Nancy, auf der Website von We Are Era gibt es drei Bereiche: für Brands, Broadcaster und Personalities. Seid ihr am ehesten eine Werbeagentur, Produktionsfirma oder Künstlervermittlung?
Julius: Alles. Wir passen in keine Box. Wir entwickeln und produzieren Inhalte. Wir managen Künstler*innen und vermarkten Reichweiten. Wir glauben, dass dieser Dreiklang nachgefragt ist angesichts der vielen Möglichkeiten, Content zu produzieren und auszuspielen.
Was bietet ihr im Bereich Influencer Marketing an? Was können Unternehmen von euch bekommen?
Julius: Wir sehen uns da erst mal stark in der Beratungsfunktion, um herauszufinden, was der Bedarf ist. Wie man eine Kampagne dann umsetzt, ist sehr verschieden. Das kann eine einfache Influencer-Kampagne sein, wir bauen aber auch Branded Channels und serielle Formate für Unternehmen auf. Im Idealfall verknüpfen wir exklusives Talent, Strategie, Produktion und Media auf europäischer Ebene.
Hast du Beispiele für so eine internationale Kampagne?
Julius: Im vergangenen Jahr haben wir mehrere Kampagnen für die Modemarke About You umgesetzt. Ziel war die Erzeugung von Aufmerksamkeit zum Markteintritt in Italien und Spanien. Wir haben Zugang zu den Talenten in verschiedenen Märkten. Das heißt, wir suchen die nicht über Daten und Plattformen, sondern wir wissen auch aus der persönlichen und langjährigen Beziehung mit den Künstler*innen, ob das ein Fit ist.
In welchem der Länder, in denen ihr vertreten seid, ist die Influencer-Szene am größten?
Julius: Das Thema ist ja global. Mittlerweile gibt es bestimmt 50 Millionen Influencer*innen in allen Märkten. In den Niederlanden sind wir zum Beispiel sehr präsent im Bereich Influencer Marketing, einfach weil wir dort die bekanntesten Talente unter Vertrag haben. Das ist in Italien und den nordischen Ländern genauso. In Deutschland haben wir uns schon stärker als Full-Service-Künstlermanagement etabliert. Mittlerweile arbeiten wir mit sehr vielen Künstler*innen zusammen, die bei uns exklusiv unter Vertrag stehen.
Was heißt das genau?
Julius: Das heißt: Wir sind entweder die Einzigen, die die Künstler im Social-Media-Bereich vertreten, oder wir übernehmen sogar das komplette Künstlermanagement. Hier kümmern wir uns um Karriereplanung, Vermarktung, Vermittlung von Engagements, PR und so weiter. In diesem Bereich wachsen wir kontinuierlich und haben mittlerweile etwa 130 exklusive Künstler*innen – zusätzlich zu den 1.500 Partner*innen, die wir ohnehin haben. Diese Entwicklung kommt auch daher, dass die Herausforderungen komplexer sind für Influencer*innen, für Creator*innen und allgemein für Artists. Meistens sind diese nicht mehr nur auf einer Plattform unterwegs, sondern auf mehreren. Die Möglichkeiten der Selbstvermarktung waren nie größer: Ich kann eigene Produkte rausbringen, ich kann online wie offline stattfinden, ich bin vielleicht ein nachgefragter Speaker auf Events und für Podcasts.
Was ist der Unterschied zwischen Influencer und Creator?
Julius: Influencer*innen beeinflussen mehr. Aus meiner Sicht geht es da stärker um das Thema, das sie setzen möchten. Bei Creator*innen sehe ich eher die Kreation der Inhalte im Vordergrund. Creator*innen sind für mich mehr Allrounder – sie haben etwas zu erzählen und wissen, wie sie es visuell umsetzen. Aber am Ende sind die Unterschiede fließend. Ich unterscheide in meinem Sprachgebrauch gar nicht so sehr. Ich rede eher von Persönlichkeiten und Künstler*innen.
Wie groß ist die Nachfrage der Unternehmen in Deutschland?
Julius: Influencer Marketing ist in allen unseren Märkten ein großes Thema. Zunehmend bereiten wir auch in Deutschland, den Niederlanden und den Nordics immer mehr Marken den Weg zum Branded Channel. Das heißt, wir produzieren langfristig für eine Marke, managen und bespielen die Kanäle. Das ist nicht nur viel Aufwand, es stehen auch größere Budgets dahinter. Da sehen wir schon Unterschiede insbesondere im Vergleich zu Südeuropa, wo aktuell noch stärker kurz- bis mittelfristige Influencer- Kampagnen gefragt sind.
Da kauft man eher einzelne Placements ein?
