Falsche Tatsachenbehauptungen, Schmähkritik und Verleumdungen kamen insbesondere klassische Medien immer schon teuer zu stehen. In Zeiten von Social Media jedoch, in denen der User quasi zu seinem eigenen Medium bzw. Multiplikator wird, geraten auch Nutzer sozialer Netzwerke wie Facebook und Twitter zunehmend ins Fadenkreuz der Aufmerksamkeit.
Wenn man beispielsweise liest, dass in den USA der Schauspieler James Woods einen Twitter-Nutzer auf Zahlung von gut zehn Millionen Dollar in Anspruch nehmen möchte, weil dieser seine Persönlichkeitsrechte verletzt habe, stellt sich die Frage, ob auch ein deutscher Twitter-Nutzer vergleichbar Gefahr läuft, abgemahnt oder verklagt zu werden.
Reduziert man Twitter darauf, dass dort Äußerungen verbreitet werden, gelten – aus der Sicht deutschen Rechts – zunächst einmal die ganz normalen Regeln, die im „Äußerungsrecht“ zu beachten sind. Dies sind insbesondere Strafrecht, Persönlichkeitsrecht und Urheberrecht. Wie immer beim Äußern von Meinungen oder (dem Beweis zugänglichen) Tatsachenbehauptungen müssen diese Gesetze eingehalten werden – das heißt, wer über Twitter einen anderen beleidigt oder falsche Tatsachen behauptet, muss strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen fürchten.
Das ist zunächst (wie so oft bei Social Media) eigentlich nichts wesentlich Neues im Vergleich zur althergebrachten Diskussion im Freundeskreis oder am Stammtisch. Allerdings wird über Twitter eine deutlich größere Öffentlichkeit angesprochen, außerdem sind Tweets längere Zeit abrufbar. Beide Faktoren erhöhen das Risiko, dass eine rechtsverletzende Äußerung wahrgenommen wird und jemand daran Anstoß nimmt. Möchte man hier die größten Risiken vermeiden, gilt das Gleiche wie bei jeder Diskussion, vor allem in größerer Runde: Bei der Wahrheit bleiben und möglichst nicht ausfallend werden.
Wer retweetet und favorisiert lebt gefährlich
Nun lebt ein aktiver Twitterer nicht nur davon, dass er selbst seine Meinungen über und Eindrücke von allen möglichen Dingen in die Welt hinauszwitschert, sondern auch davon, dass er auf Tweets anderer reagiert, etwa indem er sie „retweeted“. Beim Retweeten handelt es sich um ein Weiterverbreiten eines Beitrags eines anderen. Hierin kann theoretisch eine Urheberrechtsverletzung liegen, denn auch in 140 Zeichen kann ein urheberrechtlich geschütztes Werk formuliert werden. Beachtenswerter ist jedoch die äußerungsrechtliche Perspektive: Wer die Aussage eines anderen – und erfolge sie auch in Form eines Tweets – weiterverbreitet, macht sich diese möglicherweise zu eigen, insbesondere, wenn er sich nicht ausdrücklich und glaubhaft davon distanziert. Da nun typischerweise gerade die Aussagen retweeted und weiterverbreitet werden, die man selbst für zutreffend und richtig hält – haftet man dafür auch wie für eine eigene Aussage.
Das „Favorisieren“ von Tweets wiederum (sozusagen der „Like“-Button von Twitter) mag zwar eine etwas unauffälligere Art sein, Zustimmung zu signalisieren, ist aber letztlich das Gleiche: Der Twitternde erhält eine Information, dass jemand seine Aussage gut findet; die eigenen „Follower“ – Leute, die lesen möchten, was jemand twittert, und dessen Texte praktisch abonniert haben – sehen den favorisierten Tweet im Profil des Favorisierers. Auch hier erfolgt also eine Weiterverbreitung.
Wenn jemand nun einen Tweet verbreitet (selbst absetzt, retweeted oder favorisiert), mit dem er einem anderen so auf die Füße tritt, dass dieser andere seine Rechte verletzt sieht, besteht (nach deutschem Recht) vor allem das Risiko einer Abmahnung, also auf die mögliche Rechtsverletzung hingewiesen und aufgefordert zu werden, eine „strafbewehrte Unterlassungserklärung“ abzugeben. Man verspricht hierbei, diese Aussage nicht mehr zu wiederholen und für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe zu zahlen. Daneben besteht das Risiko einer Schadensersatzklage, wobei die in Deutschland üblichen Beträge für Rufschäden und Ehrverletzungen immer noch recht überschaubar sind – selbst in heftigen Fällen, wie die jüngst für Jörg Kachelmann erstrittene Entschädigung von gerade mal 635.000 Euro zeigt.
Also, Entwarnung? Keineswegs: Das Risiko mag zwar auch deshalb noch geringer scheinen, da nicht bei jedem Twitter-Account ohne Weiteres erkennbar ist, wer dahinter steckt und verantwortlich zu machen ist, aber auch hier bestehen Mechanismen, mit denen sich die Inhaber von Accounts herausfinden lassen. Diese Mechanismen sind noch aufwendig und kostenintensiv, werden aber mit zunehmender Fallzahl einfacher werden. Sollte eine Äußerung den strafbaren Bereich deutlich berühren, haben die Strafverfolgungsbehörden ohnehin Möglichkeiten, die Herausgabe der Daten eines Nutzers zu erzwingen.
Je internationaler der Adressatenkreis, desto teurer kann´s werden
Darüber hinaus sollte jeder Nutzer im Hinterkopf behalten, dass ein Tweet nicht nur auf deutsche Adressaten beschränkt ist. Technisch ist Twitter auf eine einheitliche, weltweite Community ausgelegt, so dass sich der Adressatenkreis einer Äußerung eher am Thema und der verwendeten Sprache orientiert: Twittere ich auf Deutsch, sind Nutzer aus Österreich und der Schweiz im Zweifel auch typische Leser (auch wegen des gemeinsamen Kulturkreises). Twittere ich auf Englisch, können meine Tweets in diesem Sprachraum, wenn das Thema dort von Interesse ist, genauso wahrgenommen werden – und auch dort Rechtsfolgen auslösen!
Dies muss nicht unbedingt in einer Klage wie der von James Woods über zehn Millionen Dollar münden. Und auch die Frage, wann ein amerikanischer Promi einen deutschen Twitterer in Amerika auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann, dürfte von den näheren Umständen des Einzelfalls abhängen, aber ausgeschlossen ist es keinesfalls.
Wenn der Tweet zur Ad-hoc Mitteilung wird
Neben der äußerungsrechtlichen Dimension kommen aber noch ganz andere Verstöße in Betracht: Was ist beispielsweise, wenn Martin Winterkorn erzürnt über den Abgas-Skandal, die Flinte ins Korn geworfen, gekündigt und das per Twitter spontan verkündet hätte? Diese durchaus zeitgemäße Form einer „Ad-Hoc-Mitteilung“ könnte ein teurer Verstoß gegen die Publizitätspflichten sein. Und was würden da wohl die Aktionäre im Ausland, etwa USA oder dem Nahen, Mittleren oder Fernen Osten zu sagen? Aber nicht nur ein Vorstand, auch der Vertriebsmitarbeiter, der einen Vertragsabschluss feiert und im Überschwang etwas zu locker „zwitschert“, macht sich schon angreifbar …
Vorher zu überlegen, welche Informationen einem Tweet neben der eigentlich bezweckten Aussage entnommen werden können (implizit, über die Geotagging-Funktion und im Zusammenspiel mit welchen anderen Faktoren) und welche Rechtsnorm auf der Welt gerade verletzt sein könnte, läuft dem Grundgedanken von Twitter zwar zuwider – es kann aber gewaltigen Ärger und immense Kosten ersparen.
Insofern gilt: „Worte sind wie Pfeile – einmal ausgesandt, holst Du sie niemals zurück“. Besser also (gründlich) nachdenken, welche Botschaften man in die weite Welt schickt, bevor man auf „Twittern“ drückt.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Veränderung. Das Heft können Sie hier bestellen.