Auf den Punkt kommen

Satzzeichen

Der von mir sehr geschätzte Journalist und Autor Harald Martenstein hat sich in einer seiner jüngsten Kolumnen im „Zeit Magazin“ verschiedenen Satzzeichen gewidmet. Genauer gesagt: vor allem dem Semikolon. Aber auch andere Satzzeichen spricht der Sprachkünstler darin an – vom Gedankenstrich über den Doppelpunkt bis zum Ausrufezeichen.

Ach ja, das Ausrufezeichen. In manchem meiner Seminare habe ich den Eindruck, es sei vielen das allerliebste Symbol unserer heutigen Sprache. Egal ob Headline, Editorial, Teaser oder Pressemitteilung: Es wird gerufen, was das Zeug hält. Könnte man zumindest meinen, wenn ich sehe, wie oft und wo überall Sätze oder auch unvollständige Sätze mit dem Zeichen des Ausrufs statt mit einem simplen Punkt enden.

Im Ausrufezeichen stecken Emotionen

Dabei markiert das Ausrufezeichen genau das, was seinen Namen ausmacht: einen Ausruf. Da steckt Lautstärke drin; Emotionen, Nachdruck, kraftvolle Stimme, der Schrei! Da setzt sich jemand ein, echauffiert sich, klagt an oder protestiert. Da wird betont, verstärkt oder gewütet. Im Roman wird der Protagonist zitiert, der mit Verve rebelliert. Jedenfalls zeigt sich viel persönlicher Einsatz. Weshalb mit dem Ausrufezeichen oft auch dringende Wünsche oder Aufforderungen markiert werden.

In der Pressemitteilung oder einem informativen Fachbeitrag aber geht es nicht um derart persönlichen Einsatz. Es geht nicht ums Schreien oder Rufen. Da geht es um die Sache. Und zwar ganz sachlich! Sie wird auch nicht sachlicher und die Botschaft nicht wichtiger und die News nicht neuer, wenn ich am Ende ein Ausrufezeichen dranhänge. Ganz im Gegenteil: Wer immer nur brüllt, wird irgendwann nicht mehr gehört. (Okay, mit Ausnahme von Donald Trump vielleicht.)

Aber im Ernst: Wenn wir in meinen Seminaren die eben geschriebenen Texte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder auch deren eingereichte Arbeitsbeispiele aus dem Alltag durchgehen, sehe ich bei einzelnen wahnsinnig viele Ausrufe und deren Zeichen. Ich stelle mir dann im Geiste vor, wie das klingt, wenn wir die jeweiligen Phrasen wirklich ausrufen, statt sie einfach nur in Ruhe zu lesen und als Information – meinetwegen auch als aufrüttelnde oder überraschende Information – zur Kenntnis zu nehmen.

Lasst! Sie!! Weg!!!

Es erinnert mich an Loriots Comicfigur Hermann, der „einfach nur da sitzen“ möchte in seinem Lehnstuhl, der nichts tun will – eine Szene, die sich bekanntlich aus brodelnder Stille hocharbeitet und am Ende in den Satz mündet: „Ich schreie dich nicht an!“ Da ist das Ausrufezeichen dann wieder gerechtfertigt. Sonst könnten sich die Leser – respektive die Darsteller beim Nachspielen auf der Laienbühne – gar nicht vorstellen, was Loriot meint. Ein Ausrufezeichen ist das Zeichen für einen Ausruf. Da darf man auch mal schreien! In den meisten anderen Fällen nicht. Beziehungsweise macht es da keinen Sinn.

Die „Süddeutsche Zeitung“ rief schon 2016: „Lasst! Sie!! Weg!!!“ Das Ausrufezeichen sei der Macho unter den Satzzeichen, es schaffe sich Raum auf allen Kanälen im Kommunikationsalltag. „Auf Facebook, auf Twitter, von Litfaßsäulen und Werbeplakaten, selbst von der Pinnwand im Büro“ werde gebrüllt und gedrängelt. Vielleicht ist das auch eine Ursache: die Vermischung von Social Media, Marketing, Werbung (plakativ!!) mit Pressearbeit, Broschüren und anderer PR. Die verschiedenen Wirkmechanismen werden nicht mehr bedacht, und das Plakative macht sich rufenderweise auch dort breit, wo das ruhig Differenzierende und das informierend Detaillierte hingehören.

Vielleicht liegt es auch daran, dass heute von viel mehr Menschen auf viel mehr Kanälen viel mehr – oft auch Irrelevantes oder bereits Bekanntes, manchmal auch Erlogenes – kommuniziert wird. Wie kann man sich da noch die Aufmerksamkeit des Publikums sichern? Richtig: durch ganz viele Ausrufezeichen!!!

Kein Antagonist zum Fragezeichen

In einem Interview habe ich so etwas neulich auch gelesen. Der Interviewer stellt die Frage, zum Beispiel: „Müssen wir demnächst alle unsere Heizung austauschen?“ Der Interviewpartner antwortet, dass sich Heizungsgesetz und Co. nur auf einen Teil der infrage kommenden Immobilien beziehen würden – und schließt den Satz mit einem Ausrufezeichen. Nächste Frage: wieder ein „?“, dann ein „!“ – Warum?

Das Ausrufezeichen ist nicht der Antagonist zum Fragezeichen. Man muss und soll nicht auf jede Frage mit einem Aufschrei reagieren. Das wäre auch unhöflich. Nehmen wir die Satzzeichen doch lieber für das, wofür sie gemacht sind: ein Punkt, um einen Punkt zu setzen; ein Semikolon (wie das gerade), um einen Satz nur halb (= „semi“) zu enden; ein Fragezeichen für eine Frage; ein Gedankenstrich, um einen Gedanken einzufügen. Und ein Ausrufezeichen für einen Ausruf. Punkt.

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