Sanifair: Der Klogang als Heldenreise

Fail mit Image-Film?

Still aus dem Sanifair-Image-Film (c) Screenshot Youtube

Original und Fälschung auf den Screenshots von Youtube: Im echten Sanifair-Spot nimmt die kleine „Amélie“ uns und ihren Plüschfreund „Rüssel“ mit in das Abenteuerland Autobahntoilette.

Still aus "quer-beckstage" im BR (c) Screenshot Youtube

Eine der Parodien spielt im Schlachthof: „Ich find Billig-Fleisch super!“ von quer-beckstage im BR.

Es gibt Branchen, für die zu kommunizieren erfordert ein extrem gutes Händchen – und den richtigen Dreh beim Storytelling. Das Geschäft mit „dem Geschäft“ gehört mit Sicherheit dazu. Ein Themenkomplex, der einerseits ein schönes Setting hergibt, weil sich jeder lebhaft hineindenken kann. Andererseits ist der Schritt nach dem Denken – das Aussprechen – gerade in hiesigen Gefilden schon ein deutlich schwierigerer, denn Ausscheidungen sind hierzulande doch eher ein tabubesetztes Thema, wie man schön in dem Klo-Klassiker „Dunkle Materie: Geschichte der Scheiße“ von Florian Werner nachlesen kann.

Also dürften sich auch die Mitarbeiter der federführenden Agentur Pie Five erst einmal den Hinterkopf gekratzt haben, als ihnen das Briefing des Autoraststättentoiletten-Brands Sanifair zu einem Imagespot für die Bezahlbedürfnisanstalten auf den Tisch flatterte. Es gibt ja wenige gelungene Beispiele für das positive Verpacken des Stuhl-Gangs. Das japanische Unternehmen Toto mit seiner 1982er Einführungskampagne für die High-Tech-Toilette „Washlet“ gehört vielleicht dazu. Damals wurde das Problem des „Verschmierens“ mit Toilettenpapier elegant mit Schuhcreme auf der Hand demonstriert – diskret und offensichtlich zugleich. Das funktionierte. Doch wie an die verpönte Autobahntoilette herangehen? „Hier macht das Kacken Spaß“, hat die Agentur als Tagline ganz sicher schnell wieder verworfen. Aber gleichzeitig doch als immanente Storyline im Hinterkopf behalten. Und das Ergebnis geisterte dann irgendwann durch das Netz.

Griff ins Klo?

„Oh, ist das schön hier!“ Und dazu dieser süße Fratz. Der fertige Sanifair-Imagefilm fand seinen Weg von der Homepage der ausführenden Agentur schnell auf Youtube, von dort in die Sozialen Netzwerke. Und wurde dann von den Nutzern und im nächsten Schritt post Shitstorm in den klassischen Medien verrissen. Headlines wie „Schöner Pipi machen mit Sanifair“ (n-tv.de), „Griff ins Klo“ („Handelsblatt“) oder „Über diesen Sanifair-Imagefilm lacht das Netz“ (Bild.de) ergossen sich über das Resultat der Kreativarbeit, die ein kleines Mädchen bei ihrer Entdeckungsreise – zum Topf am Ende des Regenbogens – durch ein Sanifair-Bezahlklo begleitet.

Eine klassische Heldenreise mit Knuddelfaktor (der Stoffelefant „Rüssel“ ist auch dabei) ist das geworden, in der Amélie die Autobahnraststättenwelt mit ganz eigenen Augen betrachtet. Wie im vermutlich inspirierenden Kinoklassiker „Die fabelhafte Welt der Amélie“ übertüncht sie dabei alles Schlechte, Schmutzige und Übelriechende mit einer kindlichen Fröhlichkeit, die anstecken könnte. Die aber gleichzeitig als komplett absurd abgetan werden kann. Denn auch der französische Kinoerfolg hatte ja ein bis zwei Kritiker. Was im Kino Liebe säte, ging hier komplett nach hinten los. Oder nicht? Zumindest erntete das Video erst einmal Hohn und Spott.    

Still aus dem Sanifair-Image-Film (c) Screenshot Youtube

Zweimal OOOPS: Im Sanifair-Spot verläuft sich die kleine Protagonistin in die Herrentoilette.

Still aus der Dojo-Parodie (c) Screenshot Youtube

In der Parodie „Dojo, ist das schön hier“ der gleichnamigen Werbeagentur fällt der Hauptdarstellerin im Vorbeihüpfen ein vergoldetes primäres Geschlechtsteil vom Schreibtisch…

Tiefe Verneigungen vor dem Original

Jedoch: Unter Aufmerksamkeitsgesichtspunkten hätte Sanifair wohl kaum etwas Besseres passieren können als dieses Video und seine leicht (okay: ziemlich) absurde Story. Fast alle großen Leitmedien diskutierten es, brachten den Namen Sanifair ins Gespräch (ich selbst wäre nicht auf den Namen gekommen, hätte mich jemand vor ein paar Wochen nach dem Branding der Autobahnraststättenklos gefragt) – und was folgte, das war noch viel besser: Parodien, bekanntlich die tiefste Verneigung vor dem Original, an allen Ecken, Diskussionen und Shitstorms (hier mal wirklich wörtlich zu nehmen). Also so ziemlich alles, was man heutzutage benötigt, um Aufmerksamkeit in unserer schnelllebigen Medienwelt zu erreichen.

