„Nehmt die Trends von morgen an!“

Magnus Hüttenberend über Onlinekommunikation

Herr Hüttenberend, wie digital leben Sie?

Magnus Hüttenberend: Silvester habe ich mit Freunden in einer mongolischen Jurte verbracht, das waren fast drei Tage offline. Aber gewöhnlich schaffe ich es kaum fünf Minuten ohne Smartphone – es ist mein Schreibtisch und Portal zu meinem sozialen Umfeld, meine Bank und mein Personal Trainer. Seit Kurzem trage ich sogar einen kleinen RFID-Chip (einen Mikrochip, der gespeicherte Daten passiv an ein Lesegerät übermittelt, Anm. d. Red.) in meiner linken Hand, um beispielsweise meine Wohnungstür zu öffnen. Mein Leben ist also sehr digital.

Heute ist digitale Kommunikation zur Selbstverständlichkeit geworden. Neun von zehn Deutschen sind inzwischen konstant online.

Es ist wirklich interessant zu sehen, wie sich die Kommunikation entwickelt hat. In meinem ersten echten Kommunikations-Job vor zwölf Jahren sprach man noch vom „Web 2.0“. Aber schon damals gab es spannende virale Marketingprojekte und Blogger Relations. Die digitale Kommunikation löst die klassische immer mehr ab und ist mittlerweile in vielen Bereichen sogar bedeutsamer geworden.

Inwiefern löst die digitale die klassische Kommunikation ab?

Onlinekommunikation wird zur normalen Kommunikation. Für unsere Arbeit heißt das: Früher hat der Pressesprecher die Tweets freigegeben, die der Social-Media-Redakteur vorbereitet hat. In Zukunft könnte der Social-Media-Manager die Pressemitteilungen freigeben, denn er kann die öffentliche Wahrnehmung einfach besser einschätzen und kennt die Stimmung im Netz.

Sie meinen, die Pressearbeit wird künftig einen geringeren Stellenwert besitzen?

Qualitativ wird die Bedeutung von Pressearbeit weiter steigen, journalistische Medien bleiben hoffentlich noch lange eine wichtige Säule unserer Gesellschaft – auch und gerade als Gegengewicht zu Sozialen Medien. Es wird aber immer weniger Redaktionen geben, mit denen man zusammenarbeiten kann. Gab es früher beispielsweise dreißig relevante Wirtschaftsredaktionen, sind es heute nur noch zehn.

Onlinekommunikation ist ein weites Feld. Welcher Kanal hat aus Unternehmenssicht denn die größte Relevanz?

Am wichtigsten ist zunächst einmal, dass ein Unternehmen weiß, wofür es steht und was es kommunizieren will. Und wenn man gute Geschichten erzählt, dann finden sie ihren Weg. Ein Corporate Blog hilft, weil er eine Heimat bietet für die Geschichten, die man erzählen will, und das Unternehmen selbst Herr über die Darstellung dieser Geschichten ist. Aber erreichen kann man die Menschen eben nur da, wo sie sowieso unterwegs sind. Da hilft einem ein Blog allein nicht weiter. Für jeden Kanal gibt es Argumente dafür und dagegen.

Welche Argumente sprechen eigentlich für Google+? TUI ist auf diesem etwas angestaubten Kanal noch immer aktiv.

(lacht) Ja, das hat reine SEO-Gründe. Urlaubsinspirationen finden häufig über Google statt, sodass wir in Suchergebnissen höher eingestuft werden. Aber sicher baut man über Google+ keine Community auf.

Welche Trends sehen Sie in der Onlinekommunikation?

Ich glaube, dass es immer wichtiger wird, Mitarbeiter zu befähigen, selbst Inhalte in die Hand zu nehmen. Bei TUI haben wir ein Schulungskonzept, das Managern beibringt, wie sie ihre Social-Media-Profile für das Unternehmen einsetzen können. Das überzeugende Argument dabei: Jede geteilte Botschaft des Unternehmens, jeder geteilte Erfolg auf dem eigenen Linkedin-Profil hilft nicht nur dem Unternehmen, sondern auch der eigenen Karriere.

Der Mitarbeiter soll sozusagen als Corporate Influencer wirken?

Wenn mit Corporate Influencer gemeint ist, soziale Reichweite für gemeinsame Ziele zu nutzen, dann bin ich davon ein großer Fan. Denn – und das wissen wir als Kommunikatoren am besten – der Effekt einer Empfehlung ist viel größer als der einer direkten Kommunikation eines Unternehmens.

