Bundesgesundheitsministerium erzählt neue Variante der Kampagnenvergabe

Ich schütze mich

Zu den widersprüchlichen Erklärungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) bezüglich der Vergabe des Auftrags für die Coronakampagne „Ich schütze mich“ an die Agentur BrinkertLück ist eine weitere Variante hinzugekommen. Bislang hatte das Lauterbach-Ministerium behauptet, es hätte auf Basis des bis Ende Oktober 2022 bestehenden Rahmenvertrags mit Scholz & Friends selbst die Agentur des SPD-Campaigners Raphael Brinkert beauftragen dürfen – per Unterauftrag. Voraussetzung: Der eigentliche Vertragspartner für Kommunikationsdienstleistungen – Scholz & Friends – hätte dieser Unterbeauftragung zugestimmt. Von dieser Geschichte ist das Ministerium inzwischen abgewichen und präsentiert jetzt eine neue Version.

Rückblick: Wörtlich hieß es von Seiten des Ministeriums im Dezember in einer Antwort an die Bundestagsfraktion von CDU/CSU noch: „Zur Erfüllung der abgerufenen Leistungen können auch Dritte (Unterauftragnehmer) in Anspruch genommen werden. Die Inanspruchnahme von Unterauftragnehmern ist mit der Auftraggeberin abzustimmen. Dabei können einzelne Aufgabenstellungen im Einvernehmen mit der Auftragnehmerin auch unmittelbar von der Auftraggeberin mit einem Unterauftragnehmer abgestimmt werden“. Das Bundesministerium ignorierte dabei konsequent, dass es ein Einvernehmen mit Scholz & Friends nicht gibt. Die Werbeagentur hat vielfach betont, selbst keinen Unterauftrag an BrinkertLück vergeben und einer direkten Beauftragung durch das BMG auch nicht zugestimmt zu haben.

Das Bundesgesundheitsministerium nutzte dabei aus, dass der finale Rahmenvertrag mit Scholz & Friends nicht öffentlich zu sein schien. Ministeriumsaussagen waren somit weder von Abgeordneten des Bundestages noch von Medien überprüfbar.

In Wahrheit sind die Ausschreibungsunterlagen aus dem Jahr 2020 inklusive eines Vertragsentwurfs auf der Website „Frag den Staat“ einsehbar. Wie Ministeriumssprecher Hanno Kautz gegenüber KOM bestätigte, handelt es sich hierbei um den Originalvertrag. Es fehlen lediglich Ergänzungen wie die Honorarsätze von Scholz & Friends. „Der im Vergabeverfahren veröffentlichte Vertragsentwurf ist mit der Zuschlagserteilung an Scholz & Friends Vertragsgegenstand geworden“, so Kautz in seiner Antwort wörtlich.

Aus § 17 des Vertrages – „Unteraufträge“ – ergibt sich, unter welchen Voraussetzungen solche Aufträge vergeben werden dürfen. Entscheidend hier: Geregelt ist, dass die Auftragnehmerin – Scholz & Friends – Unteraufträge vergeben kann. Voraussetzung: Das Bundesgesundheitsministerium muss der Unterbeauftragung zustimmen – „mittels einfacher E-Mail Form“. Das ist bei solchen Verträgen der übliche Weg. Eine Agentur soll Dienstleister mit Spezialkompetenzen hinzuziehen können. Das Ministerium will aber wissen, wer die anderen Dienstleister sind. Deshalb der Zustimmungsvorbehalt.

Umdeutung des Zivilrechts

Die neueste Erzählung des Ministeriums ist jetzt eine andere. Sprecher Kautz: „Der rahmenvertraglich vorgesehene Zustimmungsvorbehalt zugunsten des BMG wird nur für Unterbeauftragungen, die von Scholz & Friends initiiert werden, praktisch relevant. Initiiert dagegen das BMG die Unterbeauftragung, erteilt es damit implizit auch seine Zustimmung. Rechtlich gesehen ist Vertragspartner des Unterauftragnehmers immer der Auftragnehmer selbst.“ Das Ministerium behauptet also, seinen eigenen Unterbeauftragungen selbst zustimmen zu können – eine verblüffende Auslegung des Zivil- und Vergaberechts.

