Ist es legitim, Kampagnen auf Lügen aufzubauen?

Pro und Contra

Warum „Lügen“ in der Werbung erlaubt bleiben muss

 

Als Citroën seine Kunden im letzten Sommer an der Nase herumführte, schrieen einige empörte sogleich Stimmen „Lüge!“. PR-Kampagnen können solche Flunkereien aber vertragen.

von Katrina Geske

Im vergangenen Jahr machte der französische Autohersteller Citroën Schlagzeilen: Angeblich wollte er sich – aufgrund von Ausspracheprobleme auf Seiten der deutschen Kunden – in „Zitrön“ umbenennen. Das Ganze entpuppte sich schließlich als Werbe-Gag – nicht jedoch bevor das dazugehörige Satirevideo im Stromberg-Stil für zahlreiche Lacher gesorgt hatte. Dass sich die Marke einen Spaß erlaubt hatte, war für (fast) alle offensichtlich.

Einige kritische Stimmen konnten der Aktion jedoch nichts Lustiges abgewinnen. Citroën verbreite „Fake News“, führe seine Kunden böswillig hinters Licht. Sogar mit politischen Desinformationskampagnen wurde der Gag verglichen. Legitim – oder eine gefährliche Übertreibung?

Einigen Unternehmen haben ähnliche Aktionen jedenfalls gehörigen Ärger eingebracht: Der Spiele-Hersteller Mattel wurde vom DRPR gerügt, weil er fälschlicherweise behauptet hatte, den Spieleklassiker Scrabble in „Yolo“ umbenennen zu wollen. Norwegens Tourismusbehörde verbreitete die Nachricht, auf der Insel Sommarøy solle die Zeit abgeschafft werden. Nachdem unter anderem der norwegische Presseverband die Aktion kritisiert hatte, entschuldigte sich die Behörde.

Haben die Kritiker also recht – sind solche Kampagnen „Lügen“ und damit verwerflich? Der Vergleich von politischer Desinformation à la Trump oder Johnson hakt jedenfalls. Schließlich steht hier nicht die Zukunft eines ganzen Landes oder gar der Weltfrieden auf dem Spiel, sondern lediglich der Vertrieb eines Produktes.

Weiterhin handelt es sich immerhin bei der „Zitrön“-Kampagne recht offensichtlich um einen Spaß. Die Figuren im Video sind überzeichnet, der Stil an eine bekannte Satire-Show angelehnt. Darin „Fake News“ zu sehen, ist eher abwegig. Ein Werbespot ist schließlich kein Nachrichtenbeitrag: Die Clips sollen zum Kaufen animieren, nicht die Welt erklären. Jede der genannten Marken hat den Witz nach kurzer Zeit aufgedeckt – sich an der Naivität der getäuschten Kunden zu bereichern, war hier ganz klar nicht der Plan.

Beleidigte Kunden sowie Medien, die sich über solche Aktionen aufregen, sollten ein wenig Humor beweisen und diese als das hinnehmen, was sie sind: Ein kurzzeitiger Spaß zur Belustigung aller und – vor allem – zur Generierung von Aufmerksamkeit. In dieser Beziehung können die genannten Unternehmen wirklich mit sich zufrieden sein!


 

Warum niemand eine Kampagne auf Lügen aufbauen sollte

 

Wer eine PR-Kampagne auf Lügen aufbaut, riskiert damit nicht nur einen enormen Glaubwürdigkeitsverlust. Er zerstört auch das Vertrauen in eine gesamte Branche. Ein negatives Image ist programmiert.

von Toni Spangenberg

Nicht umsonst glauben einer Umfrage von Ginger Research zufolge 92 Prozent der Briten, die Aufgabe von PR sei es “die Öffentlichkeit zu täuschen”. Eine pan-europäische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Misstrauen gegenüber PRlern auch hierzulande riesig ist. Gerade einmal acht Prozent der Deutschen haben demnach Vertrauen in Kommunikatoren.

PR-Verantwortliche, die den Menschen für ein bisschen kurzweilige Aufmerksamkeit Lügen auftischen, tragen zu diesen Ergebnissen bei und erweisen ihren Kollegen damit einen Bärendienst. Auch ihren Unternehmen fügen sie massiven Schaden zu. Denn in einer immer dünnhäutiger werdenden Gesellschaft, ist kaum abzusehen, welche Empörungsspirale die spätere Aufklärung der Lügenkampagne haben wird. Ein leichtfertiges Spiel mit der Reputation einer Firma.

Wie waghalsig solche Aktionen nicht nur in der Theorie sind, zeigt folgendes Beispiel: Vergangenen Juni kündigte die norwegische Tourismusbehörde an, auf der Insel Sommarøy werde die Zeit abgeschafft. Ohnehin gehe die Sonne für die rund 350 Bewohner vom 18. Mai bis 26. Juli nicht unter. Die Mitternachtssonne führe dazu, dass Bewohner gelegentlich nachts ihre Häuser strichen oder Kinder draußen spielten. Wofür solle man also am Konzept der Zeit festhalten? 

Dieser Falschmeldung saßen mehrere nationale wie internationale Medien auf. Mit der Aktion wollten die staatliche Innovationsbehörde Innovation Norway und die nationale Tourismusbehörde Visit Norway mehr Touristen ins Land locken. Offenbar hat Norwegen nichts zu bieten, was einen Urlaub dort rechtfertigen würde. Warum sonst muss man “die Öffentlichkeit täuschen”, um Menschen zu einem Besuch zu animieren? 

Nach Bekanntwerden des PR-Stunts durch die norwegische Zeitung Aftenposten hagelte es Kritik, unter anderem vom norwegischen Presseverband. Die Verantwortlichen zeigten sich von der Empörungswelle überrascht und bedauerten, “die Geschichte initiiert zu haben”. Sie versprachen transparenter und verlässlicher zu werden. 

In einer Zeit, in der viele Menschen kein Vertrauen mehr in die Berichterstattung der Medien haben, sich überwiegend in Filterblasen bewegen und daher nur schwer erreicht werden können, ist eine Kampagne wie diese fahrlässig. Erstens beschädigt sie – zurecht – das Vertrauen in ihre Initiatoren Innovation Norway und Visit Norway. Zweitens lässt sie das Vertrauen in unbeteiligte PRler und damit eine ganze Branche erodieren. Drittens leistet sie dem Vertrauens- und Ansehensverlust des Journalismus Vorschub. Wobei sich Journalisten, die der Meldung aufgesessen sind, ihrerseits Fragen nach der Sorgfaltspflicht bei der Recherche gefallen lassen müssen.

Beispiele wie diese gibt es zu viele. PRler, die die Lüge als Werkzeug ihrer Arbeit verstehen, verprellen Kunden und Nutzer, verspielen Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Wollen Branchenvertreter auch künftig ernst genommen und gehört werden, bleiben sie besser bei der Wahrheit.

 

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