Wie politisch darf PR sein?

Haltung in der externen Kommunikation

Das Paar auf dem Werbeplakat betrachtet ein Ultraschallbild. Die Frau lächelt, der Mann lächelt. Sie erwarten offensichtlich Nachwuchs. So warb die Krankenkasse DAK Anfang des Jahres für ein neues Angebot für Schwangere.

So weit, so harmlos. Doch nachdem das Kampagnenmotiv öffentlich verbreitet worden war, brach auf Facebook und Co. ein Shitstorm los. Dass auf dem Plakat eine hellhäutige Frau und ein dunkelhäutiger Mann zu sehen sind, passte nicht ins Weltbild einiger Menschen. „Mörder“, „Vergewaltiger“, „Umvolkung“, so gellte der Aufschrei in Kurzform.

„Wir haben mit einzelnen Reaktionen vom rechten Rand gerechnet“, sagt DAK-Pressesprecher Jörg Bodanowitz. „Deshalb hatten wir nach den ersten Hasspostings zunächst gesagt: Ruhe bewahren, abwarten. Aber als es dann eine Welle solcher Postings gab und typischer Nazi-Jargon auftauchte, haben wir uns entschlossen, zu reagieren und Haltung zu zeigen.“ Unter anderem, indem die Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation aus der Hamburger Zentrale vor einem der Werbeplakate posierten und dieses Foto in den Sozialen Medien posteten, um zu zeigen: Wir stehen zu dem Motiv. Wir zeigen Haltung.

Eigentlich waren junge Familien Zielgruppe dieses Plakatmotivs, in dem ein Paar sich auf Nachwuchs freut. Was folgte, war laut der Krankenkasse eine Welle von Hasspostings, teilweise im "typischen Nazi-Jargon". (c) DAK-Gesundheit/Getty Images

Eigentlich waren junge Familien Zielgruppe dieses Plakatmotivs, in dem ein Paar sich auf Nachwuchs freut. Was folgte, war laut der Krankenkasse eine Welle von Hasspostings, teilweise im “typischen Nazi-Jargon”. (c) DAK-Gesundheit/Getty Images

Laut Bodanowitz sind nicht Migranten, sondern junge Familien Zielgruppe der Werbung gewesen. Für den DAK-Sprecher sagt die Massivität der bösartigen Reaktionen einiges über die gesellschaftliche Realität in Deutschland aus. „Diese Art von Hetze ist empörend und schwer auszuhalten. Diversität ist doch eine Realität in unserer Gesellschaft, und wir haben den gesetzlichen Auftrag, alle Menschen zu versichern.“

Reaktionen, die Alltagsrassismus offenlegen − damit wurde jüngst auch die Deutsche Bahn konfrontiert. In einem ihrer „Toleranzzeit“-Werbespots sitzt ein junger Mann einer jungen Frau mit Kopftuch gegenüber. Der innere Monolog des Medizinstudenten offenbart eine Menge Vorurteile – bis die junge Frau ihm bei einer hingemurmelten Fachfrage in perfektem Deutsch freundlich aushilft.

„Über die Gestaltung der ‚Toleranzzeit‘-Spots haben wir im Team lange diskutiert, waren am Ende aber davon überzeugt, dass sie die Idee von Meinungsvielfalt und Toleranz gut transportieren“, sagt Antje Neubauer, Leiterin Marketing und PR bei der Deutschen Bahn. „Leider kam es im Netz auch zu unschönen Reaktionen. Das begann mit unsachlichen und zum Teil verletzenden Bemerkungen in Sozialen Medien und endete − wie leider so oft − mit Hetze.“

Neubauer stellte fest, dass es in den diversen Social-Media-Kanälen durchaus unterschiedliche Qualitäten des Diskurses gibt. „Bei Facebook ist der Ton harscher, bei Instagram angenehmer“, sagt sie. Und: „Wer unter seinem Klarnamen postet, drückt sich oft anders aus als unter Pseudonym.“

Schelte aus dem Netz sollten Unternehmen gleich einplanen

Die Reaktionen haben die Deutsche Bahn Neubauer zufolge eher bestärkt, auf ein klares Profil und Haltungskommunikation zu setzen. Sie hat beobachtet: „Wenn Sie heute Vorstellungsgespräche mit jungen Bewerbern führen, stellen die andere Fragen als ich vor 20 Jahren. Die jungen Kandidaten wollen genau wissen, wie ein Unternehmen zu bestimmten Themen steht. Das finde ich gut.“

In einem der "Toleranzzeit"-Spots der Deutschen Bahn sitzen ein junger Mann und eine junge, Kopftuch tragende Frau gemeinsam im Zug. Der innere Monolog des Studenten offenbart Vorurteile – bis die beiden Fremden ins Gespräch kommen. (c) Youtube/Deutsche Bahn Personenverkehr

Die “Toleranzzeit-Spots” der Deutschen Bahn sitzen ein junger Mann und eine junge, Kopftuch tragende Frau gemeinsam im Zug. Der innere Monolog des Studenten offenbart Vorurteile – bis die beiden Fremden ins Gespräch kommen. (c) Youtube/Deutsche Bahn Personenverkehr

