Matschige Hose, Protestschild in den Händen, ausgeleuchtetes Gesicht: Viele, die an die Klimaproteste in Lützerath zu Beginn des Jahres zurückdenken, werden das Bild vor Augen haben, wie Aktivistin Luisa Neubauer von drei Polizisten weggetragen wird. Ein Bild, das Schlagzeilen machte und die sozialen Medien beschäftigte, weil es inszeniert wirkte. CSU-Politiker Andreas Scheuer fragte deshalb auf Twitter provozierend: „Bestens ausgeleuchtet oder mit Photoshop nachgeholfen?“ Die Deutsche Presse-Agentur korrigierte ihn anschließend: Das Licht komme von einem Polizei-Mannschaftswagen.
Ob inszeniert oder nicht: Das Neubauer-Bild zeigt, dass sich die Diskussion über die Klimaproteste nach wie vor gern an zentralen Gesichtern der Bewegung aufhängt. Wie vorteilhaft ist es aber für die Bewegung, wenn durch die Reduzierung auf Neubauer oder Greta Thunberg andere Stimmen in den Hintergrund geraten? Wie viel Personal Branding braucht der Klimaprotest?
Für Influencer Fabian Grischkat, der als Aktivist selbst in Lützerath war, ist Personal Branding in der Klima-Bewegung sowohl „kritisch als auch notwendig“. Es sei wichtig, dass man eine Bewegung auch anhand von Personen erkennt, sagt er im „Talking Digital“-Podcast. Vor allem weil sie eine gewisse Emotionalität herstellen würden. „Es gibt viele Menschen, die eher einer Rede oder einem Videobeitrag von Luisa Neubauer zuhören würden, als wenn dieser Beitrag ihnen in Form einer Text-Kachel auf Instagram begegnet.“
Mit dieser Einschätzung könnte Grischkat Recht haben. Dennoch birgt die mediale Fokussierung auf wenige Gesichter Risiken. Einerseits kann es dazu führen, dass die Bewegung wenig divers und meinungspluralistisch daherkommt. Andererseits kann es dazu führen, dass Personen wie Thunberg oder Neubauer selbst unter Druck geraten und ihre Glaubwürdigkeit und Authentizität in Frage gestellt werden. Der schwedischen Aktivistin wurde beispielsweise vorgeworfen, von ihren Eltern und anderen Klimaschützern instrumentalisiert zu werden.
Die Gesichter der Bewegung tragen eine große Verantwortung. Sie müssen sicherstellen, dass ihre Botschaften authentisch bleiben und nicht von ihrer persönlichen Karriere oder ihrer Popularität abhängen. Es ist wichtig, dass sie weiterhin eine Stimme für diejenigen sind, die sonst oft nicht gehört werden, und sie sich dafür einsetzen, dass die Klimapolitik auch tatsächlich Veränderungen bewirkt. Außerdem sollten sie darauf achten, dass ihre Bewegung offen bleibt und auch andere Persönlichkeiten miteinbezieht, um eine breite Unterstützerbasis zu schaffen und die Klimabewegung langfristig zu stärken.
Wie man sich maßvoll in den Vordergrund rückt, hat Fabian Grischkat in Lützerath selbst gezeigt. Aus der Blockade heraus hatte der Aktivist zusammen mit anderen Personen Interviews mit Journalisten geführt. „Wir haben in den Interviews immer darauf hingewiesen, dass wir nicht diejenigen sind, die hier seit Monaten campen und dafür sorgen, dass dieses Dorf überhaupt noch steht.“
KOM kooperiert mit dem Podcast „Talking Digital“, der über die KOM-Website abrufbar ist. Giuseppe Rondinella moderiert den Podcast gemeinsam mit Kristin Dolgner und Sachar Klein.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Europa. Das Heft können Sie hier bestellen.