“Niemand ist zur Leaderin geboren”

Führungskompetenz

Sie nannten ihn Rambo“ (SZ), einen „wilden Choleriker“, der sich „der Macht zu sicher“ sei. Die Karriere des Kommunikationschefs Michael Ramstetter endete 2014 mit einem medialen Verriss. 15 Jahre lang hat Ramstetter die Außendarstellung des ADAC verantwortet und die Zeitschrift „Motorwelt“ geführt. Bis er den Automobil-Club in eine Krise stürzte, weil er die Auszeichnung „Gelber Engel“ manipuliert hatte. Mit dem Skandal trat zu Tage, was für ein Chef Ramstetter war. „Die Zeit“ berichtete vom „Gutsherrenstil“. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb über einen Menschen, der seine Macht auskostet und missbraucht, der so viele Feinde im Haus hatte, dass seine Verfehlungen nach außen traten und zu seinem Karriereaus führten. Schlechte Führung kann zu schlechter Presse führen. Ram-stetter ist der Beleg dafür.

Kommunikationsverantwortliche beschäftigen sich heute sehr intensiv damit, was es bedeutet, eine gute Führungskraft zu sein. „Ich glaube, dass man nur dann authentisch kommunizieren kann, wenn man sich mit Leadership auseinandersetzt“, sagt Kerstin Maria Rippel, Bereichsleiterin Kommunikation und Politik beim Netzwerkbetreiber 50Hertz. „Kommunizieren bedeutet nicht nur, die richtigen Worte zu finden, sondern auch vorzuleben, was man erzählt.“

Führungskräfte sollen Vorbilder sein. So steht es in diversen Richtlinien, ob bei BASF oder der Bayerischen Staatskanzlei. In Zeiten, in denen Organisationen „Purpose“ in den Mittelpunkt stellen, gehören Werte für das Miteinander dazu. Das betreffe jede Führungskraft, sagt Rippel, aber die Kommunikationsleitung ist sichtbar und prägt das Bild eines Unternehmens. „Es geht darum, nach außen darzustellen, was man nach innen bewirkt, und umgekehrt. Die Führungsrolle ist ein Vehikel, um Werte zu setzen, für die ein Unternehmen steht. Eine Kommunikationsleitung ohne Rückgrat und Werte kann heute nicht mehr funktionieren“, sagt sie.

Narzissten vergiften das Klima

Glaubt man den Zahlen einer Studie des Personalunternehmens Zortify unter knapp 10.000 Personen aus Deutschland, wird das schwer: Trotz zahlreicher Debatten um mehr Werte und „New Work“ nehme der Narzissmus in Führungsetagen zu. Narzissten seien rücksichtlos und manipulativ, sie könnten Unternehmen vergiften, heißt es. Um ein toxisches Verhalten zu verhindern, sollten Unternehmen bereits im Recruiting auf diese Aspekte achten und mit regelmäßigem Feedback und Coaching helfen, eine positive Kultur zu verankern, so die Studie.

„Niemand ist zur Leaderin geboren“, sagt Rippel. Sie selbst habe das Gefühl gehabt, ein gut funktionierendes Team zu haben, im Feedback aber festgestellt, dass es das anders sah. Als Juristin und Journalistin habe sie zwar gelernt, Leistung und klare Kommunikation in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen, aber einen wichtigen Aspekt vernachlässigt: „Man kann nur dann sachlich gut zusammenarbeiten, wenn es auch auf der Beziehungsebene stimmt.“ Deadlines und KPIs sind nur ein Teil des Erfolgs. „Wenn ich nur in die Sach- und nicht auch die Beziehungsarbeit investiere, habe ich bald kein Team mehr, um zu kommunizieren.“ Nicht ein „Kuschelkurs“ sei das Ziel, sondern ein „respektvoller und wohlwollender“ Umgang, so dass auch negatives Feedback möglich ist, aus dem man lernt.

Kerstin Maria Rippel ©50Hertz
Kerstin Maria Rippel ©50Hertz

Feedback einzuholen, ist das eine. Es anzunehmen und etwas zu ändern, das andere. Oft verschwinden Evaluationsbögen in Schubladen. Beim Hotelunternehmen Upstalsboom war das auch so, bis Unternehmer Bodo Janssen die Geschäfte übernahm und geschockt war von den Ergebnissen einer Mitarbeiterbefragung. Er ging mit der Führungsriege in ein Kloster und startete einen internen Kulturwandel, den er in die Öffentlichkeit trug. Er bezeichnete sich selbst als „Flop-Manager“ und begeisterte Medien wie den „Spiegel“, „Brand Eins“ oder die „WirtschaftsWoche“ mit seiner Selbstkritik.

„Zu einer starken Führungspersönlichkeit gehört, sich als Mensch mit Schwächen zu zeigen, der zugeben kann, wenn einmal etwas nicht klappt“, sagt Rippel. Auch sie hat die Kritik an ihrem Führungsstil genutzt, um ihn zu ändern, und gemeinsam mit dem Team Maßnahmen entwickelt, um besser zu werden. „Es geht darum, im Team zu lernen, sich regelmäßig offenes Feedback zu geben, statt durch die Gänge zu schleichen und zu tuscheln, wenn einem etwas nicht passt.“

366 Milliarden Dollar für Leadership

Für eine positive Führungs- und Fehlerkultur ist die Zusammenarbeit mit der Personalabteilung wichtig. Sie entwickelt Mechanismen wie das 360-Grad-Feedback und Lösungen, um mit Defiziten umzugehen, oft gemeinsam mit Coachs. Der weltweite Markt für Leadership-Trainings liegt bei etwa 366 Milliarden US-Dollar, schrieb „Forbes“ im Jahr 2019.

