Haltung bei Applausgarantie

CEO-Kommunikation 

Es war eigentlich eine gute Idee: Im Superwahljahr, kurz vor dieser historischen Bundestagswahl, untersuchen wir im Kontext unserer LinkedIndex-Studie die politische Haltung von CEOs im deutschen HDAX. Immerhin steht eine Richtungswahl an, die Merkel-Nachfolge gilt auch international als wichtige Zukunftspersonalie. In den sozialen Medien wähnt man das Land (je nach Standpunkt) kurz vor der Klima-Apokalypse oder am Rande einer kommunistischen Räterepublik. Es müsste also ein Leichtes sein, die politische Debatte an der börsennotierten Spitze unserer Wirtschaft nachzuzeichnen. Deutschlands CEOs sind nämlich politischer geworden. Zumindest steht das regelmäßig irgendwo geschrieben.  

Also haben wir eine entsprechende Heuristik entwickelt, mit denen die politischen Äußerungen in unserem Sample eingeordnet werden können. Wie wird die Bundestagswahl thematisiert? Auf welche Weise werden gesellschaftliche Themen mit politischen Akteuren zusammengebracht? Wird sich konkret vernetzt, verlinkt oder parteipolitisch geäußert? Ab Juni haben wir alle relevanten Postings gesammelt, gelesen und gefiltert – und saßen am Ende vor einer fast leeren Tabelle.  

Sind CEOs also gar nicht politisch? War unsere Methode falsch? Ist Haltung nur ein Hoax? Nein, natürlich nicht. Die Sache ist nur ein bisschen komplexer. CEOs kommunizieren in der Tat politische Inhalte, allerdings auf eine besondere Weise. Sie wählen vor allem Themen aus, bei denen es einen gewissen Grundkonsens gibt. Nachhaltigkeit, Digitalisierung, solche Sachen. Auch soziale Vielfalt und bestimmte Feminismen. Der politische Nahkampf dagegen wird vermieden, zu konkreten oder kontroversen Maßnahmen äußern sie sich fast gar nicht. 

Valenzthemen: Es geht um Glaubwürdigkeit 

In der Wahlforschung kennt man dieses Muster. Der Politikwissenschaftler Donald Stokes prägte dafür in den 1960ern die Begriffe Valenzthemen und Positionsthemen. Ein Valenzthema ist demnach ein Sachverhalt, über den in der Gesellschaft weitgehend Konsens besteht. Dass die Klimakrise abgewendet werden muss, beispielsweise. Oder dass Digitalisierung eine sinnvolle Entwicklung ist. Hier dreht sich der Wahlkampf um Glaubwürdigkeit, in die Werbesprache übersetzt: Share of Voice und Thought Leadership.  

Bei Positionsthemen wiederum geht es um Abgrenzung. Hier streitet man sich im Wahlkampf zum Beispiel darüber, ob wir ein Klimaministerium brauchen. Oder ob bestimmte Datenschutzgesetze verabschiedet werden sollen. Auch die Frage nach einem Verbot von Inlandsflügen ist ein solches Positionsthema. Der Wahl-O-Mat fragt ausschließlich solche Positionsthemen ab, was mitunter zu recht seltsamen Ergebnissen bei der Parteipräferenz führt. 

Zurück zu Linkedin: Obwohl es in diesem Netzwerk hauptsächlich um geschäftliche Inhalte geht, finden sich auch hier immer häufiger politische, manchmal polarisierende Positionen. Nicht nur durch politisches Fachpersonal, auch Promis aus der Wirtschaft werden zunehmend politischer. Carsten Maschmeyer zum Beispiel warnt mit drastischen Worten vor einem Linksbündnis. Dem früheren Schröder-Freund schwant bei einer Rot-Grün-Roten Koalition eine wirtschaftliche Katastrophe, er rechnet mit Planwirtschaft und Gründergift. Frank Thelen stößt ins gleiche Horn und macht eine FDP-Spende von 500.000 Euro öffentlich. Auf der anderen Seite steht der ehemalige Siemens-Chef Joe Kaeser, der sich zumindest zu Beginn ihrer Kampagne sehr offen und wiederholt für Annalena Baerbock aussprach 

Die aktuellen HDAX-CEOs dagegen vermeiden diese Art von Positionen, sie äußern sich fast ausschließlich zu Valenzthemen. Themen also, bei denen man sich für eine Fürsprache nicht rechtfertigen muss. Hier wollen CEOs durch entsprechende Beiträge die Glaubwürdigkeit des eigenen Unternehmens erhöhen, ohne dabei zu polarisieren. Man redet beispielsweise über Klimaschutz, aber nicht über den CO2-Preis. Man spricht über New Work, aber nicht über die Rente mit 67. Man fordert Digitalisierung, aber schweigt zu internationalen Ausschreibungen für kritische Infrastruktur. 

Wie konsequent (und vermutlich unbewusst) diese Logik verfolgt wird, sieht man an der dröhnenden Stille zur globalen Mindeststeuer für Tech-Konzerne: Der wahrscheinlich weitreichendste politische Beschluss dieses Jahres, wenn nicht diese Dekade, wurde von den HDAX-Spitzen nicht kommentiert. 