Julius: Genau, einzelne Placements oder Testimonial-Kampagnen. Aber mit einem Branded Channel langfristig auf ein Thema zu setzen, wird immer wichtiger. Die Budgets shiften immer mehr weg von klassischen Kanälen, hin zu Social Media. Dass das Thema nicht weggeht, haben viele jetzt verstanden. Das heißt, man traut sich mehr.
Was kostet denn ein Placement oder ein Branded Channel?
Julius: Bei einem Branded Channel sind wir in der Regel im sechsstelligen Bereich. Bei Placements hängt es von verschiedenen KPIs wie Engagement, Positionierung und Reichweite ab. Das ist in der Regel vier- oder fünfstellig, kann aber auch mal sechsstellig werden.
Aus welchen Bereichen kommen eure Kunden?
Julius: Das sind zum einen Marken. Darüber hinaus haben wir das Geschäft mit Sendern, Plattformen – und dann NGOs und Stiftungen. Wir grenzen das nicht ein, dass wir zum Beispiel nur Kampagnen im Bereich Beauty, Fashion, Automotive, Sport umsetzen. Wir arbeiten unter anderen mit IKEA, RTL+, Funk, ZDF Sportstudio, Disney, HBO, Hello Fresh, Amazon, der Vodafone Stiftung und Topps zusammen. Johnson & Johnson ist einer unserer langjährigen Kunden, für den wir auch einen Branded Channel bespielen.
Auf allen Plattformen präsent
Gibt es ein Top-Netzwerk, wo die meisten eurer Produkte ausgespielt werden?
Julius: Heute sind wir auf allen Plattformen. Groß geworden sind wir auf Youtube. Was die Videovermarktung betrifft, ist Youtube auch weiterhin der größte Player. Kooperationen werden aber häufig auf Instagram ausgespielt und inzwischen auch immer mehr auf Tiktok. Das war die am häufigsten abgerufene App in der Pandemie-Zeit. Auf Tiktok wird sehr viel ausprobiert, das ist spannend für Marken und Kunden, die sich mit jungen Zielgruppen beschäftigen. Die Zielgruppen unterscheiden sich auf den Plattformen, die Formate hingegen zunehmend weniger.
Und bei einer größeren Kampagne wie für About You werden alle Kanäle bespielt?
Julius: In dem Fall waren es Instagram, Youtube und Tiktok. Insgesamt haben wir 250 Creator*innen pro Markt bei der Markteintrittskampagne in Italien und Spanien involviert. Neben Creator*innen aus unserem eigenen Portfolio haben wir auch klassische Schauspieler*innen und Medienstars aktiviert, die alle denselben Hashtag verbreitet haben. Der ging viral. Jeder hat sich gefragt, was dahintersteckt, bis es ein großes Launch-Event gab.
Wenn ihr Künstler*innen unter Vertrag nehmt: Was müssen die mitbringen, um für We Are Era interessant zu sein?
Julius: Wir schauen darauf, ob das eine spannende Persönlichkeit ist und was es für Möglichkeiten gibt, diese Person weiterzuentwickeln – inhaltlich, aber auch in der Vermarktung. Das hängt davon ab, was die Person möchte. Das versuchen wir im persönlichen Gespräch herauszufinden, indem wir fragen: Was sind die Werte und Themen, die du besetzen möchtest? Und: Lebst du diese Themen und Werte? Denn es nützt nichts, wenn jemand sagt: Ich möchte gerne Sport-Content machen, aber ich brenne nicht dafür oder traue mich nicht.
Wie kritisch sind Influencer*innen mitunter gegenüber Unternehmen?
Julius: Das sehen wir auch als Teil unserer Beratungsleistung. Wenn sich jemand mit etwas nicht wohlfühlt, ist das am Ende wahrscheinlich auch keine erfolgreiche Kampagne für den Kunden. Es kann sogar imageschädigend für den Künstler sein. Das Schöne ist aber: Die Spielmasse ist groß. Es gibt so viele Möglichkeiten für Marken, gerade in Social Media. Da gilt es herauszufinden, wer mit welcher Kampagne zum Markenkern des jeweiligen Künstlers oder der Künstlerin passt. Da muss man schon genau hinschauen, denn am Ende wollen wir alle keinen Shitstorm produzieren. Es gibt das Beispiel Got Bag, diese Rucksäcke, die nicht ganz so nachhaltig sind, wie das Unternehmen sie angepriesen hat. Da haben sich Influencer*innen im Nachhinein geärgert, dass sie dafür geworben haben.
Wie beugt ihr dem vor? Und auch dem umgekehrten Fall, dass ein Influencer eine Marke mit runterzieht wie Fynn Kliemann?
