Iceberg Songs: Kollaborative Kampagne für die UN

Kreative Vernetzung

Ein Seufzen und Knacken, Rauschen und Fiepen: Was klingt wie Walgesänge, ist stattdessen das Todeslied schmelzender Eisberge. Wenn sie sterben und kollabieren, geraten sie in Schwingung, verursachen mystische Töne – bisher ein Lied ohne Publikum. Doch inzwischen sind die „Iceberg Songs“ Teil einer UN-Kampagne zum Klimaschutz und weltweit verbreitet über die Communitys bekannter Musiker, die die traurigen Lieder in eigene Kompositionen integrierten. Wir sprachen über die Community-Kampagne mit Alexander Nagel, Geschäftsleiter Kreation bei Serviceplan.

Trailer zu den Iceberg Songs (c) Youtube/IcebergSongs

Herr Nagel, wie entstand die Idee zu den Iceberg Songs?

Alexander Nagel: Wir arbeiten schon länger für die UN und beschäftigen uns mit sozialen Themen wie dem Tierschutz. Vor etwa zweieinhalb Jahren haben zwei Kreative dann davon gehört, dass schmelzende Eisberge sehr besondere Geräusche machen, und weil ich privat gern nach Island und Norwegen reise, war ich sofort fasziniert. Beim Insomnia Festival in Tromsø habe ich mit einem Studienkollegen in einer Hütte weiter gesponnen und am Ende stand die Kernidee: Da oben im Norden singt jemand ein trauriges Lied – aber niemand hört zu. Wir verstärken diese leisen Klänge zu einem Duett und tragen es in die Welt. Damit haben wir dann in der Agentur viele Kollegen begeistern können, die machten die Kampagne alle pro bono und mit Hilfe unserer Netzwerke – normalerweise brauchen wir nicht so lange für ein Projekt. (lacht)

Ich war erstaunt, die Eisberge zu hören – es klingt eher wie Walgesänge. Sind die Töne wirklich echt?

Ja. Ich war ehrlich gesagt zuerst selbst unsicher – nicht, dass am Unterwassermikro eine rülpsende Robbe vorbeischwamm. Aber die Forscher vom Alfred-Wegener-Institut, von denen die Aufnahmen stammen, haben uns die Echtheit versichert. Man kennt die Geräusche auch im Kleinen von Eiswürfeln im Glas, die knacken und helle Töne machen, weil sie als Klangkörper schwingen.

War es einfach, die prominenten Musiker zu begeistern?

Wir hatten kein Budget, aber wollten große Namen. Ihre Motivation musste also eine andere sein. Musiker sind cool, das waren sie auch immer – nur ihr Management nicht oder die Rechteinhaber der Songs. Das haben wir anfangs unterschätzt.

Wir hätten beinahe aufgegeben, aber dann bekamen wir über St. Elmos Fire L.A. Kontakt zu Trentemøller und als der mitmachte, zog das in der Community. Er hat auf seinen Plattformen mehrere hunderttausend Follower und wurde so zum Sprachrohr auch für Fans, die wir über normale Werbung gar nicht erreicht hätten.

Praktisch, dass die Musiker Protagonist und Vertriebskanal in einem waren.

Ja, wir haben für jeden Musiker eine eigene Präsentation erstellt, in der auch stand, was er selbst und wir von der Partnerschaft haben. Es war immer klar: Wir wollen nicht nur dein Lied, sondern auch, dass du es teilst.

Was war deren Motivation?

Wir haben mehrfach gehört, dass sie fasziniert waren von der Möglichkeit, künstlerisch zu etwas beizutragen, das eine so traurige Schönheit hat, und sie mochten die Ästhetik der Idee. Wir haben bei der Musikerauswahl natürlich auch geschaut, dass es passt. Das sind ja keine Hardcore-Metaller, sondern die Stile sind eher Elektro und Sphärisches. Es dauerte nach der Anfrage nie lange, bis das Lied da war. Chris Buseck zum Beispiel, der die Iceberg Songs am Klavier aufnahm und weiterführt, brauchte dafür weniger als eine Woche.

Wir machen alle oft ein Thema, das uns persönlich wichtig ist, über Share-Funktion, Budget und Technik teilbar. Aber niemand teilt etwas, wenn er nicht berührt ist. Der Kanal ist dabei erst einmal zweitrangig. Ob in der Kaffeeküche oder bei Facebook – der Weißt-du-was-Moment ist kindlich geprägt. Und Gänsehaut beweist, dass es funktioniert.

Welche Probleme gab es in der Umsetzung?

Schwierig war vor allem die Technik. Man denkt doch, digital ist alles möglich, aber so einfach war es nicht. Wir wollten uns zum Beispiel mit Soundcloud viel tiefer verknüpfen, aber natürlich haben auch die ein Geschäftsmodell und technische Barrieren.

Gab es auch skurrile Momente?

Ein Kollege von unserer Partneragentur Buzzin Monkey bekam morgens um sieben den Anruf eines Bekannten aus Island: „Du suchst doch jemanden, der Eisberge fotografiert; hier treiben gerade welche vorbei. Ich stehe jetzt am Hafen und brauche eine Budgetfreigabe, um ein Boot zu mieten, dann mach ich das für euch.“ Andere Bekannte haben bei der Produktion einer ganz anderen Kampagne im Helikopter noch ein paarmal mehr auf den Auslöser gedrückt und ebenfalls Eisbergbilder für uns gemacht.

Wie hoch war denn das Budget?

Die Leistungen aller Beteiligten waren pro bono. Ich darf meinem Chef gar nicht erzählen, wieviel Zeit wir da wirklich investiert haben. (lacht) Es gab kein klassisches Budget. Wir haben einmal zweihundert Euro in die Hand genommen, um in Skandinavien einen Spot zu pushen, in dem das Patentorchester seine Eisberg-Sinfonie einspielt, aber das war nicht entscheidend. Der Rest lief komplett viral und über die Communitys der Musiker.

Was kam bisher dabei heraus?

Rund um den Start der Klimakonferenz hatten wir eine Reichweite von 300 Millionen im Hauptpeak. Aber die Musiker halten das Projekt wie mit einem Herzschlag immer weiter am Laufen.

Was sind Ihre Learnings nach der Kampagne?

Man muss möglichst direkt mit Musikern kommunizieren, wenn man nicht viel Geld oder eine garantierte Medialeistung mitbringt. Die persönlichen Kontakte zu ihnen waren unser Erfolgsgeheimnis, denn die Musiker bekommen natürlich eine Menge ähnlicher Anfragen. Und wir haben jetzt die Telefonnummer von Soundcloud – ich wette, die haben nicht viele. (lacht) Das Projekt war ein Riesenstein, der sich nicht so schnell bewegte, wie wir dachten – aber er bewegt sich.

Und was kommt als Nächstes?

Die nächste Klimakonferenz ist schon in Planung und wir arbeiten gerade an Ideen, wie wir dort unser Projekt auf die Bühne bringen. Wir wollen Politiker dazu auffordern, genauso viel Zeit wie die Community, die die Iceberg Songs hörten, zu inverstieren, um Lösungen gegen den Klimawandel zu finden. Und ich spiele jetzt selbst in einer Band.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Communitys. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel