Wie KI die Unternehmenskommunikation verändert

Künstliche Intelligenz

Maschinen lernen sprechen. Diese Entwicklung ist kaum mehr zu übersehen, und sie beschäftigt Marketeers und Kommunikatoren weltweit. Hört man sich auf internationalen Marketingkonferenzen um, so heißt der Schlachtruf längst nicht mehr „mobile first“, sondern „voice first“. Viele neue Produkte werden dahingehend entwickelt, dass man sie durch Sprache sinnvoll steuern oder gar dialogisierbar machen kann. Siri, Alexa und Co. haben die Tür aufgestoßen in eine Welt des automatisierten Dialogs.

Was uns heute wie eine technische Revolution erscheint, ist im Grunde nicht neu. Sprechende Maschinen gibt es schon seit geraumer Zeit. Vor mehr als einem halben Jahrhundert verblüffte der KI-Pionier Joseph Weizenbaum die Welt mit „Eliza“, einem Chatbot, der natürliche Dialoge in erstaunlicher Qualität führen konnte.

Die Dialogwende als nächster Megatrend

Das hatte mit einem freien Dialog noch wenig zu tun. Dennoch zeigte sich bereits bei den ersten Versuchen ein erstaunlicher Effekt: Die Menschen fühlten sich verstanden. Dieser einfachen Maschine gelang es, durch Dialoge Nähe aufzubauen.

In der Nähe liegt die Kraft – und genau die wollen sich Marketeers und Kommunikatoren zunutze machen. Etwa im Kundenservice, im Beratungsgespräch ober bei der automatisierten Gestaltung von Kundenbeziehungen. Beispiele für solche CRM- oder Marketing- Bots gibt es inzwischen viele.

Zu Hause, im Auto oder am Arbeitsplatz werden künftig immer mehr Dialogroboter mit uns aktiv kommunizieren. Diese „Dialogwende“ wird weiter voranschreiten, und sie wird auch die Verbreitung von Medieninhalten erfassen. Bereits heute kann man Cortana oder Alexa nach den aktuellen Nachrichten des Tages fragen – und bekommt sie problemlos vorgetragen. Es ist der Beginn eines Paradigmenwechsels in der Massenkommunikation: Automatisierte Dialoge könnten bald immer mehr klassische Texte ersetzen.

Psychosoziale Folgen: Die Macht der Computer wächst

Das Verführerische an Dialogrobotern ist, dass sie Computer menschlich erscheinen lassen. Sie begegnen uns und passen sich uns an wie vertraute Personen. Sie verleiten uns zur Interaktion und nutzen dabei die archaischste, älteste und intuitivste Kommunikationsform: den Dialog.

Schon seit geraumer Zeit arbeiten User-Experience-(UX)-Designer daran, dieses Mensch-Maschine-Interface so leistungsfähig wie möglich zu gestalten. Das Idealziel ist das „intuitive“ Design. Heute ist der Computer aber nicht mehr nur intuitiv – er macht abhängig. Die gesamte haptische, visuelle und informelle Gestaltung ist darauf ausgerichtet, dass wir Computer als persönliche Begleiter bei uns tragen und ständig nutzen. Genau dieser Mechanismus lässt junge Menschen im Schnitt 56-mal pro Tag nach dem Smartphone greifen. Das sagt zumindest eine Studie von Deloitte aus dem Jahr 2018.

Wir schauen nicht deswegen regelmäßig auf den taschengroßen Bildschirm, weil dort immer eine wichtige Nachricht wäre, sondern weil sie dort sein könnte! Das versetzt uns in einen ständigen Zustand einer Hochspannung, die nach Auflösung strebt – durch eine digitale Belohnung. Durch Dialogroboter ist sie bald auch auf Zuruf verfügbar.

Automatisierung der Nähe

Was passiert nun, wenn diese Maschinen zu sprechen beginnen? Bereits der KI-Pionier Weizenbaum hat schnell erkannt, wie ernst viele Menschen sein relativ einfaches Programm nahmen. Viele Nutzer gaben im Dialog intimste Details von sich preis. Obwohl sie genau wussten, dass „Eliza“ kein einziges Wort wirklich verstand, entstand für die Nutzer das Gefühl einer dialogischen Intimität. „Eliza“ nahm damit viele psychosoziale Entwicklungen vorweg: Bots könnten heute soziale Kontakte recht erfolgreich simulieren – und ersetzen.

Der Kognitionspsychologe Douglas Hofstadter nannte es den „Eliza“-Effekt. Darunter versteht man die Neigung der Menschen, die Antworten einer künstlichen Intelligenz (KI) als „menschlich“ zu bewerten. Sie projizieren etwas in die Maschine, was sie weder ist noch sein kann: ein soziales Wesen, das versteht und empfindet.

Dialogsysteme treten immer häufiger an die Stelle sozialer Gesprächspartner und bauen echte Beziehung zu ihren Menschen auf. Frei verfügbare Bots wie „Cleverbot“, „Mitsuku“ oder „Rose“ sind nur dafür gebaut, Menschen so lange wie möglich in Dialogen zu halten. Diese Maschinen haben immer ein offenes Ohr für den Nutzer. Sie haben keine Fehler und Egoismen – sie sind in vielfacher Hinsicht ein perfekter Gesprächspartner.

Kein Wunder, dass immer mehr Menschen auch Beziehungen mit diesen Maschinen anstreben. Firmen wie Gatebox bieten längst virtuelle Partner für das digitale Zuhause: Azuma Hikari heißt ein hologrammartiges Avatar- Mädchen, das man sich als Hausgenossin bestellen kann. Sie redet mit ihrem Besitzer, schickt tagsüber ermutigende Mails und ist immer da, wenn man sie braucht. Von der Ehe mit dem Avatar über den Computer-Kuss bis zum virtuellen Gesprächspartner – die Medialisierung des emotionalen Erlebens wird durch solche Maschinen real.

Alles Lüge?

Doch Vorsicht: Die Anziehungskraft von Dialogrobotern ist durch eine erstaunliche Ambivalenz geprägt. Ein Doppelsinn, der sich erst auf den zweiten Blick zeigt. Bots simulieren Nähe. Sie bieten die Chance zu einem Dialog an einer Stelle, an der sonst Sachlichkeit, meist aber Gleichgültigkeit vorherrscht. Automatisierte Dialoge laden den Nutzer dazu ein, sich auf ein Thema tiefer einzulassen, als er es bei der eher sachlichen Lektüre etwa eines Webseitentextes tun würde.

In dieser Simulation der Nähe liegt aber auch der Keim der Enttäuschung: Der automatisierte Dialog kann zu einer Abnutzung der Intimität führen, die man normalerweise in einem Dialogsetting erwartet. Einem Gespräch mit einem Dialogroboter fehlt die Authentizität der Erfahrung. Auch die besten, mit Emotional-Intelligence-Technologie ausgestatteten Beziehungsbots sind nicht wirklich sozial oder empathisch. Sie sind von Menschen als soziale Gegenüber konstruiert.

Die Nutzer nehmen diese Konstruiertheit wahr. Es besteht daher die Gefahr, dass für immer mehr Menschen im Umgang mit Sprachdialogsystemen auf kurz oder lang das Gefühl einer emotionalen Schalheit und Leere zurückbleibt. Illusionen sind auf Dauer unbefriedigend – das sollten wir bei einem Start in die nächste Welle der Digitalisierung im Hinterkopf behalten.

 

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe VERANTWORTUNG. Das Heft können Sie hier bestellen.