Im vergangenen Dezember wurde die Netzgemeinschaft von einer Idee infiziert, die den Nerv vieler Kommunikatoren traf und sich wie ein Lauffeuer verbreitete: Psychometrie, Big Data und Ad-Targeting seien als Wahlkampfinstrumente zu einer toxischen Mischung verschmolzen, die Trump wider alle Vernunft ins Weiße Haus gebracht und Großbritannien den Brexit beschert habe. Das meint zumindest der Stanford Psychologe Michal Kosinski. Er hat eine Methode entwickelt, um Menschen anhand ihres Verhaltens auf Facebook psychologisch zu analysieren und bestimmten Persönlichkeitstypen zuzuordnen. Damit sei die Blaupause für eine psychosoziale Bombe entstanden, die Big-Data-Jongleure und geschickte Wahlkampfstrategen nur zu zünden brauchten. Denn wer den psychometrischen Code kennt, kann im Web nach solchen Persönlichkeitstypen suchen, sie clustern und gezielt ansprechen.
Wie man in der Praxis auf diese Weise etwa das liberale amerikanische Waffengesetz gegenüber Kritikern verteidigen kann, das zeigt Alexander Nix, Chef der britischen Marketing-Firma Cambridge Analytica, anhand eines konkreten Beispiels: «Für einen ängstlichen Menschen mit hohen Neurotizismus-Werten braucht man angstbasierte Nachrichten. Ihnen verkaufen wir die Waffe als Versicherung. (…) das Bild dazu (die Hand eines Einbrechers, die eine Scheibe einschlägt) ist da sehr überzeugend.» Für eher verschlossenen Menschen aber mit hohen Verträglichkeitswerten stellt Nix eine andere Anzegenvariante vor. Sie zeigt einen Vater, der seinem Sohn bei der Entenjagd das Schießen beibringt, „wie es seit Generationen vom Vater an den Sohn weiter gegeben wurde“ – das wirkt bei den wertebasiert konservativen Wählergruppen. Jede Zielgruppe bekommt so genau die Botschaft zugespielt, die ihrem psychometrischen Profil entspricht. Und es wirkt – das zeigen die Klickzahlen.
Vieles schien in diesen Wahlkämpfen nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Das löste bei vielen klassisch ausgebildeten Kommunikatoren große Verunsicherung aus. Dazu gehört auch die hohe Anzahl an autonom agierenden Bots, die im US-Wahlkampf ein Rolle gespielt haben sollen, Die Schätzungen zur Zahl dieser Bots schwanken – zwischen zwanzig und vierzig Prozent der Nachrichten sollen es gewesen sein, die die Meinungstrends angeblich beeinflusst haben sollen. Wie auch immer: Hier sind offensichtlich Kräfte am Werk, die das klassische Wissen und die Erfahrung der Kommunikatoren übersteigen. Heerscharen von Bots, Big Data Brother, Fake-News über Facebook – ein Albtraum aus Manipulation und Propaganda scheint wahr zu werden.
Den Schalter im Kopf drücken
Neu ist von diesen Ansätzen nur wenig. Psychometrie ist nur der neueste Schrei im sogenannten Neuromarketing. Psychomarketeers versprechen seit Jahrzehnten, dass man durch einfache psychologische Tricks den Schalter im Kopf jedes Menschen finden – und bedienen kann. Sieht man einmal von eher elementaren Zusammenhängen ab, die inzwischen in jedes Marketing-Studium gehören, sind überbordende Erwartungen bisher eher enttäuscht worden. Der Kauf-Knopf blieb Fiktion – zum Glück.
Das könnte sich jetzt ändern – und zwar weil sich das gesamte massenmediale Kommunikationsmodell ändert. Das Vertrauen in die klassischen Medien erodiert, die objektivierende Kraft der Medien dringt immer weniger durch. Stattdessen schließen sich die Zielgruppen immer mehr in digitale Filterblasen ein, in denen Algorithmen dafür sorgen, dass jeder nur noch die Nachrichten zu hören und sehen bekommt, die ihn interessieren und die er hören will. Was in der Produkt- und Konsumwelt zur Heilsversprechung wurde, stellt sich im Bereich der politischen Kommunikation als eine demokratiegefährdende Gefahr heraus. Meinungs- und Willensbildung unterliegen nicht mehr dem freien Spiel des stärksten Arguments – sondern dem besseren Algorithmus. Fehlende Transparenz führt hier zu emotionaler Aufladung und politischer Enthemmung.
Diese Entwicklungen schrecken inzwischen auch Unternehmenskommunikatoren auf. Denn jenseits der Produktkommunikation gibt es komplexe Themenfelder, deren Bearbeitung durchaus erfolgskritisch für die Unternehmen sind: TTIP, Energiepolitik, Protektionismus, Regulierung. Überall haben die Medien bisher für Objektivität und Transparenz gesorgt – solange sie noch gelesen wurden. In einer Zeit, in der die Meinung der (vermeintlich realen) Freunde bei Facebook ein viel höheres Ansehen genießt als die „Mainstream-Medien“, wird klassische Unternehmenskommunikation immer schwieriger.
