Jedes Jahr am 8. März ist es so weit: Unternehmen feiern die Gleichberechtigung. Es gibt dann in zahlreichen Organisationen rote Rosen für Mitarbeiterinnen sowie lobende Worte vom Vorstand. Berlin hat den Internationalen Frauentag sogar zu einem arbeitsfreien Feiertag gemacht. Der 8. März dient häufig als Aufhänger für zahlreiche Kommunikationsmaßnahmen. Es gibt eine Barbie-Sonderedition und Marketingaktionen. Rabatte für Mode, Kosmetik und Schmuck sowieso. Und es gibt Posts auf Twitter, Linkedin und Facebook, in denen Firmen die Gleichberechtigung loben.
Spätestens seit 2019 ist die Misere um den 8. März klar: Die Immobilienmakler von Engel & Völkers haben Frauen mit einem Tweet wertschätzen wollen, in dem nur leider allein die rein männliche Chefetage auf einem Dach posiert und über „weibliche Vorbilder“ spricht. Es folgten Kritik, Häme und eine Entschuldigung.
2022 twitterte die Stadtpolizei Zürich: „Haare hoch und los geht’s. Wir wünschen unseren Kolleginnen einen schönen Internationalen Frauentag.“ Nicht nur Kolleginnen ohne lange Haare fühlten sich davon wenig angesprochen.
Die Drogeriekette Rossmann hat sich 2018 zum 8. März in Rossfrau umbenannt und ihrem Zentaur Haare und Brüste wachsen lassen. „Zu viel Klischee, zu wenig Engagement“ lautete die Resonanz. Seit 2019 unterstützt die Drogeriekette lieber ein Frauen-Hilfstelefon.
Die UN hat kein Patent, aber Werte
Einmal im Jahr im Mittelpunkt stehen: Dafür sind Welt- und Gedenktage da. Sie sollen daran erinnern, dass Frauen für Gleichberechtigung gekämpft haben oder Menschenrechte (Dezember) erklärt wurden. Sie thematisieren die Bedeutung des Hörens (März) und Sehens (Oktober), der Blutspende (Juni) und des Butterbrots (September). Die Liste ist lang. Und sie ist bunt.
Es gibt die offiziellen Thementage der Vereinten Nationen (UN), die etwa für Bildung (Januar), Städte (Oktober) oder das Fahrrad (Juni) sensibilisieren. Und da sind Tage, die offiziell klingen, aber von Verbänden oder Firmen kreiert wurden, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Dazu gehören der Ändere-dein-Passwort-Tag (Mai), gegründet von Intel, oder der Weltspartag (Oktober), eine Aktion der Sparkassen. Dass sogar Kurioses funktioniert, zeigt der Tag der Jogginghose (Januar).
„Gedenk- oder Thementage sind markenrechtlich nicht geschützt. Alle können einen ins Leben rufen“, sagt Timm Nikolaus Schulze, Pressesprecher der Deutschen UNESCO-Kommission. Die Vielfalt zeige die „Bandbreite der Kultur und Gesellschaft“. Er würde auch einige fremde Tage nutzen, wenn sie der eigenen Kommunikation helfen. Sie seien ein guter Anlass, um für Probleme zu sensibilisieren und Aufmerksamkeit zu schaffen, wo sonst keine ist: „Gerade die Themen, die uns beschäftigen, sind oft nicht vom Tagesgeschehen getrieben. Entsprechend gibt es weniger Aktuelles und damit Anlässe, um den Fokus auf sie zu lenken. Da helfen die Welttage, auf die die Staatengemeinschaft sich verständigt hat“, sagt Schulze.
Alle UN-Organisationen können Gedenktage initiieren oder bestehende in ihre Liste aufnehmen – beispielsweise den Welttag der Mathematik (März). Um einen Tag zu lancieren, muss ihn ein Mitgliedsstaat vorschlagen. Dann stimmt die Generalversammlung ab. So kommen neue Tage auf die Liste. Den Weltkunsttag (April) beispielsweise gibt es erst seit 2019. Vorgeschlagen hatten ihn Mexiko und die Türkei, um die Bedeutung der Kunst für Vielfalt und Frieden zu würdigen, und zwar zum Geburtstag „eines der kreativsten Menschen“, wie es im offiziellen Antrag heißt: Leonardo da Vinci.
Vermarktung mit schlechtem Geschmack
„Die Welttage der UNESCO und der Vereinten Nationen stehen für gemeinsame Werte, die großen globalen Aufgaben unserer Zeit und haben auch eine idealistische Zielsetzung“, sagt Schulze.
Dass auch viele Unternehmen zu den Tagen kommunizieren, könne helfen. „Es ist nie falsch, auf Probleme hinzuweisen und sich für die richtigen Ziele einzusetzen“, sagt er. Aber: „Es ist nicht die Idee der UNESCO, die Anlässe vordringlich zur Vermarktung zu nutzen und sich mit etwas zu schmücken, ohne es wirklich ernst zu nehmen.“
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) vermarkten solche speziellen Tage und haben gezeigt, wie ernst es ihnen ist: Zum Equal Pay Day (März) haben sie erstmals 2019 ein Frauenticket angeboten, das 21 Prozent günstiger war als der reguläre Fahrschein. Laut Statistik entspricht das dem Anteil, den Frauen in Deutschland weniger verdienen als Männer. Zugleich hat die BVG die eigenen Pläne zur Gleichberechtigung und gegen ein Gehaltsgefälle im Unternehmen kommuniziert. Erst dadurch bekam die Aktion Hand und Fuß.