Julius: Zum einen sind wir im ständigen Austausch mit den Künstler*innen. Es ist aber auch sehr wichtig zu antizipieren: Was könnte passieren? Am Ende ist es ein People’s Business, und manchmal passieren Dinge unerwartet. Ich glaube, darum ist es gut, wenn man in einem Management ist, wo man jemanden hat, der vorausdenkt, direkt einspringt und hilft. Wenn wir Influencer*innen vorschlagen, erwarten die Kunden auch von uns, dass wir wissen, wofür diese stehen. Man würde nie jemanden vorschlagen, wenn man das Gefühl hat, das könnte ein negatives Echo erzeugen. Das ist ein Erwartungsmanagement in beide Richtungen.
Einer der Vorbehalte gegen Influencer Marketing war lange der Vorwurf der Schleichwerbung. Inzwischen gibt es Gesetze dazu. Ist das aus deiner Sicht gut geregelt?
Julius: Das Thema ist durchreguliert. Es gibt die sogenannte Matrix der Landesmedienanstalten, da ist auf mehreren Seiten sehr klar beschrieben, was man in welchem Fall machen muss. Da hat man mittlerweile eine große Sicherheit. Am Anfang hatte man vielleicht noch hier und da die Befürchtung, dass das negativ konnotiert wird. Aber gerade die Social-Media-Zielgruppen verstehen natürlich, dass Creator mittlerweile auch ein Job ist.
Was war anfangs die Befürchtung, wenn da Werbung steht?
Julius: Dass das dann weggeklickt wird. Im TV ist das ja auch so, dass dann eben weggezappt wird. Aber ich glaube, am Ende ist es für alle nachvollziehbar, dass es da eine Transparenz braucht. Wenn jemand Werbung versteckt und dann herauskommt, dass er aber dafür bezahlt wurde, straft man das viel mehr ab, als wenn es von Vornherein gekennzeichnet ist. Heute gibt es auch immer mehr Branded Entertainment, das wird von der Community geklickt und gefeiert.
Hast du ein Beispiel?
Julius: Ein schönes Beispiel ist Clemens Brock. Er nennt sich Bierfluencer, testet gerne Bier, ist auf Tiktok, Twitch und Instagram. Clemens hat aber noch einen zusätzlichen Charakter kreiert, eine Vaterfigur, die dem Kanal noch mal eine andere Qualität gibt. Das ist Entertainment, die Leute gucken das, weil sie es witzig finden.
Und sie gucken dann auch die Werbung?
Julius: Clemens bindet seine Markenkooperationen sehr authentisch in seine Formate ein. Er ist ein klassischer Content Creator. Er schaut immer, wie er mit neuen Formaten und Inhalten unterhalten kann. Teekanne ist auch ein schönes Beispiel für einen Kunden, der sich was traut. Die haben zum Beispiel in einer Kampagne mit Rappern zusammengearbeitet. Das trifft dann einen Zeitgeist und ein bestimmtes Publikum. Es geht darum, einen inhaltlichen Anker zu finden und mit einem spannenden Talent zu kombinieren.
Wie lassen sich konkrete Erfolge für die Unternehmen messen?
Julius: Da kommt es darauf an, was die Erfolgsfaktoren und Ziele der jeweiligen Kampagne sind. Ist mir eine Aufmerksamkeit oder eine Reichweite wichtig? Ein Engagement oder ein Abverkauf? Das ist sehr individuell und wird am Anfang definiert.
Inwiefern geht eure Analyse über normale Analysetools hinaus?
Julius: Es geht nicht nur darum, die Tools zu bedienen. Die Daten müssen richtig interpretiert und in einen Kontext gesetzt werden. Wir haben auch eigene Produkte für Audience Insights oder Real Time Tracking, das geht dann in den Bereich Social Listening: Was passiert? Über was wird geredet? Was ist spannend?
Du hast mal in einem Interview gesagt: Influencer Marketing kann auch Gesellschaftspolitik, nur leider sehen wir davon noch zu wenig. Was würdest du dir wünschen?
Julius: Ich mag den Begriff Sinnfluencer nicht so gerne, aber er fasst sehr gut zusammen, dass es hier um eine Message von Menschen geht, die etwas verändern und bewirken möchten. Mit denen zusammen setzen wir zum Beispiel unsere MESHCollective- Produktionen für NGOs, Institutionen und Stiftungen mit außerschulischem Jugendbildungsauftrag um. Mit Social Media hat man einen leichteren Zugang zu jüngeren Zielgruppen und kann gesellschaftsrelevante Themen noch mal anders erklären. Dabei zu helfen, diese Themen zu platzieren, finde ich eine wichtige Aufgabe.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Influencer. Das Heft können Sie hier bestellen.