Bundesministerium für Gesundheit, BrinkertLück und Widersprüche ohne Ende

Coronakampagne

Anfang Januar veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) den letzten Spot aus der Kampagne „Ich schütze mich“. Es war Nummer 84. Rentnerin Gisela erklärt in dem 20 Sekunden langen Video, dass sie sich schütze, damit am Ende alles gut werde. Dem Robert Koch-Institut zufolge wurden seit dem Start von „Ich schütze mich“ am 14. Oktober rund 4,8 Millionen Impfungen gegen eine Covid-19-Erkrankung verabreicht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dürfte sich deutlich mehr erhofft haben.

Inzwischen liegen mehrere Antworten des Bundesgesundheitsministeriums auf Anfragen von Bundestagsabgeordneten sowie der Fraktionen von CDU/CSU und AfD zur Vergabe des Auftrags für die Kampagne an die Agentur BrinkertLück Creatives vor. Die im Namen der Parlamentarischen Staatssekretärin Sabine Dittmar verbreiteten Auskünfte haben eines gemeinsam: Sie gehen oft nur am Rande auf die gestellten Fragen ein. In der Gesamtheit verstärken sie die Annahme, dass die Beauftragung von BrinkertLück an Scholz & Friends (S&F) vorbei nicht rechtmäßig gewesen sein könnte.

Der Rahmenvertrag für Kommunikationsdienstleistungen des BMG lag bis Ende Oktober 2022 bei S&F. Ohne eine neue Ausschreibung hätte die Agentur somit auch eine weitere Kampagne des Ministeriums zum Thema Corona umsetzen müssen. Alternativ hätte Scholz & Friends einen Unterauftrag an eine andere Agentur vergeben oder sich einen Partner suchen können. Um den bestehenden Rahmenvertrag für eine Direktbeauftragung einer anderen Agentur nutzen zu können, wäre die Mindestanforderung an das Bundesgesundheitsministerium gewesen, dass Scholz & Friends als Hauptvertragspartner diesem Geschäft zustimmt. Könnten Ministerien nach Lust und Laune Aufträge in beliebiger Höhe an Dienstleister vergeben, bräuchte es keine Ausschreibungsverfahren mehr.

Unterauftrag direkt vom Ministerium

Zustimmung – diese gibt es von S&F zu dem Brinkert-Deal weder in schriftlicher noch mündlicher Form. Die Agentur bleibt bei ihrer bereits vor Monaten getätigten Aussage, weder einen Unterauftrag an BrinkertLück vergeben noch einer direkten Beauftragung durch das Gesundheitsministerium zugestimmt zu haben. Diese öffentlich bekannte Tatsache klammert das Ministerium in seinen Antworten auf die Oppositionsfragen aus, obwohl mit „Welt“ und „Bild“ zwei reichweitenstarke Medien darüber berichtet haben.

In seinen Ausführungen benennt das BMG sogar selbst, warum die Vergabe des Auftrags an BrinkertLück nicht korrekt gewesen sein kann. Zitat aus der Antwort an die CDU/CSU-Fraktion: „Dabei können einzelne Aufgabenstellungen im Einvernehmen mit der Auftragnehmerin auch unmittelbar von der Auftraggeberin mit einem Unterauftragnehmer abgestimmt werden (Konzeption und/oder Realisierung der abgerufenen Leistung).“ Genau dieses Einvernehmen liegt nicht vor, wie Scholz & Friends in der aktuellen „Welt am Sonntag“ erneut betont.

Dass hier ein Problem vorliegt, scheint das BMG inzwischen erkannt zu haben. Darauf deutet der anfängliche Versuch hin, den Eindruck zu erwecken, dass sich eine Zustimmung von Scholz & Friends aus konkludentem Handeln ableiten lasse – nach der Devise, die Agentur sei informiert gewesen und hätte stillschweigend Brinkerts Kampagne zugestimmt.

Das Ministerium erklärte in einer Antwort auf eine Frage des Linken-Abgeordneten Sören Pellmann nämlich folgendes: „Ein erstes Abstimmungsgespräch zwischen den beteiligten Agenturen fand bereits am 25. Juli 2022 statt. Die Rahmenvertragsagentur Scholz & Friends hat somit Kenntnis von der Erarbeitung der Kampagne ‚Ich schütze mich‘ durch die Agentur BrinkertLück Creatives.“ Kenntnis gleich Zustimmung? Eine gewagte These. In einer weiteren Antwort an Pellmann vom 16. Januar ist nur noch von einer „Anzeige bei der Rahmenvertragsagentur Scholz & Friends“ die Rede. So berichtet es die „Welt am Sonntag“.

Die Bewertung des gemeinsamen Termins widerspricht sowieso der von Scholz & Friends. Der Agentur sei nach dem Treffen am 25. Juli nicht klar gewesen, dass BrinkertLück eine Kampagne entwickeln werde, heißt es dort. Und damit auch nicht, dass die Beauftragung über den bestehenden Rahmenvertrag erfolgen soll. Dafür, dass am 25. Juli nichts Konkretes vereinbart wurde, spricht zudem eine Antwort des Bundesgesundheitsministeriums vom 25. August auf die KOM-Anfrage, wann die neue Coronakampagne starte und welche Agentur mit im Boot sei. „Es gibt zwar erste Gespräche, einen festen Vertrag gibt es allerdings noch nicht, entsprechend liegt auch noch kein Zeitplan vor“, schrieb damals ein Sprecher.

