Weltweit im Einsatz: Die Botschafter des DAAD

Interview mit Alexander Haridi und Jens Lange

Herr Haridi, was war der ­Anlass für die Kampagne ­„Erlebe es!“?

Alexander Haridi: Es gab eine Vorgänger-Kampagne, die 2006 mit den Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gestartet ist. Zum zehnjährigen Jubiläum fand unsere Geschäftsleitung, dass es Zeit für etwas Neues ist.
Wir agieren vor politischem Hintergrund: Das Ziel von Bundesregierung und Wissenschaftseinrichtungen ist, dass bis 2020 350.000 international Studierende an deutsche Hochschulen kommen. Und jeder zweite deutsche soll studienbezogen im Ausland gewesen sein. Aktuell studieren hier 340.000 Ausländer, das Ziel werden wir also vermutlich überschreiten. Bei den Deutschen liegt der Anteil mit Auslandsstudium bei 35 Prozent – da ist noch Luft nach oben.

Haben Sie selbst auch im ­Ausland studiert?

Haridi: Ich habe ein ganzes Studium, ein Praxissemester und Sprachkurse im Ausland ausprobiert, war in Frankreich, Marokko, den Niederlanden, Ägypten und Iran. Ich kenne also das Gefühl der Fremdheit, den Bruch in der Lebenssituation und die Herausforderung, woanders zu leben, sich selbst zu organisieren und alles zu finanzieren. Das hilft mir heute im Job.

Jens Lange: Ich war in Edinburgh und ­Singapur.

Wie sind Sie bei der ­Konzeption vorgegangen?

Haridi: Wir haben zuerst unsere Zielgruppe festgeschrieben. Unser Thema ist akademische Mobilität. Im heutigen Studiensys­tem müssen Sie einen Auslandsaufenthalt schon im 3. Semester planen und sich bewerben – also schon vor dem Abi anfangen, darüber nachzudenken. Unsere Zielgruppe sind daher Schüler und Studenten zwischen 16 und 24 Jahren, wobei das nicht ein Block ist: 16-Jährige leben ganz anders als 22-Jährige und müssen auch anders angesprochen werden. Dazu kommen noch Lehrer und professionelle Berater an Schulen und Arbeitsämtern.

Dann haben wir nach den richtigen Kanälen gesucht, da konnten wir uns viel aus der klassischen Werbewirtschaft abgucken. Schnell war klar: Der Schwerpunkt der Kampagne wird online, und bei den meisten spielt sich das digitale Leben auf dem Handy ab. Gerade für die Jüngeren ist Facebook eher unerheblich, die sind eher bei Youtube oder Snapchat zu finden. Und die Agentur hat uns verdeutlicht, dass eine fancy Kampagne allein nicht reicht, sondern die Botschaften authentisch sein müssen.

Und wonach haben Sie die ­Botschaften entwickelt?

Haridi: Wir haben uns auf eine Studie über das Verhalten von Studenten und ihre Auslandsmobilität gestützt. Die größten Hemmnisse waren: die Finanzierung; das Nicht-Anerkennen der Scheine und die damit gefühlte verbundene Zeitverschwendung, weil das Überziehen der Regelstudienzeit im Wettbewerb um Jobs als Nachteil gilt; die aufwändige Selbstorganisation und die Unsicherheit, sich zurechtzufinden; sowie die Angst davor, Partner, Freunde und Familie zurückzulassen.

Dem gegenüber steht die Chance, neue Inhalte, Sprachen und Freunde kennen zu lernen, Abenteuer zu erleben und zu wachsen, den eigenen Horizont zu erweitern. Ganz oben auf der Pro-Liste steht: Ich habe die Welt erlebt und mich selbst in ihr.

Lange: Diese Studie war Teil der Pitch-Unterlagen. Gegen die Hemmnisse kann man nichts sagen, daher haben wir uns auf das Thema „neue Erfahrungen“ konzentriert. Wir hatten also ein paar Argumente dagegen – aber ein dickes dafür, mit dem wir arbeiten konnten.

Woher kam der ­Mind­shift, die eigenen Kunden zu ­Botschaftern zu machen?

Haridi: Wir haben erkannt, dass in ihnen großes Potenzial schlummert. Ressourcenmangel hat ein Nachrichtennetzwerk vorgeschlagen nach demselben Prinzip wie die dpa mit weltweiten Korrespondenten. Wir haben extra auch diesen Begriff übernommen.

