Facebook, Twitter, Snapchat, Tiktok. Alle reden über politische Werbung. Doch jeder handhabt das sensible Thema unterschiedlich. Die Bandbreite reicht von „Alles verbieten“ bis „Wir erlauben selbst Fake News“. Keine der von den Netzwerken verfolgten Strategien ist perfekt. „Ich denke, das ist nicht der Weg den wir gehen sollten“, kritisiert Politikberater und Wahlkampfbeobachter Martin Fuchs, auch wenn er Veränderungen begrüßt. „Ganz grundsätzlich finde ich es toll, dass die Plattformen nach all den Jahren der Debatte jetzt darüber nachdenken, wie sie ihre Netzwerke verändern können, um die negativen Auswirkungen von politischer Werbung zu bekämpfen.“
Wenig kämpferisch zeigt sich Facebook. Politiker genießen dort quasi Narrenfreiheit. Erst im September kündigte Facebook-Kommunikationschef Nick Clegg an, dass Politiker von den Community-Regeln ausgenommen werden. Aussagen von Politikern hätten generell einen Nachrichtenwert. Er begründet den Vorstoß mit der freien Meinungsäußerung, die Grundpfeiler der Philosophie Facebooks sei. Die Regelung schließt auch bezahlte Werbeanzeigen ein. Facebook prüft diese nicht auf den Wahrheitsgehalt. Dafür erntet der Zuckerberg-Konzern nicht nur in den eigenen Reihen Kritik. Auch Elizabeth Warren, Präsidentschaftsbewerberin der US-Demokraten, verurteilt den laxen Umgang des Unternehmens mit politischen Fake News. Selbst der Satiriker und Schauspieler Sacha Baron Cohen stellt klar: „Meinungsfreiheit bedeutet nicht Reichweitenfreiheit.“
Facebook verdient Millionen Dollar mit Fake News
„Sie sehen sich als soziale Plattform und nicht als Medienunternehmen, was für Einordnung sorgen muss. Das heißt, sie haben von der Vision her ein anderes Grundverständnis“, sagt Martin Fuchs. „Das komplette Geschäftsmodell Facebooks ist es, Werbung zu verkaufen.“ Allein Donald Trump hat laut Facebooks Datenbank seit Mai 2018 20 Millionen Dollar für politische Werbung ausgegeben. Nur die Anzeigen gegen das drohende Amtsenthebungsverfahren zwischen dem 18. September und 9. Oktober ließ sich Trump laut dem britischen Guardian 3,8 Millionen US-Dollar kosten. In einem der Trumpschen Werbevideos auf Facebook wird behauptet, Joe Biden habe der Ukraine in seiner Zeit als US-Vizepräsident 1 Milliarde Dollar Hilfsgelder versprochen, sollten sie die Ermittlungen gegen seinen Sohn Hunter fallen lassen. Laut den Faktenprüfern von Axios und Politifact sei diese Behauptung falsch. CNN weigerte sich daher den Spot auszustrahlen, Facebook und Youtube zeigten ihn trotzdem.
„Facebook hat nicht den Anspruch, Weltpolizei zu sein und zu bewerten, was Fake ist und was nicht“, sagt Fuchs. „Das ist erst einmal ein sympathischer Ansatz, denn ich finde es schwierig, wenn private Unternehmen anfangen, zu entscheiden, was wahr und was unwahr ist.“ Entscheidend sei Transparenz, um Entscheidungen nachvollziehbar zu machen.