Weniger ernst wirkte der Vermarktungstrick von BMW zum Weltumwelttag (Juni): Der Autokonzern lancierte 2021 auf Twitter eine Umfrage, was denn die nachhaltigste Art der Fortbewegung sei: Car Sharing, ÖPNV, E-Scooter oder der „super nachhaltige BMW“. Diese PR-Aktion stellte nicht nur Greta Thunberg in Frage.
Völlig daneben ging die Kommunikation von Kentucky Fried Chicken (KFC) am 9. November vergangenen Jahrs. Der Konzern verschickte die Push-Nachricht: „Gedenktag an die Reichspogromnacht: Gönn dir ruhig mehr zarten Cheese zum knusprigen Chicken.“ Dass das überaus taktlos war, merkte auch der Konzern und entschuldigte sich wenig später für seine „unsensible und inakzeptable Nachricht“. Schuld sei ein „halbautomatischer Prozess“, der Content zu Feier-, Gedenk- und Aktionstagen erstelle. Nicht nur der Prozess, auch die Prüfmechanismen hatten versagt. Jetzt korrigiert das Unternehmen seine Abläufe – und schweigt zum Prozedere.
Sich mit Regenbogenfarben schönmalen
Es ist selbst zu einer Art Automatismus geworden, Thementage für speziellen Content zu nutzen. Ein lustiger Instagram-Post zum Tag des Kusses (Juli) oder ein Linkedin-Beitrag zum Deutschen Diversity-Tag (Mai): Der Mechanismus hilft Unternehmen, Plattformen zu füttern, auf denen sie präsent sein wollen, aber nicht immer wissen, was sie dort eigentlich erzählen sollen.
Aber: Welchen Mehrwert hat es, wenn sich eine Organisation in Deutschland zum Black History Month (Februar) äußert, Martin Luther King oder Amanda Gorman zitiert, statt die eigene Geschichte zu reflektieren? Warum färbt die UEFA ihr Logo auf Instagram zum Pride Month (Juni) bunt, verbietet aber als ein Zeichen für mehr Toleranz die Kapitänsarmbinde „One Love“ oder Stadionbeleuchtung in den Farben des Regenbogens?
„Ich verstehe das Interesse an Thementagen und -monaten. Gerade für Social-Media-Verantwortliche sind sie verlockend. Aber ohne Strategie funktionieren sie nicht. Sie können für Unternehmen sogar zu einem Problem werden, wenn sie die Inhalte nicht ernst nehmen und ganzjährig dafür einstehen“, sagt Elisa Herzig, verantwortlich für den Bereich Social Media Content bei der Agentur MSL. Wie ernst ein Unternehmen die Botschaften nimmt, die es teilt, kann heute jede und jeder online nachschauen. Wer außer Worthülsen in seinen Geschäftsberichten und mit der Quote beim Personal nichts vorzuweisen hat, solle vielleicht lieber schweigen.
Dilemma von Schweigen und Schwindeln
Nur: Das mit dem Schweigen ist nicht so einfach. Wenn alle zu einem Welttag Botschaften posten und Logos einfärben, steigt der Druck, sich ebenfalls zu positionieren. Wäre es nicht schon ein Zeichen gegen Diversität, im Pride Month auf die Regenbogenflagge zu verzichten und keinen Kommentar abzusetzen? „Die Angst ist berechtigt“, sagt Herzig. „Allerdings gibt es auch die Angst, entlarvt zu werden, weil der Post nichts als ein leeres Versprechen ist.“
Ein Ausweg könnte sein, das Dilemma darzustellen und offensiv zu adressieren. Zum Weltfrauentag beispielsweise zu sagen, dass sich das Unternehmen für Gleichberechtigung einsetzen will und Schritte einleitet, um im kommenden Jahr konkrete Erfolge zu teilen. „Kommunikationsabteilungen sollten öfter überlegen, solche Anlässe zu nutzen, um den Weg zu zeigen statt nur das Ziel.“
Davon hätte auch Adidas profitiert. Als der Sportartikelhersteller sich vor rund drei Jahren zur Black-Lifes-Matter-Bewegung positionierte, hatte er Haltung gezeigt, aber nicht geklärt, wie es die im Haus belegen kann. Angestellte in den USA kritisierten, die Führungsetage sei nach wie vor weiß, Adidas unternehme recht wenig, um das zu ändern. Inzwischen gibt es dort eine Quote. Doch es wäre für den Sportartikelhersteller besser gelaufen, wenn er gleich gesagt hätte, dass er noch Nachholbedarf hat.
Nicht alle Anlässe lassen sich so gut planen wie ein Thementag. Und mancher Content, der zu Beginn des Plans passend klang, kann sich bis zum Gedenktag erübrigen. Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat gezeigt, wie schnell sich Themen ändern. Und Edeka hat demonstriert, wie schwer es ist, darauf angemessen zu reagieren: Das Pro-Ukraine-Statement „Freiheit ist ein Lebensmittel“ war vielen dann doch zu werblich.
Herzig empfiehlt, sich für den eigenen Plan bestimmte Thementage auszusuchen, die zur Strategie passen, aber genug Flexibilität zu ermöglichen, um spontan zu reagieren und aktuelle Entwicklungen im Blick zu behalten: „Gut ist es, im Vorfeld die Strukturen und Prozesse zu klären, damit sich alle Gewerke der Kommunikation schnell abstimmen“, sagt sie. Auch müsse es nicht immer eine Auflistung des Status Quo auf Unternehmensseite sein. Geschichten von Mitarbeitenden oder der Community wären viel authentischer und könnten über den Tag hinaus erklären, warum sich eine Organisation genau zu diesem Tag engagiert: Weil sie wirklich etwas zu sagen hat.
Sieben Kommunikationsanlässe
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