Anfang Juni hat das Bundesjustizministerium den Referentenentwurf eines Gesetzes vorgelegt, in dem das seit über 50 Jahre geltende Verbot von Ton- und Fernsehübertragungen bei Gerichtsverhandlungen gelockert werden soll. Um es gleich vorweg zu nehmen: Mit einem großen Wurf ist nicht zu rechnen. Das liegt auch daran, dass viele wackere Juristen noch im Zeitalter von ARD und ZDF verharren. Viele halten das Verbot aus dem Jahr 1964 immer noch für zeitgemäß, obwohl sich inzwischen ein ganzes Ökosystem sozialer Medien etabliert hat, die es längst umgehen.
Im Zeitalter von Real-Time-Kommunikation wird jede Aussage oder Geste von Richtern, Staatsanwälten und Co längst live mitverfolgt. Berichterstattung über Newsticker live aus dem Gerichtssaal wie etwa beim Hoeneß-Prozess ist bei vielen Prozessen inzwischen selbstverständlich. Auch über Twitter berichten viele Journalisten inzwischen ungefiltert über das Geschehen bei Aufsehen erregenden Prozessen. Die Saalöffentlichkeit ist durch ein Verbot audiovisueller Medien kaum mehr sinnvoll abzuschotten – dieses Rennen gegen die Technik ist längst verloren.
Unternehmenskommunikatoren spüren den heißen Atem der Digitalisierung
Angesichts der neuen Medien helfen juristische Reichsbedenken nichts mehr – und das betrifft nicht nur die Öffentlichkeit im Gerichtssaal. Unternehmenskommunikatoren spüren den heißen Atem der Digitalisierung tagtäglich im Nacken – der pressesprecher hat dem Phänomen aktuell eine ganze Ausgabe gewidmet.
Wenn der Anwalt Thomas Klindt in seinem Beitrag für diese Kolumne eine Verschnaufpause fordert, quasi Slow Communication analog zum Fast Food der Massenmedien, dann hat er meine volle Sympathie – die Chancen dafür stehen allerdings nicht gut. Social Media treibt die etablierten Medien vor sich her und beide zusammen verlangen von Unternehmen ein atemberaubendes Tempo. Wer nicht liefert, gerät angesichts kritischer Anfragen schnell in den Verdacht, etwas verheimlichen oder aussitzen zu wollen. Der Druck von Facebook und Foren kann dann schnell mittelschwere Beben auf der nach unten offenen Niveau-Skala auslösen. In der Krise werden Kommunikationsmanager zu Getriebenen – und die Rechtsabteilungen können sich angesichts drohenden Reputationsverlusts davon nicht ausnehmen.
Die Lösung heißt aber nicht: Kommunikation um jeden Preis
Unternehmen brauchen gerade in Krisenzeiten sowohl Speed als auch Rechtssicherheit. Das muss nicht unbedingt ein Zielkonflikt sein. Gerade in der Krisenkommunikation kann man mit Instrumenten des Performance Marketings gute Erfolge erzielen.
Schnell skalierbare Responseteams können mit vorbereiteten Textbausteinen und Visuals durchaus effizient Zorngewitter abwettern. Der Schlüssel dazu ist gute Vorbereitung, bereichsübergreifende Zusammenarbeit und ein hohes Maß an Disziplin und Training bei den Kommunikatoren – ja und eben auch Flexibilität bei Unternehmensjuristen, bei denen Medienkompetenz leider immer noch nicht selbstverständlich zur Grundausbildung gehört.
In einem Anwendungsfeld arbeiten Unternehmenskommunikatoren und Juristen aber seit Jahrzehnten mit Highspeed zusammen: Wer schon einmal im Backoffice einer Hauptversammlung saß, weiß wie man unter hohem Zeitdruck, mit absoluter Präzision und maximaler Abstimmung arbeiten kann. Aus dem Saal kommt ein Trommelfeuer an bissigen Fragen der Aktionäre. Kneifen gilt nicht, sonst wird man genauso rechtlich angreifbar wie bei Falschaussagen. Erfolgreiche Kommunikation ist dann eine Frage von guter, effizienter Vorbereitung und Training bei der Abstimmung. Das ist anstrengend, aber warum soll das nicht auch in der Krisenkommunikation funktionieren.
„Die Menschen draußen verstehen, dass wir bestimmte Ereignisse erst sauber recherchieren müssen“
Wenn es in der Unternehmenskommunikation um rechtlich anspruchsvolle Fragestellungen geht, ist Präzision ein Muss! Damit hat Thomas Klindt sicher Recht: Immer mehr Tempo birgt auch das Risiko von immer mehr Qualitätsverlust. Und das kann teuer werden. Wenn Echtzeitkommunikation bedeutet, dass Inhalte nicht mehr mit Fachabteilungen und Justitiaren abgestimmt werden, wie es neulich eine Gastautorin in diesem Medium forderte, dann laufen Unternehmen und Management in völlig unkalkulierbare Risiken. Das ist sicher ein Irrweg. Das Bedürfnis auf schnell explodierende Zugriffszahlen zeitnah zu reagieren, ist verständlich – sinnvoll ist es keineswegs immer. Oft ist ein schnelles aber klares Holding-Statement besser. Die Menschen draußen verstehen, dass wir bestimmte Ereignisse erst sauber recherchieren müssen, bevor wir sie kommentieren. Die erfolgreiche Kommunikation rund um den Crash des Germanwings-Flug 9525 im März 2015 zeigt das deutlich. So gewinnt man in der Regel die Zeit, Fakten zu klären und zu prüfen, um danach umso effizienter auf die Öffentlichkeit zugehen zu können – so schnell, klar und widerspruchsfrei es eben geht.
Und darüber hinaus? Da gilt die einfache Regel des Logiktheoretikers Ludwig Wittgenstein: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Und das ist auch eine Kunst.