Verbote prägen die Klimaschutzdebatte

Moralisch handeln

Im inoffiziellen Wettbewerb um die größten Klimasünder konkurrieren Flugreisen und Fleisch um die Pole-Position. „Wer noch ins Flugzeug steigt, ist ein Klimasünder“, schreibt eine Autorin der Zeit. Airlines und Passagiere stehen damit moralisch am Pranger. „Flugscham“ heißt dieses Phänomen. Richtig ist: Eine Welt ohne Flugverkehr wäre eine mit geringerem CO2-Ausstoß. Dass das in einer globalisierten Welt unrealistisch ist, versteht sich von selbst. 

Ein Unternehmen müsse Argumente liefern, warum Fliegen kein Klimakiller ist, sagt Andreas Bartels, Head of Communications bei der Lufthansa-Gruppe. Seit Jahrzehnten arbeite der Konzern daran, beim Fliegen nachhaltiger zu werden. Das Unternehmen veröffentlicht einen Nachhaltigkeitsbericht seit 1995. Heute reiche es nicht, in Kampagnen darüber zu informieren, meint Bartels. „Wir haben als Airline die Verantwortung, uns immer und überall zum Klimaschutz zu positionieren, und müssen dafür die gesamte Klaviatur der Kommunikation spielen.“

Etwa drei Prozent der Treibhausgasemissionen weltweit gehen dem Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft zufolge auf das Konto des Flugverkehrs. Mit einem Klimaschutz-Portal will der Verband „die Diskussion über Klimaschutz versachlichen“. „Der relativ geringe Anteil, den unsere Branche an den durch Menschen verursachten CO2-Emissionen hat, steht im Gegensatz zu unserem großen Anteil an der Debatte“, beklagt Bartels. Fliegen ist mit Abstand die energieintensivste Mobilitätsform. Darum ist jeder Flug für Organisationen wie den BUND ein „Sargnagel, der zur Beerdigung des Klimas beiträgt“.

Verbote als Anreiz zur Verhaltensänderung

Nachhaltigkeit ist schon lange ein Thema für Unternehmen. Aber die Dynamik in der Debatte hat sich erhöht. Höhepunkt war 2019 die Forderung der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Inlandsflüge zu verbieten. Lufthansa-CEO Carsten Spohr hat die Debatte aufgegriffen. Tenor: Sein Unternehmen würde die innerdeutschen Strecken gerne einstellen, sobald die Bahn konkurrenzfähig sei. Bis dahin sei ein Verbot fehl am Platz, findet Lufthansa-Sprecher Bartels: „Es kann nicht darum gehen, einen Teil der Verkehrsinfrastruktur einfach zu verbieten, sondern Alternativen zu suchen und einen passenden Ersatz zu diskutieren.“

Genau dafür können Verbote ein Anreiz sein, sagt Frank Überall. Er ist Autor eines Buchs über Verbote, Professor für Medien und Kommunikation sowie Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Ein Verbot sei immer mit einer Einschränkung von Freiheit und mit Emotionen verbunden. Das habe Nachrichtenwert und garantiere Aufmerksamkeit. „Die Forderung nach einem Verbot ist eine Extremposition, die uns innehalten lässt und hilft, unser Verhalten zu reflektieren. Es muss auf dem Konsens aufbauen, dass man dringend eine Veränderung braucht, und man muss die Notwendigkeit erklären. Im Anschluss kann man Kompromisse suchen, wie sich das realistisch für alle umsetzen lässt“, sagt Überall. „Eine Alternative zum Verbot muss man also von vornherein mitdenken. Wer davon ausgeht, dass seine Forderung zwangsläufig in einem Gesetz mündet, lebt in einer Diktatur.“

Den Diskurs wieder erlernen

Kompromisse gehören zur parlamentarischen Demokratie. Beim Klimaschutz herrscht die Meinung vor, dass sich etwas ändern muss. Am Weg scheiden sich die Geister. Braunkohle ist als Klimasünder bekannt. Ihre Förderung sichert Arbeitsplätze. Fliegen ist für die einen Teufelszeug. Für andere ein wichtiger Baustein der globalisierten Welt. Die Sache ist komplex. Große Lösungen sind nur weltweit erreichbar. Genau das ist für Frank Überall ein Grund, warum heute viele auf ihren Extrempositionen verharren. „Wir müssen wieder eine Kompromiss- und Diskursfähigkeit erlernen“, sagt er. Jeder habe seinen Beitrag beizusteuern – auch Unternehmen.

Gero Jentzsch, Sprecher des Deutschen Fleischer-Verbands, will sich in der Klimadebatte öffentlich zurückhalten. Zu aufgeheizt und emotional sei die Stimmung, zu extrem seien die mediale Darstellung und die Positionen. Es gehe nicht um Verzicht, sondern um einen „bewussten Konsum“, sagt Jentzsch: „Für uns ist der Verzehr von Fleisch, Wurst und Schinken ein wichtiger Teil der Ernährung und nicht die zentrale Stellschraube, um Treibhausgase zu reduzieren. Wir begrüßen es aber, wenn Verbraucher sich bewusst mit Fleischkonsum auseinandersetzen, weil wir Produkte anbieten, die ethisch gut und vertretbar sind.“

Das Für und Wider von Fleisch hat Deutschland schon häufiger polarisiert. Die Forderung nach einem „Veggie Day“ prägt das Image der Grünen als Verbotspartei bis heute. Das Label wird von der politischen Konkurrenz und Journalisten gerne hervorgeholt, um die Partei zu diskreditieren. 

