„So spannend wie eine Bilanzpressekonferenz“. Wenn ein Journalist diesen Satz ausspricht, ist er meist ironisch gemeint. Wenn Unternehmen ihre Geschäftszahlen vermelden, schauen Vorstände zunehmend in spärlich gefüllte Säle. Journalisten von Leitmedien? Werden hier immer weniger gesehen. Fernsehteams? Oft Fehlanzeige. Fachjournalisten kommen noch am ehesten vorbei. Fingerfood, Brötchen und kostenfreie Getränke hatten immer schon eine anziehende Wirkung.
Bilanzpressekonferenzen folgten bislang meist einem ritualisierten Ablauf. Einige Worte des CEOs über Strategie und Ausblick. Der Finanzvorstand trägt die Zahlen vor. Selbst unter Finanzjournalisten gelten derlei Veranstaltungen inzwischen als öde Pflichttermine, die eine längere Anreise kaum lohnen. Die Zahlen gibt es sowieso per Pressemitteilung und Agenturmeldung. Persönliche Worte mit dem CEO oder ein Wortlautinterview sind lediglich Top-Medien wie Handelsblatt und FAZ vorbehalten.
Nick Marten wollte sich mit diesem standardisierten Ablauf nicht länger abfinden. „Wenn eine Pressekonferenz zukünftig nicht vor leeren Stuhlreihen stattfinden soll, besteht aus meiner Sicht Handlungsbedarf“, sagt der Pressesprecher des Hamburger Handelsunternehmens Otto AG. Es sei kein Geheimnis, dass sinkende Budgets und Kapazitäten in Redaktionen dazu führen, dass Journalisten nur noch zu Anlässen reisen, die wirklich Substanz besitzen und eine gute Story bieten.
„Wenn mir bei einer Pressekonferenz hingegen die Inhalte einer Pressemitteilung brav vorgetragen werden, hat das aus meiner Sicht keinen Mehrwert mehr.“ In einer von der dpa-Tochter News Aktuell erhobenen Umfrage über die meistgenutzten Quellen von Journalisten rangieren Pressekonferenzen mit 69 Prozent nur noch an siebter Stelle.
Für deutlich wichtiger halten Medienvertreter persönliche Gespräche, Pressemeldungen und Vor-Ort-Recherchen. Der Ansatz, Geschichten zu erzählen und Storytelling zu betreiben, ist für eine erfolgreiche Medienansprache sowieso unabdingbar.
Otto: Interaktiver Campusrundgang
Im vergangenen Jahr begann Otto, sich mit „facts2go“ vom Prinzip der Frontalbeschallung zu verabschieden. Das Versandhaus lud zum interaktiven Campusrundgang durch den Hamburger Firmensitz. Journalisten konnten an Themenstationen Produkte ausprobieren und Fragen stellen. Die inhaltliche Vielfalt bei „facts2go“ sollte es Journalisten erleichtern, Themenansätze für Storys zu finden. Als Tourguide fungierte Otto-Vorstand Marc Opelt. Und die Geschäftszahlen? „Im Vergleich zu den Vorjahren spielten sie eine untergeordnete Rolle in der Präsentation“, sagt Nick Marten.
Die Digitalisierung setzt das ehemals klassische Versandhaus massiv unter Druck. Amazon gilt als Benchmark im E-Commerce. Daran orientieren sich die Kunden. Otto investiert in großem Stil in digitale Technologien und den Aufbau eines modernen Images. Das Ende des gedruckten Otto-Katalogs wurde nicht zuletzt deshalb PR-technisch aufwändig inszeniert. Technologie spielt bei der Pressekonferenz eine wichtige Rolle. So bot Otto erstmals einen Livestream an, bei dem drei Kamerateams zum Einsatz kamen. Die 100 journalistischen Streaming-User konnten sich online an der abschließenden Fragerunde beteiligen. „Eine praktische Serviceleistung für Redaktionen mit begrenzten Reisekapazitäten“, findet Marten.
Das Kommunikationsteam von Otto holte zusätzlich Corporate Influencer für Impulsvorträge auf die Bühne, um Themen wie „Conversational Commerce“ und das „Internet der Dinge“ mit einer persönlichen Note zu präsentieren. Als Vorbild für innovative Pressekonferenzen nennt Marten das Kommunikationsteam der Deutschen Telekom. „Wir durften dort häufiger hospitieren und haben auch in puncto Pressekonferenzen viel gelernt.“
Die Vorbereitungszeit für Konzept, Design, Medientrainings und Content- Produktion des Events beziffert Marten auf etwa zehn Wochen. Der Aufwand hat sich offenbar gelohnt. Das ungewöhnliche Format hätten die Medienvertreter als gelungene Abwechslung empfunden, so Marten.