Praktisch, wenn die ihre ­eigene Reichweite gleich selbst ­mitbringen …

Lange: Genau. Und wenn sie auf ihren eigenen Kanälen kommunizieren, können wir die wiederum auf unseren nutzen und mit der darunterliegenden Hashtag-Strategie weiter auf unseren Social-Media-Kanälen teilen. Wir können ihren Post auf unserer Webseite kuratieren und Informationen einweben, die ein Student in seinem Alltag vielleicht nicht mitdenkt: Wir paaren sein Erlebnis mit unseren Fakten.

Wonach suchen Sie die ­Correspondents aus?

Haridi: Wir schreiben zwei Mal pro Jahr aus und haben mehr Bewerber als gedacht: In der letzten Runde nahmen wir 25 von 130 Kandidaten. Unsere Kriterien sind einfach: Der Bewerber muss sich mitteilen wollen, ein kommunikatives Profil haben und mindestens auf zwei Online-Kanälen aktiv sein, egal welchen.

Wir schauen uns dann ihre Profile genauer an. Natürlich kann jeder entscheiden, ob er jeden Post mit der ganzen Welt teilen möchte oder lieber mit Nutzergruppen arbeitet – aber wer großen Wert auf Privatsphäre legt, ist weniger geeignet. Wir schauen auf die Nutzerzahlen und vor allem auf die Qualität der Beiträge – als halbstaatliche Einrichtung legen wir Wert auf Seriosität.

Lange: Es ist neu für den DAAD, so viel Kontrolle abzugeben. Umso wichtiger sind die passende Auswahl und enge Beziehung zu den Correspondents. Für sie gab es einen zweitägigen Workshop in Berlin mit Vorträgen zu DAAD-Inhalten und Schreibtipps für Social Media, passenden Formaten und guten Fotos. Aber dann muss man sie auch loslassen und sich darauf verlassen, dass die das gut machen. Für uns sind gerade die blinden Flecken auf der Weltkarte spannend. Unser Ziel: Egal wo einer hinwill, vom DAAD war schon jemand vorher da.

Haridi: Für uns ist es wichtig, viele Wirklichkeiten von unterschiedlichen Orten abzubilden. Wir wollen einen guten Mix aus Männern und Frauen, Altersstufen, Lebenslagen und Fächern – wir brauchen keine 50 Ingenieure in den USA oder 30 Romanistinnen in Italien.

Wir hatten zum Beispiel fünf Bewerbungen für New York, aber nahmen da nur zwei und dafür lieber einen in Nowosibirsk. Wir mischen Correspondents aus Natur- und Geisteswissenschaften, Lehramt, Aufenthaltsarten wie Studium, Praktikum, Sprach- oder Sommerkurs und Finanzierungsarten wie Stipendien, Kredit, Auslands-Bafög oder mit eigenem Job. Aussehen ist kein Kriterium – aber wir müssen bei 2/3 Frauen vielleicht irgendwann über eine Männerquote nachdenken. (lacht)

Was ist deren Motivation, ­bekommen die Geld dafür?

Haridi: Nein. Unsere Correspondents bekommen ein hochwertiges Smartphone, das sie behalten dürfen, und spezielles Fachwissen. Viele sehen die Position als Auszeichnung und nutzen sie als guten Credit im Lebenslauf.

Jens Lange und Alexander Haridi im Gespräch (c) Johannes Windolph

Jens Lange und Alexander Haridi im Gespräch (c) Johannes Windolph

Wird deren Content ­moderiert, gibt es eine ­Redaktion als Flaschenhals?

Lange: Nein, das ist ja ihr Content. Wir kuratieren das nur auf unseren Kanälen und stellen zum Beispiel auf unserer Webseite eine Form der Ausgewogenheit her, indem wir den Informationsgehalt gegenüber den rein persönlichen Erlebnissen hochhalten.

Haridi: Wir haben eine Doppelredaktion beim DAAD und der Agentur und Zugriff auf dasselbe Back-end.

