Doppelte Transformation

Change-Kommunikation

Der frühere deutsche Außenminister und Grünen-Politiker Joschka Fischer sprach 2016 Managern des Unternehmens Greiner ins Gewissen. Sinngemäß sagte er: Was ihr macht, ist nicht nachhaltig. Ihr müsst euch verändern, sonst seid ihr passé. Im Jahr zuvor war ein Video viral gegangen, das zeigt, wie einer Schildkröte unter Schmerzen ein zwölf Zentimeter langer Plastikstrohhalm aus der Nase gezogen wird.

Beides markierte eine Zeitenwende in der Haltung des österreichischen Unternehmens, das einer der weltweit führenden Anbieter von Kunststoff- und Schaumstofflösungen ist. So erzählt es jedenfalls Stefan Grafenhorst, Nachhaltigkeitschef bei Greiner. Er verdankte Fischer damit indirekt seine neu geschaffene Stelle, die er kein halbes Jahr nach der erwähnten Standpauke antrat.

Das Unternehmen stellt in drei Sparten Matratzen, Verpackungen und Medizinprodukte her, auf Basis von Kunststoff. „Alles, was wir tun, ist rohölbasiert und wird am Ende verbrannt. Das ist nicht nachhaltig, und was heute nicht nachhaltig ist, muss transformiert werden“, sagt Grafenhorst. Kunststoff wird in der Gesellschaft kritisch gesehen. Irgendwann hätten deshalb selbst die Greiner-Mitarbeitenden angefangen, sich zu fragen, ob sie noch in der Branche arbeiten wollen.

Laut einer Studie der ETH Zürich war die Kunststoffindustrie 2015 für 4,5 Prozent des globalen Treibhausgasausstoßes verantwortlich – ähnlich viel wie der gesamte globale Luftverkehr. Die Plastikproduktion machte dabei den größten Teil der Emissionen aus. Greiner hatte 2022 nach eigenen Angaben eine CO₂-Bilanz von mehr als 2,8 Millionen Tonnen CO₂. Als Negativfaktoren kommen das von Kunststoffen verursachte Müllproblem und das benötigte Rohöl hinzu.

Mind Change

Aus der strategischen Entscheidung, das Unternehmen nachhaltig zu transformieren, folgte die Erkenntnis, das Geschäftsmodell umzustellen sowie moderne Strukturen und Prozesse einzuführen. Bis 2030 will Greiner ein umfassend zirkuläres Unternehmen und klima­neutral sein.

Grafenhorsts Aufgabe: die rund 11.600 Mitarbeitenden an weltweit 120 Standorten von der Notwendigkeit der Transformation zu überzeugen. Das geschah zunächst über Aufklärung – beispielsweise in Schulungen und Konferenzen: Was bedeutet überhaupt Kreislaufwirtschaft? Warum betrifft es uns? Dass das Unternehmen schon einmal einen radikalen Wandel vollzogen hat, war hilfreich: Noch bis in die Fünfzigerjahre hinein stellte das Unternehmen Kork her, bis aufgrund von Zollerhöhungen das Geschäft nicht mehr lukrativ war und man auf Schaumstoffe umsattelte.

2019 gab das Unternehmen erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht heraus. Ein Jahr später stellte Greiner seine Nachhaltigkeitsstrategie „Blue Plan“ vor. Die Firma stellte erstmals Joghurtbecher aus 100 Prozent recyceltem Material her.  Das Ziel: Ab 2025 sollen alle Verpackungen von Greiner recycelbar, mehrwegfähig oder kompostierbar sein.

Kommunikations-Change

2021 durchdrang das Thema Nachhaltigkeit bereits die gesamte Kommunikation des Unternehmens. Mit der Konsequenz, dass Nachhaltigkeitschef Grafenhorst auch die Verantwortung für die Unternehmenskommunikation erhielt.

Der Fokus der Greiner-Kommunikation lag bis dahin auf Themen in der Region rund um den Hauptsitz. Die Ansprache richtete sich vor allem an die etwa 120 Mitarbeitenden in der Zentrale. Es gab wenige Kanäle. Kommunikationsmaßnahmen wurden nicht evaluiert. Der Unternehmens-Change spielte keine Rolle. Grafenhorst entschied deshalb, die Kommunikationsabteilung neu aufzubauen. Dazu führte er in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Pantarhei einen Corporate Newsroom ein: das Greiner Mediahouse.

Es besteht aus einem Content Desk und einem Channel Desk, jeweils verantwortet von einem Team-Mitglied. Die Themen-Cluster „Sustainability“, „People & Culture“, „Digitalization & Technology“ sowie „Strategy, Management & Performance“ und „Corporate Issues“ werden in Formaten und Kanälen ausgespielt, die Grafenhorsts Team zum großen Teil neu etabliert hat. Jede Maßnahme zahlt auf den Unternehmens-Change ein.

Das Team bespielt Social Media, die Konzern-Website und einen Blog, erstellt einen Podcast und eine Mitarbeiterzeitung, richtet Events aus und kümmert sich in Zusammenarbeit mit Personal- und Nachhaltigkeitsabteilung um den jährlichen integrierten Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht. Hinzu kommen Medienarbeit, Sponsoring, Spenden sowie der Austausch mit den Markenbotschafter*innen des Unternehmens. Das Team erstellt zudem audiovisuelle Inhalte.

