Vergesst die Sprachpäpste

Kolumne

In meinem Seminar „Journalistisches Schreiben“ hatte sich jüngst eine Teilnehmerin für die letzten Minuten noch eine schöne Frage aufgehoben: Wenn jemand sie anrufe, und sie wolle ihm sagen, dass sie gerade am Schreibtisch im Büro sei und keine Zeit für ein Telefonat habe, heißt es dann „ich bin bei der Arbeit“ oder „ich bin auf der Arbeit“?

Gute Frage. Aber ist sie so wichtig? Was sich die Teilnehmerin wünschte – und was sich oft Teilnehmer in Textseminaren oder einer Schreibwerkstatt wünschen –, war eine Antwort auf die Frage: Wie mache ich es richtig?

Aber bei Sprache, insbesondere in den Nuancen journalistischer Textvielfalt, gibt es nicht immer ein richtig oder falsch. Kommunikation ist etwas sehr Subjektives. Das weiß jeder, der schon die fatalen Folgen einfacher Missverständnisse erlebt hat.

Auf die Textmelodie kommt es an

Richtig oder falsch? Ich halte es da wie Harald Martenstein, der in einer seiner Kolumnen schrieb, dass er „ziemlich oft bestimmte Wörter nur deswegen hinschreibe, weil sie an dieser Stelle gut klingen und dem Text den richtigen Sound geben“. Entscheidend sind die Textmelodie und der Rhythmus der Worte. Nicht, ob selbst ernannte Sprach-Päpste ob ihrer linguistischen Unfehlbarkeit festlegen, wie man sie gefälligst zu schreiben habe.

Es geht bei Texten ja immer darum, dass sie die erhoffte Wirkung erzielen: Pressemitteilungen zum Beispiel sollen Aufmerksamkeit und Interesse von Journalisten in Redaktionen wecken, Newsletter-Beiträge bestehende und potenzielle Kunden oder Beschäftigte informieren, Webseitenbeiträge zu möglichen Klicks und Seitenzugriffen führen. Informieren sollen sie freilich fast alle.

Texte sollen begeistern, informieren oder etwas bewegen

Gute Rhetorik solle „prodesse et delectare“, haben wir früher im Lateinunterricht gelernt: erfreuen und nützen. Texte können also – wie Glossen und Kolumnen von Martenstein oder das „Streiflicht“ in der Süddeutschen Zeitung – unterhalten, als Pressemitteilungen sollen sie informieren oder den Nutzen für Leserinnen und Leser vermitteln (leider machen das nicht alle, viele sind ein Ausbund unreflektierter Selbstbeweihräucherung), oder sie motivieren uns zum Handeln. Die Rede als eine PR-Maßnahme ist zum Beispiel eines der wichtigsten Motivationsinstrumente. Die Motivationsrede gilt gar als eigene Gattung.

Es ist also in vielen Fällen nicht entscheidend, ob ich mir mit meiner Formulierung die Zustimmung von Wolf Schneider sichere, der vieles für falsch oder richtig hält, was man nicht als falsch oder richtig deklarieren kann. Entscheidend ist, dass ein Text wirkt, dass wir ihn gerne lesen und dass er zum Thema, zum Autor oder Redner passt. Und natürlich wollen wir im Nachhinein nicht den Zeitaufwand bedauern, den wir dafür aufgebracht haben, einen Beitrag zu lesen oder eine Rede zu hören.

Und da jeder Jeck bekanntlich anders ist, gibt es auf die Frage nach diesem Bedauern eine Fülle möglicher Antworten. Was dem einen gefällt, ödet den anderen vielleicht an. Nicht jede Pressemitteilung wird in allen Redaktionen auf gleich viel Interesse stoßen, nicht jeder Newsletter-Text bei allen Adressaten gleich viele Klicks bewirken.

Wer ernsthaft journalistisch schreiben möchte, der muss natürlich ein paar Werkzeuge kennen, den Aufbau verschiedener Textformen wie Nachricht, Feature, Reportage oder Kommentar. Aber die Wortwahl und die Formulierung sind so eine Sache. Unmissverständlich sollen sie sein. Und richtig – soweit sich das eben sagen lässt.

Um auf die Frage der Teilnehmerin einzugehen: Ich schreibe „bei der Arbeit“, wenn ich am Arbeiten bin, und „auf der Arbeit“ nur dort, wo es regional umgangssprachlich ist, so von sich zu sprechen, wenn man in diesem Moment nicht irgendwo, sondern an der Arbeitsstelle einer mehr oder minder gut bezahlten Beschäftigung nachgeht.

 

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