Von Bot zu Bot
Der Unternehmenskommunikation wird nichts anderes übrig bleiben, als sich mit diesen Instrumenten auseinanderzusetzen – und sie sich zu eigen zu machen. Zum einen muss es darum gehen, gezielt in die Filterblasen hineinzustechen. Den verschiedenen Bezugsgruppen muss gezeigt werden, dass es zum aufgeladenen Meinungsgebräu auch alternative, nämlich wirkliche Fakten gibt, die es zu beachten gilt. Zudem muss auch die Schweigespirale in der Filterblase durchbrochen werden. Genaue Kenntnis der Zielgruppen und Themen sowie punktgenaue Ansprache in den digitalen Medien ist hier durchaus erfolgsversprechend.
Ein Instrument kann Content-Amplification sein, also die Verlängerung des Content Marketing mit Mitteln des Ad-Targeting, wie es Cambridge Analytica vorgestellt hat. In Zukunft wird es aber noch ganz andere Formen der dialogbasierten Kommunikation geben. Wenn vertikale Kommunikation für viele als grundsätzlich vertrauenswürdiger und weniger autoritär empfunden wird, dann entsteht durch die 1:1 Kommunikation auch eine völlig neue Chance zum Dialog. Hier wir die konkrete Praxis zeigen, welche Form der Bot-Technologie die Menschen als nutzerfreundlich und vertrauenswürdig akzeptieren.
Dass jedes Unternehmen in Kürze Heerscharen an anonymen Corporate Bots auf das Internet und die sozialen Medien loslässt, kann hingegen nicht die Lösung sein. Der amerikanische Wahlkampf hat die Problematik bereits deutlich vor Augen geführt. Bot-Technologie gibt es schon seit langer Zeit. Überall, wo im Internet durch kleine Eingriffe, etwa durch einseitige Klicks auf Bewertungsportalen, Meinungsbilder beeinflusst werden konnten, kamen sie zum Einsatz. Natürlich ist auch bei Facebook und Twitter die Versuchung groß, Fake-Identitäten einzurichten, die als scheinbar reale Personen, Meinungen kommentieren oder multiplizieren.
Die Auswüchse des Wahlkampfs sollten aber nicht zur Blaupause für die Unternehmenskommunikation werden. Wenn man das zu Ende denkt, bestimmt bald die schiere Zahl solcher Bots, welche Themen von Nachrichten-Algorithmen als wichtig oder weniger wichtig betrachtet werden. Masse macht Meinung, der Satz ist alt. Aber nie war es so einfach, Masse zu schaffen. Im Krieg der Bots hat bald der die Macht, der die intelligentesten und schnellsten Maschinen am Start hat. Das sollten allerdings Methoden autoritärer, antidemokratischer Staaten bleiben. Unternehmen sollten die Finger davon lassen, denn wer einmal auf die Dunkle Seite der Macht gerät, kommt nie mehr davon los.
Von der dunklen zur hellen Seite der Macht
Die hier vorgestellten Technologien der PR-Automatisierung haben durchaus das Potenzial zum Missbrauch. Das hat jede neue Technologie. Das sollte aber nicht zu einer pauschalen Verdammung führen. Big-Data und künstlich intelligente Algorithmen werden uns bald helfen, unsere Zielgruppen, Themen und Anliegen viel besser zu verstehen – und individuell darauf einzugehen. Content Amplification und Ad-Targeting werden unsere Möglichkeiten, PR jenseits von Medien zu führen, deutlich verbessern. Und nicht zuletzt werden wir diese Technologien auch dazu benötigen, Missbrauch von Algorithmen bei der Meinungsbildung zu erkennen und ihm entgegen zu wirken.
Dazu ist bedingungslose Transparenz notwendig. Die Öffentlichkeit muss wissen, welche meinungsbildenden Mechanismen eingesetzt werden und sie muss die Institutionen dabei kritisch begleiten können. Auch Regulierung hat hier ein weites Aufgabenfeld, wenn es etwa darum geht, anonyme Identitäten, sogenannte Fake-Identities, zu entdecken, zu authentifizieren und im Zweifelsfall zu neutralisieren. Auch wenn man den Aufschrei bereits jetzt hören kann: Hier haben Heiko Maas und Co dicke Bretter zu bohren, wenn es darum geht, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen.
Die Risiken sind offensichtlich. Dennoch sollten wir uns diesen Technologien offen und selbstbewusst zuwenden. Eine pauschale Verdammung ist unsinnig und stärkt nur die, die unsere moralischen Probleme nicht teilen. Zu jeder neuen Technologie gehört auch eine Lernphase. Auch beim Auto musste man die Risiken erst kennen lernen, bevor man dagegen vorgehen konnte. Demgegenüber stehen gewaltige Vorteile für die Unternehmenskommunikation. Eins ist sicher: Unsere Aufgabenstellungen werden breiter und vielfältige – aber sie werden andere sein als bisher und anderes Know-how erforderlich machen.
Zum Thema Cognitive PR haben die Autoren Armin Sieber und Jörg Hoewner das Cognitive-PR-Network ins Leben gerufen, auf dessen Blog Sie weitere Beiträge zum Thema – außerhalb und ergänzend zu dieser pressesprecher-Kolumne – finden.