“

Die anschließende Autorisierung hat sich hierzulande ebenfalls etabliert. Sabia Schwarzer (heute Merck) sorgte 2015 für Aufsehen in der PR-Branche, als sie kurz nach ihrem Antritt als Kommunikationschefin der Allianz verkündete, sich Interviews nicht mehr zur Freigabe vorlegen zu lassen. Die Journalistenseite begrüßte das. Schwarzer kam gerade aus den USA, wo es eine vergleichbare Autorisierungspraxis nicht gibt.

Journalist Flauger findet Autorisierungen hilfreich: „Ich weiß, dass viele das kritisch sehen. Aber ein Interview kann man ja eh nicht eins zu eins aufschreiben. Man muss ein bisschen umformulieren, damit es lesbar ist – und man hat meiner Meinung nach eher die Möglichkeit, etwas pointierter zu formulieren.“

Seine Journalistenkollegin Tina Hildebrandt sieht das anders. Für die Leiterin des „Zeit“-Politikressorts ist das Autorisieren „eine große Krankheit“. Inzwischen werde versucht, sehr viel darüber zu steuern. Zum Teil würden Interviewpartner im Hintergrund das Gegenteil dessen sagen, was sie „on the record“ formulieren. „Das ist ein Problem für uns Journalisten“, sagt Hildebrandt. „Wir sind ja der Realität verpflichtet und nicht den Erfindern irgendwelcher Narrative.“ Politikerinterviews seien ohnehin schwierig, weil Politiker in der Öffentlichkeit auf einem verminten Feld agieren. „Die Vorsicht hat zugenommen“, sagt Hildebrandt. Sie vermutet, dass das am schnelleren Medientempo liegt und daran, dass einmal Gesagtes im Internet jederzeit wieder abrufbar ist.

Im Vergleich zu anderen journalistischen Formaten haben Presseabteilungen bei Interviews die größtmögliche Kontrolle – bis auf Überschrift, Vorspann und eventuelle Kurztexte wird ihnen der gesamte Text vorgelegt, bei anderen Formaten ein journalistisches No-Go. Versuche, bei der Freigabe einzugreifen, können aber auch nach hinten losgehen: Als Olaf Scholz 2003 als SPD-Generalsekretär der „taz“ ein Interview gab und später die Freigabeverweigerte, druckte die Tageszeitung kurzerhand nur die Fragen – mit geschwärzten Antworten und einem Begleittext, der unter anderem offenlegte, dass der später eingeschaltete Leiter der Pressestelle mit dem Rauswurf der „taz“ aus allen Hintergrundkreisen gedroht hatte.

Den größten Einfluss hat eine Kommunikationsabteilung nach Einschätzung von „Handelsblatt“-Journalist Flauger auf den Zeitpunkt, zu dem das Gespräch stattfindet. „Die haben natürlich schon ihre Vorstellung, wie sie die Auftritte ihrer Manager orchestrieren“, sagt Flauger. „Wenn wir in einem kritischen Moment ein Gespräch anfragen, bekommen wir oft eine Zusage, weil wir ein wichtiges Medium sind – aber manchmal müssen wir auch verhandeln.“

Natürlich können Unternehmen und Politik heute eigene Beiträge in den sozialen Medien veröffentlichen, über die sie die volle Kontrolle haben. Bei Trumpf sieht man das Print-Interview aber nach wie vor als „Königsdisziplin“. Trumpf-Vorständin Nicola Leibinger-Kammüler geht nicht in Talkshows, schreibt nichts auf Linkedin, twittert nicht. „Das ist auch eine Typenfrage“, sagt Möller. „Meine Chefin ist sehr outspoken. Aber dafür braucht es einen Raum der Vertraulichkeit.“ Er finde die geschützte Atmosphäre bei einem Interview besser als eine Talkshow, sagt Möller: „Man kann einen Gedanken zu Ende denken. Am Schluss kommt ein Text ins Blatt, der auch sprachlich abgewogen erscheint. Das finde ich unabhängig von Reichweitenfragen ein zeitloses, seriöses Genre inmitten all der aufgeheizten Debatten.“

Beim „Handelsblatt“ sind die Anforderungen an ein solches Gespräch hoch, erklärt Ressortleiter Flauger: Interviewte sind meist auf CEO-Level. Es muss einen Anlass für das Interview geben und es müssen auch spannende Antworten dabei herumkommen. „Das Interview ist für beide Seiten ein prominentes Format“, sagt Flauger. „Wenn es nur darum geht, irgendwelche Fakten abzufragen, bieten sich andere Formate an.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Live und Events. Das Heft können Sie hier bestellen.

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