Lange: Nicht jeder Post auf den Correspondent-eigenen Kanälen ist für unsere Startseite interessant, aber vielleicht auf seinem persönlichen Stream auf einer unserer Unterseiten: Wenn einer erzählt, wie er bei der Einreise in Nairobi an der Passkontrolle scheitert, interessiert das niemanden in Spanien, aber viele in Afrika.

Eine der Studentinnen war bei der Wahlparty von Hillary Clinton und hat für uns live getwittert, wie es im Saal immer ruhiger wurde – das wandert natürlich auf unserer Seite nach oben. Aber als in Marokko ein Fischer getötet wurde und es danach gefühlt zum Aufruhr im ganzen Land kam, hatte unsere Studentin vor Ort davon gar nichts mitbekommen – das hilft, Dinge einzuordnen.

Haridi: Wir setzen auch Impulse durch Challenges und geben Themen vor, die wir pushen wollen, wie zum Beispiel „Mein schönstes Erlebnis auf dem Weg zur Uni“, „Der Herbst“ oder „Wie habe ich mein Studium finanziert?“.

Welche Formate laufen ­besonders gut?

Haridi: Dieselben wie sonst auch in Social Media: Listicles oder Tipplisten. „So läuft Dating in London“, Infos zum Praktikum und Auslands-Bafög sind der Renner. Wir machen auch Medienpartnerschaften, zum Beispiel mit ­Bento. Natürlich ist deren Redaktion autonom, aber die finden unser Netzwerk und Themen aus dem Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Regionalisierung interessant, zum Beispiel „Zehn McDonald´s-Produkte, die es in Deutschland nicht gibt“. Dann meldet sich ein Correspondent aus Teheran, wo es das offiziell gar nicht gibt, sondern nur Burger auf persische Art, und ein anderer postet welche mit Pferdefleisch aus Kasachstan. So kann man die ganze Welt durchdeklinieren, das ist Anthropologie!

Und wer war bisher König der Herzen?

Haridi: Das war ein Video: „Wie ich in Ho Chi Minh City die Straße überquerte – und überlebte.“

Ist das wie am Place de la Concorde: ­Augen zu, losgehen und ­hoffen, dass jemand bremst?

Haridi: Genau. (lacht) Auch wenn vielleicht nicht soooo viele aus unserer Zielgruppe nach Vietnam wollen, war das Video mit 8.000 Klicks das erfolgreichste des Monats.

Verlängern Sie Ihre ­Kampagne auch auf andere Kanäle?

Lange: Klar, das ist eine Multi-Channel-Kampagne. Wir nutzen sie auf Messen und haben ein eigenes Hochschulmagazin mit dem Titel „Erlebe es!“ und einer Auflage von knapp 350.000. Es gibt Anzeigen und Plakate, zum Beispiel als Großposter auf 30 Quadratmetern an der Uni Aachen. Die Sichtbarkeit auf dem Campus ist beinahe so wichtig wie in Social Media.

Haridi: Und wir haben einen Deal mit den Öffentlich-Rechtlichen bei ARD Alpha, dem Bildungskanal. Dabei geht es nicht um Geld, wir sehen unsere Correspondents als Kapital. Wir wollen Reichweite und Qualität steigern, aber die Authentizität bewahren: Unsere Studenten machen Videos, laden die auf den ARD-Server, und beim BR machen Cutter daraus tolle kleine Filme. So trifft authentisches, kostenloses Material auf Profischnitt, und beide Partner verdoppeln die Reichweite, weil die Filme, die auf dem Handy am anderen Ende der Welt entstanden, sogar im Fernsehen ausstrahlbar werden.

Und was sieht man da?

Lange: Man begleitet Dominik aus Frankfurt nach Australien, wo er vom Unialltag berichtet: Er zeigt verschiedene Study Zones in der Bibliothek, die Restaurantketten, die die Mensa ersetzen, den Moot Court, in dem Jurastudenten Gerichtsverhandlungen nachstellen, und berichtet über Prüfungsarten vor Ort.
Gab es auch mal unangenehme Überraschungen?

Lange: Ab und zu entfernt sich mal ein Correspondent zu sehr von der Home Base und ist tagelang nicht auffindbar, da haken wir dann schon mal nach, ob alles ok ist. Verabredet sind eigentlich drei Posts pro Woche – das kann aber auch einfach nur mal ein Foto bei Instagram sein.

Gab es auch Kritik an der Kampagne?

