Kommunizieren ohne Glaubwürdigkeits­lücken

Was macht Authentizität aus?

Viele Menschen glauben ihnen nicht mehr: Kommunikationsprofis, Lobbyisten, Marketeers – eine ganze Branche steht unter Generalverdacht. Alles heiße Luft, alles PR, alles reine Rhetorik? Mit Kritik ist die Öffentlichkeit schnell bei der Hand. Viele Menschen sehnen sich nach Authentizität, nach glaubwürdigen Unternehmensführern, nach berührbaren Menschen, denen man Vertrauen schenken kann – und erleben oft nur einstudierte Taktik, vorgestanzte Sprachfloskeln und sinnentleerte Eventkultur.

Was macht aber Authentizität aus? Wie wird man als Manager authentisch? Eine ganze Beratungsbranche trainiert Führungskräften inzwischen ein Verhalten an, mit dem sie den Erwartungshaltungen einer kritischen, internen und externen Öffentlichkeit gerecht werden soll. Authentischer werden sie dadurch in der Regel nicht. Im Gegenteil: Nicht wenige finden sich in der Authentizitätsfalle wieder: Sie agieren als Schauspieler ihrer selbst – und machen es dabei keinem mehr recht.

Die innere Arena der Authentizität

Die Forderung nach Authentizität hat in den vergangenen Jahren im Zusammenhang von Managementtrainings und Weiterbildung eine beispiellose Verbreitung gefunden. Kein anderer Wesenszug gilt in Deutschlands Top-Etagen derzeit als erstrebenswerter. Was Authentizität aber konkret sein soll, bleibt oft unklar. Der Kunsthistoriker und Autor Christian Saehrend nennt es eine „zwanghafte Sehnsucht nach dem Echten“, eine „Utopie des wahren Lebens“. Auch Managementtrainer Thomas Armbrüster lehnt den Begriff als viel zu unscharf ab. Statt auf Authentizität solle man besser auf Professionalität und Integrität setzen.

Die Ratgeberliteratur gibt eine einfache Antwort: Sei geradeheraus, loyal und in Übereinstimmung mit dir selbst. Gerade das ist aber eine psychologische Utopie: Man muss sich nur auf die Suche nach „sich selbst“ begeben, dem vorgegebenen, inneren Wesenskern. Das ist leichter gesagt als getan: Individuen sind multipolar angelegt. Ihre Persönlichkeit verändertund entwickelt sich ständig weiter. Das gilt auch für Manager und Kommunikatoren. Sie tragen eine Vielzahl unterschiedlicher Ziele und Vorstellungen in sich, die oft kein widerspruchsfreies Ganzes ergeben. Der Kommunikationsberater Klaus Kocks hat das pointiert auf den Punkt gebracht: „Menschen, die versuchen, ganz sie selbst zu sein, gehören in die Psychiatrie – denn wer weiß schon, wer er ist.“

Innere Widersprüche führen oft zu einem Authentizitätsproblem. Die berühmten zwei Seelen in der Brust kann nicht jeder nach außen überspielen. Glaubwürdigkeitslücken bei Führungskräften und Kommunikatoren tun sich gerne dort auf, wo sie nach außen Positionen vertreten müssen, mit denen sie innerlich im Widerstreit liegen.

Dabei gibt es durchaus Wege, wie man mit dieser „inneren Pluralität“ konstruktiv umgehen kann. Die Persönlichkeitspsychologie hat Verhaltensmuster erarbeitet, wie man mit Konflikten in der inneren Arena umgehen kann: genauso wie mit Konflikten in einem Team. Friedemann Schulz von Thun hat mit seinem Konzept des inneren Teams das Phänomen sehr anschaulich und plausibel herausgearbeitet: Nur wer im Inneren „alle beisammen“ und vereint hat, kann nach außen hin klar, authentisch und situationsgemäß reagieren. „Die Herausforderung besteht darin, die geeigneten ,Inneren Mitarbeiter’ zu einem gegebenen Problem zu identifizieren, zu Wort kommen zu lassen und (…) zur Zusammenarbeit zu bewegen.“ Wem das gelingt, der hat einen wichtigen Schritt in Richtung Authentizität unternommen.

Die äußere Arena

Das ist aber nur ein Teil des Problems. Denn was als authentisch wahrgenommen wird, hängt eben auch von entsprechenden Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit ab. Viele Reputationskrisen, unter anderem auch die aktuelle bei VW, zeigen: Nicht alles, was vermeintlich legal erscheint, ist auch legitim. Der Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper ging in die PR-Geschichte ein, weil er unbezahlte Handwerkerrechnungen des Baulöwen Jürgen Schneider in Millionenhöhe als „Peanuts“ bezeichnet hat. Im Hinblick auf seine persönliche Einschätzung der Lage und der inneren Logik einer Bank mag das richtig gewesen sein. Für die Öffentlichkeit war es aber ein Affront. Hier fehlte es ganz offensichtlich an Angemessenheit und Fingerspitzengefühl. Genau das erwartet man aber von einem Kommunikator.

Das zeigt auch das Dilemma: Authentisch kann man nicht sein. Es ist eine Qualität, die man von Zuhörern zugeschrieben bekommt. Authentizität ist das Ergebnis von erfolgreicher Kommunikation – und der Erfolg liegt eben in der Wahrnehmung der Zielgruppen. Wer authentisch kommunizieren will, darf daher nicht nur in Übereinstimmung mit sich selbst agieren. Er muss auch den Erwartungshaltungen der Zielgruppen gerecht werden. Authentizitätslücken sind ein Missmatch zwischen dem, was man von einer Person erwartet – und dem, wie man sie tatsächlich wahrnimmt.

Wege aus der Authentizitätsfalle

Erfolgreiche Kommunikation entsteht durch die gelungene Inszenierung des „inneren Teams“ in Anpassung an die Erwartungen, die von außen kommen. Authentizität durch Inszenierung? Das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Authentizität ist eben mehr als nur Glaubwürdigkeit.

Was machte denn einen Manager wie Steve Jobs aus? Die Weltöffentlichkeit folgte und vertraute ihm wie einem Guru. Geradeheraus und direkt war das aber nicht. Sicher: Jobs folgte oft seiner Intuition und inneren Stimme. In der Öffentlichkeit hatte aber niemals der Zufall die Regie. Seine Auftritte waren minutiös geplant und einstudiert. Was wir an ihm bewundert haben, war oft genug „reine Rhetorik“.

Der Grund dafür ist einfach: Personen, die wir als authentisch wahrnehmen, sind oft besondere, außerordentliche Menschen, die uns mit ihren Haltungen und Konsequenzen begeistern und faszinieren. Daher können auch Steuerbetrüger, Waffenhändler oder Prostituierte, also Menschen, die gegen Recht oder den gesellschaftlichen Wertekonsens verstoßen, durchaus als authentisch wahrgenommen werden – wenn sie ihre Haltung schlüssig und konsequent vorleben.

Die Literatur ist voll von solchen Persönlichkeiten. Von einer Prostituierten erwartet niemand christliche Moralethik, von einem Waffenhändler niemand friedensbewegte Gemütsseeligkeit. Authentisch erscheinen sie deswegen, weil sie in sich stimmig sind – und weil sie den Erwartungen entsprechen, die an sie gerichtet werden. Die Faszination, die sie ausstrahlen, liegt aber in der Inszenierung ihrer Stärken. Die gute Nachricht heißt also: Authentische Kommunikation kann man lernen. _

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Change. Das Heft können Sie hier bestellen.

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