Unternehmen, die eine diverser werdende Gesellschaft in ihren Werbekampagnen abbilden möchten, müssen Schelte aus dem Netz einplanen. Das erfuhr auch der Süßwarenhersteller Katjes. In der Kampagne für veganes Naschwerk ist ein Kopftuch tragendes Model zu sehen. Der jungen Frau mit pinkem Hijab scheint das vegane Gummitierchen zu schmecken – im Gegensatz zur toleranzbefreiten Klientel in den Sozialen Medien. Neben den üblichen Verdächtigen aus der rechtsextremen Ecke stieß sich die Netzgemeinde auch an der Tatsache, dass Katjes-Model Vicenca Petrovic in der Kampagne zwar eine Muslima darstellt, in Wahrheit aber serbischer Herkunft und christlich-orthodoxen Glaubens ist. Da half es auch nicht, dass Petrovic auf Instagram bekundete, „ein Gleichgewicht zwischen allen Frauen der Welt“ herstellen zu wollen. Wer ein „Fake“ produziert, dem nimmt man selbst gute Absichten nicht mehr ab. Wer Haltung zeigt, der muss es ernst meinen. Denn die Soziale-Medien-Welt liebt es authentisch.

So sorgte der schwäbische Getränkehändler Marco Grözinger unlängst mit einem einzigen Post auf Facebook für großen Buzz: „Liebe Kunden, aus aktuellem Anlass (ist zwar schon länger ein Thema, aber bei uns jetzt erst intensiv besprochen worden) werden wir ALLE Produkte, die zum Nestlé-Konzern gehören, aus dem Programm nehmen.“ Eine Welle des Zuspruchs und der Glückwünsche war die Folge. Erst recht, als Grözinger bekannte, „mit Konflikten, die Nestlé durch die Wasserentnahme auslöst“, nichts zu tun haben zu wollen.

Kunden hinterfragen kritisch und verlangen Antworten

Dabei ist es der weltgrößte Lebensmittelkonzern ohnehin gewohnt, regelmäßig am Pranger zu stehen. Kunden stellen unter #FragNestlé bei Twitter weniger Fragen zu Produkten, sondern machen eher ihrer Wut über verunreinigtes Babymilchpulver, zweifelhafte Geschäfte mit Wasser oder umweltschädliche Kaffeekapseln Luft.

„Unternehmen denken eher in monetären Kategorien“, sagt Lothar Rolke. „Sie wissen genau, wie viel sie für ein Produkt oder eine Dienstleistung verlangen können. Einen systematischen Zugang zu gesellschaftlichen Perspektiven haben sie meist nicht.“ Der Sozialwissenschaftler von der Hochschule Mainz kritisiert vor allem die Auto- und Finanzbranche. Sie habe in letzter Zeit wenig Kontakt zu realen gesellschaftlichen Ansprüchen gezeigt. „Dabei ist längst klar, dass sich die Menschen unfair behandelt fühlen und Transparenz verlangen.“

Nachlässigkeiten wie in solchen gesellschaftlichen Belangen würden sich Unternehmen seiner Meinung nach im Umgang mit Investoren niemals erlauben. „Hier nehmen sie die Berichterstattungspflichten sehr genau und erfüllen sie mit juristischer Präzision“, sagt der BWL-Professor. Rolke hat einen „Stakeholder-Kompass“ entwickelt. Mit ihm kann das Kommunikationsmanagement eines Unternehmens aus einer Vielzahl möglicher Anspruchsgruppen die wichtigsten in ihrer Bedeutung erkennen − darunter Kunden, Mitarbeiter, Geldgeber und Medien. Dass Unternehmen in ihrer Kommunikation politischer werden müssen, verneint Rolke. „Sie sollten sich aber in Kerndiskussionen wie der Diesel-Debatte früher und offener einmischen. Hier sollten sie sich trauen, offensiv vorzugehen, und vor realen Ansprüchen der Kunden nicht kneifen.“

Auf seine Kampagne für vegetarisches Naschwerk mit einem Model mit pinkem Hijab erntete der Süßwarenhersteller Katjes zum Teil erboste Reaktionen. (c) Katjes

Auf seine Kampagne für vegetarisches Naschwerk mit einem Model mit pinkem Hijab erntete der Süßwarenhersteller Katjes zum Teil erboste Reaktionen. (c) Katjes

Dass sich Haltung zeigen lohnt, hat DAK-Sprecher Bodanowitz infolge der Kollegenaktion vor dem Werbeplakat gelernt. „Binnen kürzester Zeit hatten wir sechsstellige Zugriffe auf Facebook und Twitter, mit sehr vielen zustimmenden Postings unserer Kunden.“

Solche Erfahrungen bestätigt auch Antje Neubauer. „Die ‚Toleranzzeit‘-Spots haben hohe Klickrates gebracht.“ Neue Spots wurden kürzlich vorgestellt. „Sie beschäftigen sich mit dem Thema Haltung: Wie nutze ich meine Lebenszeit?“ Zu einer Demokratie gehöre die freie Meinungsbildung, findet Neubauer: „Das heißt aber nicht, dass die DB politische Kommunikation macht.“

Für viele Kommunikatoren stellt es sich so dar: gesellschaftlich relevante Themen ja – politische, insbesondere parteipolitische, Themen nein. Wo die Trennlinie genau verläuft, ist schwer zu sagen. „Unternehmen sind gut beraten, über Themen aus ihrem Geschäftsfeld zu kommunizieren“, sagt Bodanowitz. „Krankenkassen haben einen gesetzlichen, einen gesellschaftlichen Auftrag. Deshalb beziehen wir hier Stellung und zeigen Haltung.“

So war auch die Kampagne der DAK für junge Familien ursprünglich nicht politisch. Sie ist es jedoch geworden – durch die Reaktionen in den Sozialen Medien.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe SPIELEN. Das Heft können Sie hier bestellen.