Journalismus im Auftrag des Klimas

Medienkooperationen

 

Frau Gretemeier, das Magazin „Stern“ hat bei einer Ausgabe mit Fridays for Future kooperiert. Sind Sie der Meinung, dass für den „Stern“ die Kooperation richtig war? Inwieweit haben Sie aus Ihrer Sicht durch die Zusammenarbeit als Medienmarke profitiert?

Foto: Guido Rottmann

Unser Klimaheft #KeinGradWeiter zum Weltklimatag des vergangenen Jahres und die Zusammenarbeit mit Fridays for Future waren für uns sehr ­befruchtend. Ein Jahr zuvor, 2019, rund um Greta Thunbergs Auftritt beim UN-Klimagipfel, waren wir da sowohl politisch als auch gesellschaftlich deutlich weiter. Dann kam Corona, und eine Krise löste die andere im Bewusstsein der Menschen ab. Als die Pandemie bereits über Monate die beinahe gesamte öffentliche Diskussion und Medienberichterstattung auch bei uns dominierte, wollten wir entschieden etwas dafür tun, die Klimakrise zurück auf die Agenda der globalen Prioritätenliste zu holen.

Dafür luden wir die Organisation Fridays for Future zu uns in die Redaktion ein. Warum die Aktivist*innen? Weil sie der jungen Generation angehören, die die Folgen des aktuellen Klima-Missmanagements am deutlichsten treffen werden. Weil es ihnen wie niemand sonst gelungen ist, ein gesellschaftlich relevantes Thema vom Rand der Diskussion ins Zentrum der weltweiten Agenda zu rücken. Weil sie eine hohe fachliche Expertise mitbringen. Und: Weil sie zu den größten Medienkritiker*innen gehören und wir uns gern intensiv mit ihren Vorwürfen und Verbesserungsvorschlägen live im Entstehungsprozess unserer Geschichten auseinandersetzen und voneinander lernen wollten.

Wir diskutierten gemeinsam mit Fridays for Future in Redaktionskonferenzen über Themen, Interviewpartner*innen und Erzähl- und Aufbereitungsformen. Und lernten viel voneinander. Über Begrifflichkeiten und Sprache. Über Diversität und Auswahl von Protagonist*innen. Und über journalistische Standards, Recherche-Handwerk und redaktionelle Entstehungsprozesse. Die journalistische Hoheit lag die ganze Zeit beim „Stern“. Die Chefredaktion hat entschieden, welche Geschichten wie erzählt wurden. Es galt das Chefredaktionsprinzip.

Unser Ziel, das Klima wieder ganz oben auf die Agenda zu setzen, haben wir so erreicht. Zahlreiche Zuschriften von Leser*innen, die enorme Reichweite auf den digitalen Kanälen und das breite Medienecho – auch international – sprechen dafür. Sicherlich hat die Aktion auch zur Profilierung des „Stern“ beigetragen als eine Medienmarke, die sich für Nachhaltigkeit einsetzt und neue, ungewöhnliche Wege beschreitet. Die bereit ist, in den Dialog und Austausch zu gehen und zu experimentieren.

Unabhängig von der einmaligen Kooperation verstehen wir es als unseren journalistischen Auftrag, der Klimakrise in unserer Berichterstattung große Aufmerksamkeit zu schenken. Wir sind bei der Frage, ob es den Klimawandel gibt oder nicht, nicht mehr neutral. Wir haben klargemacht, dass es für den „Stern“ in Bezug auf die Klimakrise nur eine Position gibt: Wir müssen jetzt handeln. Wir wollen beim „Stern“ Journalismus machen, der sich einmischt und der hilft. Missstände nur noch aufzudecken und über sie zu berichten, reicht uns nicht mehr. Wir wollen selber gemeinsam mit unseren Leser*innen mit all den uns zur Verfügung stehenden publizistischen Mitteln etwas dafür tun, um aktiv etwas an den Missständen zu verändern. Wir nennen das aktivierenden Journalismus.

Anna-Beeke Gretemeier ist Chefredakteurin des „Stern“.


Herr Schröder, Sie haben mit der Otto Group das Magazin „Now“ herausgegeben. Inwieweit ist es mit journalistischer Unabhängigkeit vereinbar, wenn ein Medientitel im Auftrag eines Unternehmens ein Magazin über dessen Nachhaltigkeitsaktivitäten erstellt? Warum ist „Geo“ diese Kooperation eingegangen? 

Foto: Xiomara Bender

„Geo“ bietet als Dienstleister seine Expertise für das Magazinmachen und Nachhaltigkeit an für Unternehmen, die ein echtes journalistisches Produkt erstellen möchten und die in Sachen Nachhaltigkeit ähnliche Ziele verfolgen wie „Geo“. Die Otto Group ist schon seit Jahren im Bereich Nachhaltigkeit sehr aktiv und engagiert sich in zahlreichen Aktivitäten und Projekten weltweit. Das hat einfach gut gepasst.

Das Projekt „Now“ hat sich für „Geo“ aufgrund seiner Nachhaltigkeitskompetenz ergeben: Otto hatte die Produktion eines Nachhaltigkeitsmagazins als Pitch ausgeschrieben. Wir waren überzeugt, als mediale Instanz für das Thema Nachhaltigkeit der beste Partner für ein solches Magazin zu sein, der über eine Expertise als Magazinmacher und Nachhaltigkeitskompetenz verfügt wie keine andere Zeitschriftenmarke.

Ein Heft mit einem kommerziellen Partner zusammen zu machen, war aber trotzdem Neuland für uns – da stellt man sich vorher schon die Frage: Wird das ein Spagat? Wollen die Auftraggeber alles entscheiden? Können wir das mit unserem Selbstverständnis vereinbaren, dass wir alle Facetten einer Geschichte bewerten müssen? Die Antwort liegt beim Thema des Magazins, das beide Seiten ernsthaft umtreibt: nachhaltige Entwicklung. „Geo“ hat als Dienstleister ein Magazin konzipiert, das mit ungetrübtem Blick die Themen des Heftes journalistisch von außen betrachtet, recherchiert und erzählt. Wie wir das machen, haben wir selbst bestimmt.

Jens Schröder ist Chefredakteur der „Geo“-Gruppe.


Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Nachhaltigkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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