Nun verschwimmen die Grenzen zwischen PR und Marketing gerade beim Thema Influencer immer mehr. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Digitale Kommunikation ist umfassend messbar. Daraus ist kurzzeitig das Missverständnis entstanden, dass Unternehmenskommunikation auch Marketing sein könnte. Public Relations eignet sich Marketing-Instrumente wie etwa bezahlte Reichweite oder Zielgruppenanalysen an. Aber vor dem kommerziellen Interesse muss trotzdem immer die Reputation stehen.

Die Bereiche stehen also in keiner Konkurrenz zueinander?

Ich nehme es inzwischen so wahr, dass Marketing und PR nach einer Sturm- und Drang-Phase wieder zueinandergefunden haben. Keiner strebt mehr die Hoheit über den Komplettbereich an. Ich kenne viele Marketiers, die den Wert von PR und Kommunikation erkannt haben. Andersherum ist es genauso. Bei TUI ist es eine Begegnung auf Augenhöhe.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Influencer sind ein perfektes Beispiel: Man kann je aus PR- oder Marketing-Brille Influencer Relations oder Influencer Marketing betreiben. Man hat unterschiedliche Ziele, spricht aber mit denselben Partnern. Deshalb stimmt man sich im Vorfeld ab und synchronisiert die Aktivitäten. Es ist wichtig, mit einer Stimme mit der Außenwelt zu kommunizieren. Der Fall Coral hat ja sehr anschaulich gezeigt, wie falsch die reine Marketing-Denke im Bereich Influencer Relations liegen kann.

Wie sieht es mit technologischen Entwicklungen im Onlinebereich aus?

Bei TUI experimentieren wir an vielen Stellen mit modernen Technologien. Zum Beispiel setzen wir Virtual Reality in Reisebüros ein – dort können sich Menschen anschauen, wie die Kabine auf dem Kreuzfahrtschiff aussieht, bevor sie eine Reise buchen. Und am Standort Stockholm haben bereits hundert Mitarbeiter einen RFID-Chip implantiert. Er dient als digitaler Mitarbeiterausweis, mit dem man beispielsweise ins Büro kommt.

Das finden Sie nicht bedenklich?

Im Gegenteil, ich finde es großartig, solche Veränderungen positiv anzunehmen und erst einmal zu schauen, wie sie funktionieren. Wir stehen noch am Anfang der digitalen Transformation unserer Gesellschaft. Wer die Trends von morgen nicht verschlafen will, sollte sie annehmen, statt sie gleich abzulehnen oder auszusitzen.

Der EU-Gesetzgeber setzt den Trends ab Ende Mai offensichtliche Grenzen – Stichwort Datenschutz-Grundverordnung. Birgt diese Risiken für die digitale Kommunikation?

Ich denke ja. Die DSGVO wird bei unserer Arbeit eine große Hürde sein. Betrachten wir allein das Thema Bilder: Wenn wir Fotos von Veranstaltungen ablegen, zählt das bereits als Speicherung von Daten. Hier wird etwas nachgeschärft, was im deutschen Recht schon sehr gut geregelt ist und wo eigentlich kein Bedarf besteht. Ich denke, der Gesetzgeber ist hier weit über sein Ziel hinausgeschossen. Das ist eine Aufgabe, der wir uns im Bundesverband deutscher Pressesprecher widmen werden.

Sie engagieren sich darüber hinaus beim Deutschen Preis für Onlinekommunikation, dessen Juryvorsitz Sie in diesem Jahr gemeinsam mit Ina Froehner innehaben. Was erwarten Sie von dem Wettbewerb?

Ich erwarte, dass wir in diesem Jahr den mit Abstand spannendsten dpok sehen werden. Zum einen, weil der Wettbewerb in den letzten Jahren extrem gewachsen und professioneller geworden ist. Zum anderen aber auch, weil die Budgets für digitale Kommunikation auf Unternehmensseite gestiegen sind. Ich bin sicher, dass wir inspirierende Kampagnen sehen werden, insbesondere von Menschen, die optimistisch in die Zukunft schauen und versuchen, über neue Wege für ihre Marke und Unternehmen zu kommunizieren. Darauf freue ich mich.

 

Weitere Artikel