Auch die Fleischindustrie und die Landwirtschaft diskutieren Tier- und Umweltschutz seit Jahren. Die Klimadebatte hat für Jentzsch keine neue Dramatik reingebracht. Im Gegensatz zur globalen Fleischwirtschaft arbeite das deutsche Fleischerhandwerk mit regionalen Betrieben. Es nutze weniger Tiertransporte, verbrauche weniger CO2 und versuche, möglichst klimaneutral zu sein. „Unser gesamtes Angebot baut darauf auf, dass wir uns der Ethik und Nachhaltigkeit verpflichten. Das ist der Grundtenor all unserer Kommunikation“, so Jentzsch.

Plötzlich sind alle „grün“

Wo Konsumenten nicht verzichten können oder wollen, positionieren sich Unternehmen als „grüne“ Alternative. Der Vorwurf „Greenwashing“ ist dann meist nicht weit. Wenn H&M beispielsweise eine „Conscious Collection“ bewirbt, deren Stoffe aus recycelten Pet-Flaschen stammen, aber auf allen Kanälen zum Konsum des nächsten „It-Pieces“ anregt, liegt die Frage nah, ob der Modekonzern wirklich nachhaltig ist.

„Eine Kampagne reicht nicht“, sagt Frank Überall. „Wer sich als nachhaltiges Unternehmen positionieren will, muss die Strategie konsequent umsetzen und sicherstellen, dass sie jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter versteht und vertritt. Sonst wird sie dem Unternehmen früher oder später auf die Füße fallen. Denn es ist die Aufgabe der Medien, hinter Fassaden zu schauen und Widersprüche in Aussagen aufzuspüren.“

Petra Diroll verantwortet die Kommunikation beim deutschen Mode- und Textilverband. Sie sieht Marken aus Deutschland in der aktuellen Debatte gut positioniert: „Wir sind Teil der Lösung, nicht des Problems.“ Anders als die schnelle und preiswerte Mode, die H&M, Zara und Primark produzierten, setze deutsche Mode auf Nachhaltigkeit und Qualität. „Diese kaufen Sie nicht, um sie morgen wegzuschmeißen“, so Diroll. „Fast Fashion ist unsere Konkurrenz.“ Wenn Verbraucher sich bewusster mit Mode auseinandersetzen würden, sei das von Vorteil für die Mitglieder im Verband: „Für sie ist Nachhaltigkeit nicht nur ein Thema für eine bunte Kampagne, sondern Teil ihrer Identität.“

Kampf um Preise und Image

Die Ambivalenz der Debatte wird deutlich, sobald es um Preise geht – egal ob bei Fashion, Flügen oder Fleisch. Auf der einen Seite kann es nicht billig genug sein, damit es jeder nutzen kann. Auf der anderen Seite ist es nicht teuer genug, damit Verbraucher bewusster konsumieren. Für Gero Jentzsch sind nicht Tofu-Burger und Laborfleisch die größte Konkurrenz, sondern Supermärkte, die Hack und Schweinekoteletts zu Billigpreisen anbieten. „Es ist nicht in Ordnung, Fleisch zu Schleuderpreisen zu bewerben. Das wird dem Wert des Produkts nicht gerecht“, sagt er. In die Offensive geht der Verband aber nicht. Der Fokus liege auf Fachkräftemangel, sagt Jentzsch. Dieser treibe die Mitglieder um. Dabei können auch Ethik und Nachhaltigkeit Argumente sein, im Wettbewerb Personal zu gewinnen.

Auch der Modeverband will sich von Billiganbietern distanzieren, macht das sogar in Interviews und baut die Website um, um Nachhaltigkeit stärker zu thematisieren. „Mode braucht wieder mehr Wertschätzung. Wir hatten früher eine andere Beziehung zu Kleidung, die sich durch den Handel mit Fast Fashion geändert hat“, sagt Petra Diroll.

Wirklich offensiv nutzt die Lufthansa den Faktor Preis, um in der Klimadebatte gegen die Billigkonkurrenz vorzugehen: „Wir werden durch Dumpingpreise zu einer Zielscheibe für Kritik“, sagt Andreas Bartels. CEO Spohr hat mit der Forderung, es dürfe keine Ticketpreise für unter zehn Euro geben, selbst ein Verbot ins Spiel gebracht. Auch Lufthansa hat mit Eurowings einen Billiganbieter im Programm. Man könne sich nicht von seinem Heimatmarkt verdrängen lassen, hat Spohr gesagt. 

Aber ist es in Ordnung, wenn die „Generation Easyjet“ für einen Kaffee nach Lissabon oder zum Einkaufen nach Mailand fliegt, dafür aber weniger bezahlt als für ein Zugticket von Berlin nach Hamburg und die Werbung das auch noch als lebenswert inszeniert? „Es mag ja legitim sein, auf das Angebot hinzuweisen. Aber es ist in meinen Augen falsch, eine künstliche Nachfrage für Billigst-Tickets zu erzeugen, die es vorher nicht gab“, so Bartels.

In Basel in der Schweiz soll bald Schluss mit derartiger Werbung sein. Zumindest wenn es nach den Basler Grünen geht: Sie wollen Plakate aus der Stadt verbannen, die für klimaschädliche Produkte werben wie Flüge, Fleisch und SUVs. Es sei den Verbrauchern nicht zuzumuten, sich für das Klima im Verzicht zu üben und permanent mit positiven Botschaften der Werbung konfrontiert zu werden. Die Inhalte von Werbung mal kritisch zu hinterfragen, schadet sicherlich nicht.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KONTROVERSE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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