Elf Personen arbeiten in der Kommunikationsabteilung in der österreichischen Zentrale. Hinzu kommen Ansprechpartner an den jeweiligen Standorten, die vom Hauptsitz angeleitet werden. Konzernzentrale, Geschäftsbereiche und die lokale Ebene sind nun stärker vernetzt. Die Kommunikation agiere jetzt strategisch, sagt Grafenhorst: „Heute steuern wir das Management mit unserer Agenda, wir sind in einer beratenden Rolle für den Vorstand aktiv.“

Greiner hat seinen Hauptsitz im ländlichen Oberösterreich. Weltweit beschäftigt das Unternehmen rund 11.600 Mitarbeitende. © Greiner AG

Greiner hat seinen Hauptsitz im ländlichen Oberösterreich. Weltweit beschäftigt das Unternehmen rund 11.600 Mitarbeitende. © Greiner AG

Grafenhorst, selbst Mitglied der Taskforce „Kreislaufwirtschaft“ der österreichischen Regierung, bringt politische Themen wie das Lieferkettengesetz ins weltweite Intranet. „Aus dem Content ist ein starker Impuls entstanden. Kollegen diskutieren jetzt über Dinge wie: Finden wir das Lieferkettengesetz gut oder schlecht? Wir sind ein viel meinungsstärkeres Unternehmen geworden“, berichtet er.

Die Debattenkultur im Konzern fördert der Kommunikationschef gezielt. Das überarbeitete Intranet etwa funktioniert ähnlich wie Twitter: Jeder kann kommentieren, die Hemmschwelle ist relativ niedrig. Social-Media-Kommentare sind als Stimmungsbild für ihn mehr wert als Mitarbeiterumfragen. Die hat er abgeschafft, weil die Leute früher enttäuscht gewesen seien, wenn aus ihren Anregungen nach zwei Wochen nichts geworden sei. Er setzt stattdessen auf „Puls-Checks“, etwa mittels einer App, über die Mitarbeitende Feedback und Fragen übermitteln können.

Auch Live-Formate spielen eine große Rolle. Neben diversen Townhall-Formaten gab es bis vor kurzem die „Couchsurfing Tour“, bei der der Vorstandschef um die Welt flog und auf der immer gleichen Couch sich von Mitarbeitenden in der Produktion ausfragen ließ. Ob dieses Format weitergeführt wird, hängt von der Bereitschaft der neuen Vorstandsvorsitzenden Saori Dubourg ab, die erst im März von BASF zu Greiner gewechselt ist.

Die vielen Kanäle und Formate kosten Geld. Das ist auch Grafenhorst bewusst. Den globalen Content ergänzt lokaler. Einige Standorte haben sogar eigene Mitarbeiterzeitungen. Gibt hier ein Kommunikationschef das Geld mit vollen Händen aus? Grafenhorst entgegnet mit einer rhetorischen Frage: „Was kostet es denn, wenn Transformation nicht gelingt? Wenn die Leute nicht verstehen, warum wir uns verändern ­müssen?“

Mehr Austausch

Die Neujustierung der Kommunikation hat laut Grafenhorst zu mehr Austausch im Unternehmen und zu mehr Sichtbarkeit geführt. Mit der neuen CEO, die dem Rat für nachhaltige Entwicklung der deutschen Bundesregierung angehört, sieht er großes Potenzial in der Positionierung und Außenwirkung – auch für potenzielle Bewerber. Denn die hat der 44-Jährige nun ebenfalls stärker im Blick: 2023 übernahm Grafenhorst zusätzlich zu den Nachhaltigkeits- und Kommunikationsressorts die Personalverantwortung.

Nachhaltigkeit soll das zentrale Thema bleiben. Anlässe schafft das Unternehmen dafür selbst. So hat Greiner seine Nachhaltigkeitsziele bei der weltweiten Science-Based-Targets-Initiative eingereicht. Danach verpflichten sich Unternehmen freiwillig zur Erfüllung bestimmter Vorgaben, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Zudem engagiert es sich beim globalen Plastikabkommen, das seit 2022 von den UN-Mitgliedsstaaten gegen die weltweite Verschmutzung angestrebt wird. Ebenfalls 2022 übernahm Greiner ein Recyclingwerk in Serbien, mit dem sich PET wiederverwerten lässt. Ein Start-up, das Material für biobasierte Kunststoffe entwickelt, gehört ebenfalls seit kurzem zum Konzern.

Das Ziel, ein zirkuläres Unternehmen zu werden, rückt damit näher. Doch bis es so weit ist, werde es noch Jahre dauern, schätzt Grafenhorst. Die Herausforderung wird sein, durchzuhalten: „Die Leute sehnen sich ein Ende herbei. Ähnlich wie bei der Energiewende: Ist die abgeschlossen? Nein. Haben die Leute noch Lust? Nicht wirklich. Und Kosten entstehen dabei auch noch. Aber das ist eben Transformation.“

Die Greiner AG
Das Familienunternehmen Greiner wurde 1868 bei Stuttgart gegründet und verlagerte später seinen Hauptsitz ins österreichische Kremsmünster. Heute beschäftigt die nicht börsennotierte Greiner AG in den drei Sparten Greiner Packaging, Neveon und Greiner Bio-One sowie dem Innovations-Hub Greiner Innoventures rund 11.600 Mitarbeitende in 34 Ländern. 2022 erzielte sie einen Umsatz von 2,3 Milliarden Euro.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Wandel. Das Heft können Sie hier bestellen.

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