Bosch: Schwerpunktthemen statt nur Geschäftszahlen
Auch Bosch setzt bei seinen Bilanzpressekonferenzen auf mehr Kreativität. „Das Technologieunternehmen definiert vorab Schwerpunktthemen wie zuletzt Klimaschutz und Luftqualität“, erklärt René Ziegler, Head of External Communications bei Bosch. Von einem Innovationsführer würden Journalisten erwarten, dass er Produktneuheiten zeigt und vorführt wie eine mobile Messbox, die den Schadstoffgehalt der Umgebungsluft misst. „Primäres Ziel bleibt, dass die Inhalte den Weg in die Berichterstattung schaffen“, betont Ziegler. „Eine klug gemachte und ansprechende Präsentation unterstützt dies. Sie ist Mittel zum Zweck, nicht der Zweck selbst.“
Bei den PKs von Bosch begleiten thematisch abgestimmte Animationen die Reden der Vorstände. Ziegler: „Diese Animationen sowie der ausgeklügelte Mix aus dynamischen und statischen Inhalten sollen unsere Themen bestmöglich darstellen.“
Nach der Vorstellung von Bosch sollen Redner und Präsentation eine Einheit bilden. Das Augenmerk liege auf der richtigen Dosierung von Elementen zur Visualisierung bei der Bilanzpressekonferenz, die live in Internet und Intranet übertragen wird. „Wesentliche Inhalte setzen wir im digitalen Raum intern und extern fort“, sagt Ziegler. Bei der Weiterentwicklung des Formats Bilanz-PK setze Bosch nicht auf „höher, schneller, digitaler“, so Ziegler. „Wir könnten beispielsweise unsere Redner durch Hologramme begleiten oder gar ersetzen. Technisch ist das bereits machbar. Aber ist es sinnvoll, eine Pressekonferenz zu entpersonalisieren? Ich bezweifle es.“
Wie bei Otto geht es auch bei Bosch nicht ganz ohne Präsentation der Zahlen. Dem Unternehmen kommt dabei zugute, dass Bosch-CEO Volkmar Denner der große Auftritt vor Publikum durchaus zu liegen scheint. Das Manager Magazin verglich seine Präsentationen schon mit denen von Apple-Gründer Steve Jobs. Folgerichtig gibt es auch bei Bosch kein Rednerpult mehr, das Distanz herstellt. Eine Bilanzpressekonferenz endet bei Bosch nicht mit der Bühnenpräsentation. Im Vorfeld und Anschluss würden zusätzlich 30 bis 40 Interviews geführt. „Wenn man hunderte Journalisten aus aller Welt zu Gast hat, sollte man die Gelegenheit nutzen, sie für das Unternehmen, seine Produkte und seine Menschen zu begeistern“, meint Ziegler.
Ein Patentrezept gibt es nicht
Was bei dem einen Unternehmen zu PR-Erfolgen führt, muss deshalb noch lange nicht bei anderen funktionieren. Ein Patentrezept gibt es nicht. Die Finanzbranche ist sicherlich konservativer orientiert als das Lifestyle- Segment. Von Start-ups wird eher ein ausgefallener Auftritt erwartet als von alteingesessenen Industrieunternehmen. Hinzu kommt die Rolle des CEOs: Entertainer-Qualitäten sind nicht jedem gegeben. Auch nicht jeder mag es, sich frei auf der Bühne zu bewegen. Dem scheidenden BMW-CEO Harald Krüger eilt beispielsweise der Ruf voraus, sich eher zurückzunehmen.
HeidelbergCement setzt weiter auf ein klassisches Format. „Unsere Bilanz-PKs haben eher den Charakter eines Pressegesprächs“, sagt Christoph Beumelburg, Director Group Communication & IR bei dem Baustoffkonzern. „Pult und Podium gibt es bei uns nicht. Die Journalisten nehmen im Saal Platz und unsere Vortragenden präsentieren im Sitzen auf Augenhöhe.“ Der Aufbau der Präsentation habe sich über die Jahre bewährt. „Das wirtschaftliche Umfeld, die geschäftliche Entwicklung, strategische Aspekte und den Ausblick übernimmt der Vorstandsvorsitzende. Die detaillierte Präsentation des Zahlenwerks obliegt dem Finanzvorstand.“
HeidelbergCement legt den Schwerpunkt auf die Optimierung des Umfelds. „Uns ist es wichtig, die Arbeitsbedingungen für Journalisten auf unseren Veranstaltungen weiter zu verbessern“, betont Beumelburg. „Wenn sie persönlich zu einer Veranstaltung von uns kommen, sollen sie sich auch maximal wohl fühlen und gut arbeiten können.“ Inhaltlich würden die Zahlen und Fakten im Vordergrund stehen. „Nach unserer Beobachtung wird größtenteils auch faktenorientiert berichtet.“ Die Besucherzahlen bei den PKs von HeidelbergCement seien jedenfalls über die Jahre stabil geblieben.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ZEIT. Das Heft können Sie hier bestellen.