Hintergrund der Anfrage: Wenige Tage nach dem Treffen, am 29. Juli, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einer ARD-Sendung gesagt, das Ministerium werde zur Aufklärung über Long Covid eine „sehr innovative Agentur einsetzen, die zum ersten Mal in diesem Zusammenhang etwas für uns macht”. Er dürfte BrinkertLück gemeint haben. Die Agentur hat sich in SPD-Kreisen aufgrund des letzten Bundestagswahlkampfes einen guten Ruf erarbeitet.

Welches Interesse sollte Scholz & Friends daran gehabt haben, dass BrinkertLück eigenständig für das BMG eine Coronakampagne entwickelt? S&F hätte auf ein Honorar im mindestens hohen sechsstelligen Bereich verzichtet. 594.000 Euro Agenturhonorar – 71.000 Euro für Strategie und Koordination sowie 523.000 Euro für Entwicklung und Realisierung – sind dem BMG zufolge an BrinkertLück geflossen. Dazu knapp 200.000 Euro für Fremdkosten. Der Auftrag an BrinkertLück schadet zudem der Reputation von Scholz & Friends. Das Ministerium signalisiert hiermit, dass man es der vielfach ausgezeichneten Agentur nicht zutraute, nach den zwei unglücklichen Vorgängerkampagnen eine in ihrer Komplexität überschaubare neue Kommunikationslinie zu entwickeln.

Unklar ist, warum das Bundesgesundheitsministerium Scholz & Friends und BrinkertLück nicht zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit animiert hat. Agenturgründer Raphael Brinkert hat lange für S&F gearbeitet. Beide Agenturen haben sogar gemeinsam um den neuen Rahmenvertrag gepitcht, der zum 1. November 2022 in Kraft trat und am Ende von der Agentur IFOK gewonnen wurde. Warum blieb Scholz & Friends bei „Ich schütze mich“ außen vor?

Das BMG erklärt zum Zeitpunkt der Beauftragung: „Auf der Grundlage der erfolgten Abstimmung legte die Auftraggeberin gegenüber der Agentur BrinkertLück Creatives mit Schreiben vom 26. September 2022 die Einzelheiten zur Realisierung der Kommunikationslinie ‚Ich schütze mich‘ fest.“ Das kollidiert wiederum mit anderen Aussagen des Ministeriums: „Für die Kampagne ‚Ich schütze mich‘ wurde die Agentur BrinkertLück Creatives zusätzlich für den Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. Dezember 2022 auf der Basis des genannten Rahmenvertrags hinzugezogen.“ Am 25. August hieß es noch von einem Ministeriumssprecher, es gebe gerade mal erste Gespräche. Der Vertrag scheint rückdatiert worden zu sein.

BrinkertLück hätte demnach auf Basis einer mündlichen Absprache mit dem Ministerium damit begonnen, eine Kampagnenstrategie zu entwickeln und einige Videos vorzubereiten. Am 14. Oktober wurde die Kampagne in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Erste Videos waren da bereits fertig.

Vertragspartner wechselte

Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auftragsvergabe ergeben sich zusätzlich aus der Tatsache, dass seit dem 1. November nicht mehr Scholz & Friends die Rahmenvertragsagentur des BMG ist. Diese ist jetzt IFOK.

Der BrinkertLück-Auftrag lief nach Ministeriumsangaben bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres. Die 84 Videos entstanden peu à peu. Zwischen dem 1. November und 31. Dezember sind Kosten angefallen – zum Beispiel die 100 Euro Aufwandsentschädigung für jeden der Video-Protagonisten. Wie sollen die abgerechnet worden sein, wenn nicht über den IFOK-Rahmenvertrag? Dass ein Untervertrag des Ministeriums mit BrinkertLück auf Basis des IFOK-Rahmenvertrags nach dem 1. November bestand, bestätigte eine Ministeriumssprecherin KOM Mitte Dezember.

Wie Scholz & Friends erklärt auch IFOK auf Anfrage, im Zusammenhang mit „Ich schütze mich“ selbst keinen Untervertrag mit BrinkertLück geschlossen zu haben. Bei der später eingereichten Frage, ob man einem direkten Untervertrag des Ministeriums mit BrinkertLück zugestimmt habe, war es mit der Auskunftsfreude dann vorbei. IFOK beantwortete diese Frage nicht mehr. In der Zwischenzeit war ein „Welt“-Artikel erschienen, der die Zustimmungsfrage als rechtlichen Knackpunkt ausmachte.

Inwieweit war Minister Lauterbach selbst in den Vergabeprozess involviert? „Die öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen im Rahmen der Corona-Kommunikation werden regelmäßig nur dann realisiert, wenn ihnen die Leitung des Hauses zugestimmt hat“, erklärt dazu das Ministerium. Coronakommunikation ist Chefsache.

Die Opposition im Bundestag erwartet jetzt Aufklärung. Der Linken-Abgeordnete Sören Pellmann forderte den SPD-Minister der „WamS“ zufolge nun auf, Nachweise für eine saubere Untervergabe zu erbringen. Sonst sei der Vorgang „ein Sachverhalt für die Staatsanwaltschaft“.

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