„Twitters Verbot politischer Werbung ist intransparent“
Im Gegensatz zu Facebook verbietet Twitter seit dem 22. November politische Werbung nahezu vollständig. Auch Tiktok lässt keine politische Werbung auf seiner Plattform zu. „Dafür zu bezahlen, die Reichweite politischer Aussagen zu erhöhen, hat dramatische Auswirkungen. Unser demokratisches System ist wahrscheinlich nicht darauf vorbereitet, mit diesen umzugehen“, begründet Twitter-CEO Jack Dorsey die Strategie seines Unternehmens. Doch wie genau ein Verbot aussehen kann, wer über Anzeigen urteilt und nach welchen Kriterien, bleibt unklar. „Im Grunde genommen ist fast alles, was wir sehen politisch. Jede Werbung ist politische Werbung, weil sie ein gewisses Mindset, einen gewissen Lebensstil befördert. Ich habe also große Bauchschmerzen dabei, dass irgendwelche Leute bei Twitter intransparent darüber entscheiden, was geht und was nicht“, kritisiert Fuchs und fordert externe Beiräte. „Das müsste von der Plattform entkoppelt und jede Entscheidung, warum jemand etwas posten darf und ein anderer nicht, transparent erklärt werden.“
Hier sieht Fuchs noch immense Arbeit auf den Kurznachrichtendienst zukommen, sowohl in der internen Umsetzung als auch in der externen Kommunikation. Der Politikberater geht davon aus, dass es viele Fälle geben wird, in den sich gemeinwohlorientierte Gruppen benachteiligt fühlen könnten – allerdings vermutlich nicht in Deutschland. Ohnehin spiele Twitter bei politischer Werbung hierzulande keine Rolle. Neben den Plattformen des Facebookkonzerns sei vor allem Google für politische Werbetreibende wichtig.
„Ein Fakten-Check kann nur ein Mosaikstein sein“
Anders als Facebook, Twitter und Tiktok geht Snapchat einen Mittelweg. Das Unternehmen unterzieht Werbung vor Veröffentlichung grundsätzlich einem Fakten-Check. Evan Spiegel, CEO von Snap, will so einen Raum für seine hauptsächlich jungen Nutzer schaffen, um sie „dazu zu ermutigen, in politische Diskussionen einzutreten. Wir verbieten Falschinformation in der Werbung.“ Mitarbeiter des Netzwerks unterziehen die Anzeigen entsprechend der Guidelines des Unternehmens einem Review-Prozess.
Fuchs sieht das grundsätzlich positiv, weist aber auch auf Schwachstellen der Strategie hin. „Fakten-Checks sind glücklicherweise auch bei anderen Plattformen Standard. Allerdings erfordert es extrem viele Ressourcen so etwas zu machen.“ Die Frage sei, was nach einem Fakten-Check passiere. Lässt man die Werbung trotzdem zu und verweist mit einem Button oder einem Feld auf zweifelhafte Informationen oder löscht man sie sofort? „Dann hat man aber wiederum ein Transparenzproblem. Warum wurde etwas gelöscht? Der Fakten-Check ist nur ein Mosaikstein, der nicht ausreicht.“
Idealerweise sollte der Staat den Umgang mit politischer Werbung regeln, meint Fuchs. „Wir brauchen eine staatliche, supranationale Lösung, um einen Standard zu haben, wie mit politischer Werbung umgegangen wird.“ Die unterschiedlichen Strategien der Sozialen Medien kritisiert er als intransparenten Flickenteppich. „Natürlich ist diese Forderung eine Illusion. Das wird es, zumindest mittelfristig, nicht geben.“ Stattdessen sollten die Plattformen jetzt damit anfangen, gemeinsame Standards zu definieren. „Das wären vielleicht erste Schritte in Richtung einer übergreifenden Lösung.“
Parteien werden eigene Dienste entwickeln
Die jetzt publik werdenden unterschiedlichen Strategien werden laut Fuchs zu „einer größeren Verunsicherung und größerem Beratungsbedarf bei politischen Akteuren“ führen. „Es wird auch dazu führen, dass wir weniger politische Werbung sehen. Parteien werden von den Plattformen daran gehindert, politische Werbung zu schalten, wodurch eine Selbstreflexion stattfindet. Was wollen wir noch machen und was nicht?“ Fuchs prognostiziert parteieigene Dienste wie Newsletter, Apps oder plattformunabhängige Messenger. „So werden sie unabhängig von den Intermediären und deren Willkür, was Änderungen betrifft.“