In der Praxis würde das folgendes bedeuten: Das Bundesministerium hätte beliebig Verträge mit anderen Agenturen schließen können, unabhängig davon, ob der Auftragnehmer Scholz & Friends das wollte oder nicht. Scholz & Friends – oder andere Dienstleister des Ministeriums – würden somit weitgehend die Kontrolle über ihre geschäftliche Tätigkeit verlieren. Das Ministerium könnte ihnen ohne Rücksprache Verträge aufladen und eine Agentur im Extremfall in die Zahlungsunfähigkeit treiben. „Rechtlich gesehen ist Vertragspartner des Unterauftragnehmers immer der Auftragnehmer selbst“ bedeutet genau das: Der Unterauftragnehmer erbringt Leistungen. Der Auftragnehmer (beispielsweise Scholz & Friends) müsste die Rechnungen für Verträge bezahlen, die er gar nicht schließen wollte. Die Rahmenvertragsagentur selbst würde von den im Vertrag festgelegten Betrag im ungünstigsten Fall keinen Cent sehen, weil alles bei Unterauftragnehmern landet.

Auf die Frage an das Ministerium, an wen BrinkertLück seine Rechnungen gestellt hat, antwortet Sprecher Kautz: „Zur Beschleunigung und Vereinfachung der Abläufe wurde vereinbart, dass das BMG zur Abwicklung des Unterauftrags unmittelbar mit BrinkertLück kommunizieren kann. Die Abrechnung erfolgte somit direkt durch das BMG.“ Auf die Nachfrage, mit wem das denn vereinbart wurde, reagierte Kautz nicht. Mit Scholz & Friends dürfte eine Vereinbarung nicht erfolgt sein. Die Agentur versichert weiterhin, sie sei in die Beauftragung von BrinkertLück nicht involviert gewesen und hätte vom Vorantreiben von „Ich schütze mich“ praktisch nichts gewusst. Warum sollte sie dann mit dem Ministerium Zahlungsmodalitäten vereinbart haben? Abwegig.

Sprecher Kautz verweist auf ein angebliches mündliches „Einvernehmen bezüglich dieser Unterbeauftragung“ mit Scholz & Friends, das seinen Worten nach am 25. Juli 2022 erzielt worden sei. Scholz & Friends sagt hingegen, „dass es auch zu keinem Zeitpunkt eine mündliche Unterbeauftragung einer dritten Agentur“ gegeben habe. Der Vertragstext legt nahe, dass es hierfür zumindest der „einfachen E-Mail-Form“ und damit der Schriftform bedurft hätte, was bei Behörden der übliche Weg ist und bei einem Volumen von rund 800.000 Euro, die an BrinkertLück geflossen sind, erst recht. Die Kampagnenkonzeption mit 84 Testimonials war zudem Grundlage für die Schaltung von Werbung in Höhe von mehr als 30 Millionen Euro. Über die Möglichkeit, mündliche Vereinbarungen zu treffen, sagt der Rahmenvertrag nichts.

Der Linken-Abgeordnete Sören Pellmann hat mehrfach Fragen an das BMG zur Kampagnenvergabe gerichtet und der „Welt am Sonntag“ zufolge Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schon vor Wochen aufgefordert, Nachweise für eine saubere Untervergabe zu erbringen. Andernfalls sei der Vorgang „ein Sachverhalt für die Staatsanwaltschaft“. Im Raum steht die Verschwendung von Steuergeldern; Untreue. Wie bei den Maskendeals.

Der Punkt für eine juristische Aufklärung könnte erreicht sein. Der Vertrag liegt offen. Scholz & Friends kann zur Aufarbeitung nichts weiter beitragen. Der Agentur würde sonst eine Vertragsstrafe seitens des BMG drohen. Außerdem scheint sie selbst keine Unterlagen über die Unterbeauftragung zu besitzen. Bisher haben weder das Bundesgesundheitsministerium noch BrinkertLück gegenüber dem Bundestag oder Medien Nachweise über eine saubere Vergabe erbringen können.

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