Haridi: Wir haben nicht nur Zustimmung bekommen im Hochschulbereich: „Was hat das mit Information zu tun?“, „Wo bleibt die Ernsthaftigkeit?“, „Seid ihr die steuergeldfinanzierte Fun-Factory?“ Aber in den Beiträgen sieht man, dass es den Widerspruch nicht gibt: Entertainment plus Information gehen gut zusammen.

Die Kritik muss man aushalten. Dafür haben wir uns während des Vergabeprozesses viele Kollegen an Bord geholt, um sie mitentscheiden zu lassen. Wer dabei war und das Wort nicht erhob, kann sich hinterher nicht beschweren.

Inzwischen spreche ich direkt die Hochschulen an, stelle die Kampagne detailliert vor. Wenn Alina in Teheran von der Uni Marburg kommt, bekommt die eben einen RSS-Feed und kann damit werben.

Gibt es eine ähnliche ­Kampagne auch im Ausland?

Lange: Ich hab noch keine gesehen.

Haridi: Es wird ja erst seit den 90er Jahren überhaupt über Marketing an deutschen Hochschulen gesprochen, vorher dachte man: Wer nicht kommt, hat was verpasst, und wer es nicht schafft zu gehen, ist selbst schuld. Inzwischen gibt es fast überall Out­going-Initiativen, in Holland, Skandinavien und den USA ist das Auslandsstudium ein festgeschriebenes Ziel.
Wie hoch ist das Budget?

Haridi: Wir vergeben öffentliche Mittel mit deutlich mehr als einer halben Million Euro pro Jahr und einer Laufzeit von bis zu vier Jahren. Das mussten wir europaweit ausschreiben.
Was sind Ihre KPI?

Haridi: Wir monitoren die Kanäle und machen monatliche Auswertungen. In Bezug auf unser Online-Marketing-Budget lernen wir noch und sind im ersten Jahr im Experimentierbereich. Künftig wollen wir die Akzeptanz noch systematischer erfassen, vor allem das Echo der Hochschulen und Studierenden.

Lange: Bisher ging es erst einmal darum, die Kampagne zu etablieren, Verständnis und Reputation zu verstärken. Aber wir wollen kommunikativ die Zielerreichung zur Erhöhung der Auslandsstudierenden unterstützen – auch wenn die vor allem abhängig sind von der Situation in den Ländern vor Ort, der Hochschulreform und vielem mehr.

Haridi: Von den 2,8 Millionen Studierenden in Deutschland zielen etwa 400.000 aufs Lehramt. Für uns wäre es auch ein Erfolg, wenn die Schulministerien der Länder ein Auslandssemester verpflichtend vorschreiben oder zumindest positiv – zum Beispiel bei der Vergabe eines Referendariats – anrechnen würden, anstatt den Studenten die Überschreitung der Regelstudienzeit zur Last zu legen.

Die Persönlichkeitsentwicklung von Lehrern ist wichtig für eine Gesellschaft, und vor dem Hintergrund multikultureller Klassen und der Geflüchteten sollten sie selbst erleben, Fremdheit zu erleben und zu gestalten.

Und als Nächstes?

Haridi: … wollen wir weiter lernen. Und aus den zurückkehrenden Correspondents Botschafter machen: Der Startschuss fällt im Sommer, wenn wir 60 von ihnen weiterentwickeln, um an Schulen und Hochschulen Vorträge zu halten und so Online mit dem persönlichen Kontakt zu verbinden.

Lange: Die Rückkehrer bleiben der Multi­channel-Kampagne verbunden, wir können sie an Schulen oder Unis schicken für einen 1:1-Austausch. Die Content-Maschine wird immer größer, wir können uns gegen den Erfolg also gar nicht wehren. (lacht)

Wenn Sie heute noch einmal studieren könnten, würden Sie etwas anders machen?

Haridi: Ich habe in meinem Studium Ende der 80er eine Mischung aus Leidenschaft und Vernunft gewählt: Islamwissenschaft war damals recht abwegig, aber ich wollte es unbedingt. Jura war dann eher eine Kopfentscheidung.

Heute würden Sie mit der ­Mischung vermutlich eher beim Geheimdienst landen …

Haridi: Dafür bin ich zu mitteilsam.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe FÜHRUNG. Das Heft können Sie hier bestellen.

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