Nachhaltigkeit und Digitalisierung 

Die Kommunikation zur ökologischen Nachhaltigkeit ist dagegen sehr ausgeprägt. Die meisten CEOs äußern sich sehr regelmäßig zu diesem Thema und verbinden es mit ihrer Unternehmensstrategie. Den Bogen zur Politik spannen sie allerdings nur selten – dabei ist Klimaschutz das beliebteste Valenzthema bei dieser Bundestagswahl: Die Forschungsgruppe Wahlen hat für das ZDF noch im September ermittelt, dass der Schutz unserer Umwelt für 43 Prozent der Befragten maßgeblich für die Wahlentscheidung ist. 

Am konkretesten wird bei diesem Thema VW-Chef Herbert Diess. Der Netzwerk-Primus und Spitzenreiter unseres LinkedIndex hat auf der IAA Mobility drei Wochen vor der Bundestagswahl eine Strategie zum Klimaschutz vorgestellt, die recht konkret verschiedene politische Positionen behandelt. Es geht um Dekarbonisierung, CO2-Bepreisung, Flugverbote und ähnliches. Allerdings adressiert auch Diess nicht die Parteien oder die Regierung direkt, sondern wird im Grunde selbst zum politischen Akteur: Indem er mit dieser Strategie sich und seine neu gegründete CEO Alliance der EU-Kommission als Unterstützung empfiehlt. 

Auch Christian Klein von SAP wird konkret, und zwar bei Digitalisierung. Er klinkt sich in die Diskussion um ein deutsches Digitalministerium ein und positioniert sich deutlich für eine solche Maßnahme. Damit steht er an der Seite von CDU und FDP, die im Wahlkampf beide ein solches Ministerium fordern. 

Wie Klein äußert sich auch Telefónica-CEO Markus Haas zur Digitalisierung. Er adressiert dabei die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik, zum Beispiel bei der Frage nach einer elektronischen Identität. Haas berichtet außerdem, dass er auf einer Tagung des CDU-Wirtschaftsrats ein Panel zu 5G moderieren durfte. 

Ola Källenius von Daimler wiederum meldet sich wie sein Kollege Diess in klimapolitischen Fragen zu Wort, bleibt dabei allerdings recht nah am eigenen Unternehmen. Hier geht es meistens um die Emissionsziele der Europäischen Union, oder auch um den Autogipfel im Kanzleramt. 

Konkreter als diese Beispiele wird es im Sample nicht. Der Grund liegt auf der Hand: Zwar steht bei der Bundestagswahl tatsächlich eine Richtungsentscheidung an. Die Parteienlandschaft ist dynamisch wie nie zuvor, selten war so viel Bewegung im politischen System. Gleichzeitig wird aber in diesem Wahlkampf offenbar, wie unübersichtlich die politische Zuordnung geworden ist. Das vieldiskutierte Ende der Volksparteien heißt in diesem Fall, dass die Stakeholder-Kommunikation über Positionsthemen nur sehr schwer zu kontrollieren ist. Sie werden von CEOs deshalb vermieden. 

Haltung ist mehr als Kommunikation 

Kein Wunder: Vorstandskommunikation über einzelne politische Positionen erfordert nicht nur tiefe Sachkenntnis, sondern auch eine soziopolitische Analyse, um keine Anspruchsgruppen zu verprellen. Andererseits lassen sich Valenzthemen sehr viel besser mit der eigenen Strategie und dem Streben nach Corporate Citizenship verknüpfen. Wenn die Öffentlichkeit über Sinn, Zweck und Ansehen des Unternehmens diskutiert, werden solche Themen zur Verhandlungsmasse. Die neuerdings oft beschworene „Haltung“ von CEOs ist deshalb auch meist nur ein hoher Output zu konsensualen Valenzthemen. 

Das muss nicht schlecht sein. So lassen sich ausufernde Diskussionen zu Detailfragen vermeiden, außerdem müssen publizierte Positionen selten aktualisiert oder gar revidiert werden. Nur: Wie in der Politik kann Glaubwürdigkeit bei Valenzthemen nicht einfach herbeigeredet werden. Sie braucht Sachkompetenz, aber auch Taten und Ergebnisse. Wer beispielsweise #FemaleLeadership propagiert und trotzdem mit einem rein männlichen Vorstand arbeitet, wird auf diesem Gebiet keine Glaubwürdigkeit aufbauen. 

Es ist also durchaus sinnvoll, eine wie auch immer geartete Haltung ganzheitlich und strategisch anzugehen, nicht nur als Thema für die Unternehmenskommunikation. Bei der Automobilindustrie lässt sich diese Verlagerung gut beobachten: Wo man sich früher noch gegenseitig in luftig-grünen CSR-Berichten überboten hat, werden heute handfeste Strategien zur Elektrifizierung und nachhaltiger Mobilität beschlossen. Sicher aus pragmatischen Gründen, aber trotzdem als unternehmerische Konsequenz eines der wichtigsten Valenzthemen für die Branche. 

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