Und eine Geschichte die hängenbleibt, das ist der eigentliche Clou. Denn jede Station des heldenhaften Klogangs ist so absurd inszeniert, dass sie im Gedächtnis bleibt. Es gibt ein Herrenklo (Uppps!), einen Wickelraum, alles ist schön sauber, mit Kreditkarte kann man zahlen (wusste ich gar nicht!) und auch mit dem Smartphone (Echt? Muss ich beim nächsten Mal probieren), und am Ende gibt es sogar noch einen Bonus auf das Eis.

Die Erzählweise ist dabei vielleicht absurd, aber sie erfüllt ihren Zweck. Und bei allem Gemotze: an dem Produkt wurde auch in den Medien kaum ein schlechtes Haar gelassen. Die Erzählweise wurde sogar geehrt. Der Bayerische Rundfunk beispielsweise übertrug das Prinzip auf eine noch tabuisiertere Szenerie: den Schlachthof. „Oh, ist das schön hier!“, ist dann nur noch makaber, aber es adressiert einerseits ein wichtiges Thema und andererseits macht es das ursprüngliche Video noch mehr zu einem Klassiker der Bewegtbildkommunikation. Vorbild von vielen Hommagen zu sein, das macht aus einem schlechten Film eine Trash-Ikone, die irgendetwas sehr richtig gemacht hat.

Still aus dem Sanifair-Image-Film (c) Screenshot Youtube

Unschuldig, süß, neugierig wie auf diesen Youtube-Screenshots – so soll die Protagonistin im Sanifair-Spot sein.

Still aus der BR-Parodie (c) Screenshot Youtube

Die Darstellerin in der quer-beckstage-Parodie kommt auch in Rosa und mit Zuckerstimme daher – ein knallharter Gegensatz zu den krassen Bildern toter Tiere, die sie trotz allem mit Strahlelächeln und „ist das schön hier!! kommentiert.

Hochpreisiges braucht eine Story

Warum überhaupt Storytelling für ein Produkt, das man sowieso mangels Alternative benutzen muss? Diese Frage stellten sich viele Kommentatoren. Die Antwort ist vermutlich recht einfach: wir alle wollen gemocht werden und wir wollen, dass das, was wir tun, Anerkennung findet und mit positiven Gefühlen besetzt ist. Ob wir für eine tolle Lifestyle-Marke arbeiten oder eben die Raststättenklomarke.

Außerdem geisterte kurz nach Auftauchen des Spots eine geplante Preiserhöhung von Sanifair durch die Medien. Von 70 Cent auf 1 Euro. Und damit eben auch der Aufstieg ins Luxussegment der öffentlichen Bedürfnisanstalten. Und Hochpreisiges verkauft sich bekanntlich über Stories.

Irgendwo auf dem Weg ist Sanifair und der Agentur dann die Courage ausgegangen. Den stolzen Facebook-Post zum neuen Video für Sanifair findet man inzwischen nicht mehr auf der Facebook-Page von Pie Five. Auch von der Agenturwebsite ist der Imagefilm verschwunden. Und Sanifair erklärte gegenüber der „Bild“-Zeitung: „Wir müssen allerdings auch zugestehen, dass wir bei der Emotionalisierung vielleicht etwas über unser Ziel hinausgeschossen sind.“ Schade eigentlich, dass sich die Macher und ihre Auftraggeber hier so haben einschüchtern lassen.

Die Meta-Story erzählt die Reise mit dem etwas angestrengten Ziel der „Akzeptanz in der Gesellschaft“. Dabei hätte man sich genau dort entspannt niederlassen können, wo man auf Basis der Produkt-Story und auch der Umsetzung des Films hingehört: in die inzwischen weithin akzeptierte Ecke der Schmuddelkinder. Denn ja, man hat einen Klassiker des Genres Imagevideo geschaffen. Vielleicht keinen Kubrick seiner Gattung, aber durchaus einen respektablen Ed Wood. Der nächste Schritt – sollte es einen geben – wird sicherlich spannend und in der Branche vielbeachtet sein. Denn wie heißt es so schön in der „Fabelhaften Welt der Amélie“: „Das Leben ist nichts anders, als die endlose Probe einer Vorstellung, die niemals stattfindet.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Storytelling – Marken machen ohne Märchen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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