Auch Patrick Kammerer erlebt, dass die Leadership-Qualität in den Mittelpunkt rückt und kein Randaspekt mehr ist. Er hat über 20 Jahre Führungserfahrung, die letzten zehn Jahre in leitenden Kommunikationspositionen bei Coca-Cola. Inzwischen betreut er als Director Strategic Communications Europe 41 Länder von Großbritannien bis Russland und ist Teil eines Teams von über 100 Leuten. Sein Führungsstil sei über die Jahre dialogischer geworden, erzählt er. Es gehe nicht mehr darum, Arbeitsaufträge zu verteilen und Anweisungen zu geben, sondern eine „gemeinsame Vision“ zu erarbeiten und Mitarbeitende zu stärken, eigene Lösungen zu finden und umzusetzen.

„Ein guter Leader sorgt dafür, dass die Menschen im Team ihre Stärken einsetzen und ihre Perspektiven einbringen können. Ein großer Teil meiner Zeit und meines eigenen Trainings besteht darin, dem Team zu helfen, alternative Ansätze durchzudenken und sich für den jeweils besten zu entscheiden, statt Lösungen vorzugeben. Ich liefere nicht die Antwort, sondern stelle viel mehr Fragen als früher. Das kostet zwar mehr Zeit und Kraft, führt aber auf Sicht zu besseren Ergebnissen“, sagt er. „Nicht zuletzt verändert es die Kultur. Dieser Führungsstil fördert Ownership bei Mitarbeitenden. Er verlangt vom Unternehmen zugleich den Mut zum Experiment.“

Jenseits von Krisen, bei denen es auf klare, schnelle Schritte ankommt, sind Direktiven also passé. Bei Coca-Cola gilt die Regel „Invite and allow everyone to be their true and best selves“. Jede und jeder soll „das Beste in sich mobilisieren“. Um das zu gewährleisten, war Kammerer vor vier Jahren auf der Coca-Cola University, hat im Vorfeld nach 360-Grad-Feedback eine Analyse seiner Stärken und Schwächen bekommen und mit Coachs trainiert, Angestellte coachend zu führen und weiterzuentwickeln, statt sie anzuweisen.

Ehrlichkeit schlägt ­Hierarchie

Ob es funktioniert, zeigt sich für Kammerer dank der Digitalisierung schnell, wenn zum Beispiel in geteilten Online-Dokumenten alle Mitglieder im Team arbeiten und eine Pressemitteilung oder einen Gastbeitrag weiterentwickeln. Leistung und das Engagement seien so „in Echtzeit sichtbar“.

Nicht nur intern wird deutlich, wie gut das Versprechen modernen Leaderships funktioniert. Zwar sind Kommunikatorinnen und Kommunikatoren gewohnt, Botschaften zu kommunizieren, die nicht ihre sind. Doch überzeugend ist das nicht unbedingt. „In einer Kultur, in der es einen direktiven, streng hierarchischen Führungsstil gibt, sind die Pressesprecherinnen und Pressesprecher manchmal erkennbar nur die Aufsager von Botschaften der Zentrale“, so Kammerer. Und: „Man kann nur sein bestes Selbst sein, wenn man an der Entstehung der Botschaft, die man verbreitet, auch beteiligt war.“
Ehrlich zu sagen, was einen umtreibt, kann in manchen Situationen heikel sein. Der Versicherungsriese Allianz musste sich Ende des letzten Jahres gegenüber Medien rechtfertigen, weil er intern sein Olympia-Sponsoring reflektierte. Die „FAZ“ zitierte einen anonymen Manager. Öffentlich hinterfragte der Konzern seine Haltung nicht. Das wahre und das beste Selbst zu sein, hat seine Grenzen in der Kommunikation.

Kunden erwarten nicht, dass Unternehmen perfekt sind, hat Donald Porter, Vice President von British Airways, einmal gesagt. Sie machen Fehler. Bestenfalls reparieren sie sie. Bodo Janssen von Upstalsboom hat das gemacht. Was als Selbstkritik begann, ist heute ein Versprechen, ein neuer Markenkern. Upstalsboom überlegt zurzeit, den Kulturwandel in den Mittelpunkt seines Außenauftritts zu stellen und nicht mehr auf eine Webseite auszulagern, wie es heute der Fall ist, erklärt Johanna Brons. Sie ist verantwortlich für die Kommunikation bei Upstalsboom. Aber: „Je mehr wir es nach außen tragen, desto höher ist die Messlatte, die wir setzen. Wir haben unterschiedliche Standorte und Häuser, in denen sehr viele sehr unterschiedliche Menschen arbeiten. Wir wollen sie nicht unter Druck setzen, indem sie sich permanent an einem Versprechen messen lassen müssen, das für uns wichtig ist.“

Das ist vielleicht die Konsequenz und der Konflikt für die Kommunikation: Es gibt keine Perfektion. Leadership bedeutet, einen großen Teil der Kontrolle und Macht abzugeben, die für viele Führungskräfte lange Zeit verlockend war und mitunter noch heute ist – nicht nur für einen Michael Ramstetter, der vor acht Jahren sich und den ADAC in eine Krise stürzte.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Leadership. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel