Sich als CEO politisch einmischen

CEO-Duell

Mitarbeiter, Kunden und Anleger der Allianz sind es gewohnt, regelmäßig von Oliver Bäte zu hören. Kaum ein anderer deutscher Konzernchef ist so häufig in Medien und bei Podiumsdiskussionen präsent – und zugleich so meinungsstark. Mit Greta Thunberg diskutiert der 56-Jährige über den Klimawandel („Ich wünsche Greta ein bisschen Entspannung“). Im Gespräch mit „Capital“ verrät er, dass „der nächste Allianz-CEO meinetwegen eine Frau“ sein könne. Auch zur EZB, zum Wirecard-Skandal und zur Covid-Bekämpfung sagt der gelernte Bankkaufmann gerne seine Meinung.

Als Bäte jedoch Anfang Juli der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview gab, waren selbst die Journalisten überrascht. Und auch manch ein Leser rieb sich wohl verwundert die Augen. Unter der Überschrift „Es geht nicht mehr gerecht zu“ forderte der Top-Manager, der selbst ein Millionen-Gehalt bezieht, höhere Steuern: „Die Erbschaftssteuer muss steigen!“ Die Vermögensanhäufung in Deutschland finde vor allem über Erbschaften statt, nicht über Einkommen, argumentierte Bäte. Darauf müsse die Steuerpolitik reagieren, forderte der Manager, um sich gleich auch für eine CO2-Steuer einzusetzen, die „wir unbedingt brauchen“.

CEO fordert höhere Steuern

Lange galt es als Tabu, dass CEOs großer deutscher Konzerne sich öffentlich zu politischen Themen äußern. Einer der ersten, der das änderte, war der ehemalige Siemens-Chef Joe Kaeser. In Erinnerung ist vor allem sein Twitter-Kommentar zum Thema „Kopftuch-Mädels“, in dem er die ausländerfeindliche Politik der AfD kritisierte. Kaesers Tweet kam damals gut an, auch weil die Mehrheit der Mitarbeiter, Kunden und Anleger von Siemens wohl ähnlich denken. Seitdem haben sich eine Reihe anderer Dax-Chefs mit politischen Äußerungen vorgewagt. Ein Grund ist ein Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit: Drei Viertel der Deutschen erwarten heute, dass sich ein CEO zu sozialen Themen äußert, global sind es sogar 86 Prozent, so das Ergebnis des Edelman Trust Barometers.

Dass, wie im Fall Bäte, ein Konzernchef jedoch öffentlich eine Position vertritt, die den Interessen vieler seiner Kunden widerspricht, ist dagegen ungewöhnlich. Die Allianz ist einer der größten Vermögensverwalter und viele der wohlhabenden Kunden wären von einer höheren Erbschaftssteuer direkt betroffen.

„Das ist so ein Satz, bei dem man fürchten muss, dass die Presseabteilung ihn in der Abstimmung aus dem Interview streichen will“, schrieb „SZ“-Wirtschaftschef Marc Beise nach dem Bäte-Interview. Doch der Allianz-CEO wollte offenbar wenige Monate vor der Bundestagswahl bewusst einen Akzent setzen. Ein Akzent, der ihm auch einiges an Kritik einbrachte. In einem Online-Kommentar forderte ein Unternehmer und Allianz-Kunde den Boykott des Konzerns: „Meine Aufforderung an alle Familienunternehmer lautet: Arbeiten Sie nicht mit einem Versicherer zusammen, dessen oberste Leitung sich gegen Ihre Interessen einsetzt.“

Haltung als Markenzeichen

Eine ähnliche Positionierungsstrategie verfolgt Antje von Dewitz, die Chefin des Outdoor-Spezialisten Vaude. Auch von Dewitz ist sehr präsent in der Medienlandschaft und auf Podiumsdiskussionen. Auch sie äußert sich regelmäßig und mit klarer Haltung zu politischen Themen – von der Flüchtlingspolitik über soziale und ökologische Standards bis zum Klimaschutz. Der Unterschied ist jedoch, dass von Dewitz das Thema Haltung zum Markenkern ihres Unternehmens gemacht hat.

Die 48 Jahre alte Vaude-Chefin hält nicht nur blumige Reden zum Thema Klimaschutz, sie hat ihr Unternehmen von den Rohstoffen bis zur Produktion komplett nachhaltig aufgestellt. Ähnlich konsequent ist die promovierte Ökonomin bei gesellschaftlichen Themen, die ihr wichtig sind, etwa Migration. Vaude hat in den vergangenen Jahren mehr als ein Dutzend Stellen für Flüchtlinge geschaffen. Als die Behörden einige der bei Vaude beschäftigten Flüchtlinge aus Deutschland abschieben wollten, gründete von Dewitz eine Initiative für deren Bleiberecht. „Als Textilbranche müssen wir Verantwortung übernehmen“, sagt von Dewitz.

„Wer Gutes tut, ist erfolgreicher!“, behauptet Allianz-Chef Bäte. „Mut steht uns gut“, heißt die Biografie von von Dewitz. Beide sind prominente Beispiele, wie Unternehmenschefs politische und gesellschaftliche Themen für ihre Positionierung nutzen können. Doch wer schlägt sich besser?

Wie ist ihr Bild in der Öffentlichkeit?

Oliver Bäte ist einer der sichtbarsten Konzern-Chefs aus dem Dax und hat seit seinem Amtsantritt 2015 kontinuierlich an Reputation und Gewicht gewonnen. Anfangs noch wegen seines Hangs zur Selbstdarstellung belächelt (in Erinnerung ist ein Auftritt in roten Sneakers bei der Hauptversammlung), ist der frühere McKinsey-Berater heute eine der wichtigsten Stimmen in der deutschen Wirtschaft. Im Image-Ranking von Unicepta steht der Allianz-Chef auf Platz 6.

Auch von Dewitz hat einen hervorragenden Ruf. Seit sie 2009 das Familienunternehmen von ihrem Vater übernahm, hat sie sich zu einer der bekanntesten deutschen Unternehmerinnen hochgearbeitet. Obwohl Vaude mit einem Jahresumsatz von rund 110 Millionen eigentlich nur Mittelständler ist, ist die Managerin medial präsenter als manch ein Dax-Chef. Der Lebenslauf listet eine ganze Reihe von Preisen und Auszeichnungen auf, darunter den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg. Bei der letzten Wahl des Bundespräsidenten entsandten die Grünen sie als Wahlfrau in die Bundesversammlung. Für die Kunden und Stakeholder von Vaude ist ihr Image perfekt.

Wer hat die bessere Medienpräsenz?

Wenn der Vorstandsvorsitzende der Allianz sich äußert, hat das in den deutschen Leitmedien nach wie vor Gewicht. Der „CEO Communication Monitor“ für das Jahr 2020 registriert für Bäte mehr als 3.000 Nennungen, im Ranking der Dax- und MDax-Chefs steht er damit auf Platz 19, jedoch mit einer leicht negativen Tonalität. Im ersten Halbjahr 2021 hat der Allianz-Chef seine Medienpräsenz weiter gesteigert. Quantitativ kann die Vaude-Chefin da nicht mithalten. Sie erreicht rund ein Fünftel der Medienpräsenz – immer noch ein beachtlicher Wert. Betrachtet man nur die Leitmedien, ist ihre Medienpräsenz nochmals besser.

Deutlich größer ist die Kluft jedoch bei den sozialen Medien: Während Bäte bei Linkedin mehr als 50.000 Follower zählt und auch regelmäßig bei Instagram postet („Whuff, Whuff!“ zum Tag des Hundes), ist die Vaude-Chefin mit keinem eigenen sozialen Kanal präsent.

Wo treten sie auf?

Als US-Präsident Joe Biden vor Kurzem einen digitalen Klimagipfel veranstaltete, traten dort Staatschefs, Papst Franziskus und eine Handvoll Unternehmenschefs auf – einer davon war Oliver Bäte. Der Allianz-Chef ist auf großen nationalen und internationalen Veranstaltungen als Keynote-Speaker unterwegs – darunter beim World Economic Forum in Davos, beim DLD in München oder beim „SZ“-Wirtschaftsgipfel in Berlin. Etwas bodenständiger geht es bei Vaude-Chefin von Dewitz zu, die auch auf regionalen Veranstaltungen rund um den Firmensitz im baden-württembergischen Tettnang auftritt. Genauso zu Hause ist sie jedoch bei hochkarätigen Konferenzen etwa bei der „Zeit“ oder bei Podiumsdiskussionen mit Spitzenpolitikern wie Entwicklungsminister Gerd Müller.

Wer berät sie?

Sechs Jahre leitete Sabia Schwarzer die Unternehmenskommunikation der Allianz und steuerte so auch das Medienbild ihres CEOs. Das gute Image Bätes ist auch ihr Verdienst. Im August übernahm Lauren Day, die von einer Private-Equity-Firma kam, die Kommunikation des Versicherungsriesen. Bei der Positionierung in den Social-Media-Kanälen unterstützt dem „Manager Magazin“ zufolge Storymachine von Ex-„Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann. Bäte ist hervorragend vernetzt, war Mitglied in dem verschwiegenen Netzwerk der Similauner, zu dem mehrere deutsche Top-Manager gehörten, und sitzt im Kuratorium der Baden-Badener Unternehmergespräche. Bei Vaude steht seit vielen Jahren Birgit Weber an der Spitze der Unternehmenskommunikation.

Bisherige Hoch- und ­Tiefpunkte?

Oliver Bäte musste sich bei der Allianz erst gegen Widerstände durchsetzen. Als er den Konzernumbau startete, berichteten Medien von scharfer interner Kritik. „Meuterei in München“, titelte das „Manager Magazin“. 2017 geriet der Allianz-Chef wegen seiner damals noch häufigen Reisen im Firmenjet unter Beschuss. Bäte, der sich heute als Vorkämpfer für den Klimaschutz präsentiert, sei sogar zu einer Veranstaltung der Grünen im Privatjet angereist, berichtet die „Welt am ­Sonntag“.

Solche Patzer leistete sich der 56-Jäh­rige zuletzt nicht mehr. Als erfolgreicher Modernisierer der Allianz, der Digitalisierung, Wachstum und Nachhaltigkeit miteinander verbindet, steht er unangefochten an der Spitze des Konzerns. Allerdings hat Bätes Image zuletzt Kratzer bekommen. Sein Umgang mit dem Finanzskandal einer Tochtergesellschaft in den USA sowie bei Versicherungsleistungen in der Corona-Pandemie brachte Bäte zum Teil scharfe Medienkritik ein – Bäte habe „die erste Härteprüfung nicht bestanden“, kommentierte der „Spiegel“.

Auch Antje von Dewitz kennt Höhen und Tiefen. Nachdem sie das Unternehmen viele Jahre von Erfolg zu Erfolg geführt hatte, musste sie in der Corona-Pandemie mit Umsatzeinbrüchen kämpfen und für ihre Mitarbeiter Kurzarbeit anmelden. Doch die Managerin kämpfte sich zurück und veröffentlichte ihre Erlebnisse während der Krise in einer eigenen „Spiegel“-Kolumne. Ihr Fazit: „Nachhaltigkeit macht krisenfest.“

Sieger im CEO-Duell …

… ist bei diesem Kopf-an-Kopf-Rennen Antje von Dewitz. Die Vaude-Chefin beweist, dass Manager sehr wohl in politisch-gesellschaftlichen Fragen Haltung zeigen und dabei wirtschaftlich erfolgreich sein können. Und sie zeigt, dass auch kleinere Unternehmen im Wettstreit um die öffentliche Aufmerksamkeit sehr erfolgreich auf CEO-Positionierung setzen können. Respekt gebührt aber auch Oliver Bäte. Im Gegensatz zu vielen anderen Dax-Chefs duckt er sich vor gesellschaftlichen Fragen nicht weg und richtet seinen Konzern konsequent nachhaltig und verantwortlich aus. Der Erfolg gibt beiden Managern recht.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Nachhaltigkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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