"Es muss um Geld gehen. Und um Bestrafung."

Compliance ist das neue Grün

Herr Güttler, brauchen ­Unternehmen überhaupt eine ­Haltung?
Alexander Güttler: Die Frage, ob sie eine brauchen oder nicht, ist ehrlicherweise egal. Sie haben so oder so eine. Jedes Unternehmen, ob VW als Weltkonzern, dessen Haltung grade zu kollabieren scheint, oder der Schreiner um die Ecke: Alle werden von außen so oder so wahrgenommen. Sie können eine ­Haltung dabei nicht umgehen.
Wenn Sie Haltung googeln, landen Sie zunächst bei Körperhaltung, dann beim inneren Gleichgewicht. Das ist schon mal ganz schön. Und dann kommt „Gesinnung“ im Sinne von Contenance, also der Gelassenheit in schwierigen Situationen. So wie wir nicht nicht kommunizieren können, existieren wir nicht ohne eine Haltung.
Das gilt auch für Unternehmen. Dessen Gesinnung zeigt sich schlicht darin, wie es sich verhält. Wie es Preise setzt, ob es sich an Gesetze und Regeln hält, also compliant ist – oder eben nicht.
Wie wird Haltung sichtbar?
Sie können sie dem Gemenge der ­Zufälle überlassen oder versuchen, sie zu steuern.
Ist die Steuerbarkeit ­realistisch?
Die Beherrschbarkeit von Großunternehmen ist eine absolute Illusion. Wenn Ihnen jemand etwas anderes erzählt, halte ich das für komplett verlogen.
Woran scheitern wir?
Ich glaube, wir Menschen können die Dinge ab einer gewissen Komplexität nur noch rudimentär steuern. Mir kann niemand erzählen, dass er eine durchgehende Kultur in einem 600.000-Mann-Laden etabliert. Ich halte ­allerdings den Versuch, das zu tun, für sehr ehrenwert.
Gibt es eine Gefahr beim ­Haltungzeigen?
Ehrlicherweise nein. Die strategische Haltung ist schlicht meine Unternehmenskultur. Und die zeigt sich am Ende hoffentlich auch darin, was Dritte wahrnehmen können. Ich habe mal gelesen, dass meine Haltung, Gesinnung oder Kultur nichts anderes ist, als der Abgleich zwischen meiner Raison d’Être, also meiner sozialen Daseinsberechtigung, und den Interessen meiner Stakeholder. Ihre Mitarbeiter, Führungskräfte, staatlichen Autoritäten, die Politiker und ganz besonders: ihre Kunden – die schauen eh alle auf sie.
Bei VW konnte man sich zum Beispiel vor einiger Zeit sicher schnell auf das Thema Nachhaltigkeit einigen. Ab einer bestimmten Unternehmensgröße ohnehin ein immer gern genommener zentraler Wert. Noch vor ein paar Wochen, hätten wir Volkswagen als Unternehmen eingeschätzt, das dieses Thema sehr ernst nimmt, es geradezu vorlebt.
Was ich damit sagen will ist: Man muss stets vorsichtig sein, welche Realität man selbst verfasst hat und welche tatsächlich erlebbar ist. Sobald die beiden Realitäten voneinander abweichen, haben Sie ein Problem.
Haltung zu zeigen ist für Unternehmen deshalb nicht gefährlich, weil es nicht um abstraktes Gutmenschentum an sich geht, sondern um das halbwegs sozial verträgliche Durchsetzen meiner Interessen. Diese Haltung haben alle Unternehmen auf der Erde, diesen Eigennutz kann ich ja nicht verschweigen. Gefährlich wird es nur dann, wenn man den Ball viel zu hoch schießt und glaubt, man könne das allein durch Worte – und nicht durch ­Taten – regeln.
Und wenn es schief geht?
Eine Haltung kann im Einzelfall immer mal ein bisschen Schaden nehmen. Aber bitte nur bei einzelnen Stakeholdern. Denn sie ist ein Abgleich zwischen Ihren Zielen und dem Kranz der Personen, die ein Interesse an Ihnen haben. Von der Financial Community bis zu den Anwohnern ihres Werks. Wenn die sich aufregen, weil ihre Autos neben der ­Fabrik immer mit gelbem Staub überzogen sind, kann das nicht in Ihrem Interesse liegen. Selbst wenn Sie das langfristig profitabel macht.
Macht vor diesem Hintergrund die freiwillige Selbstkontrolle im DRPR dann noch Sinn oder ist das eher eine Art Selbst­beruhigung nach dem Motto „wir sind die Guten“?
Nein, sie macht unbedingt Sinn. Jeder Markt versucht doch, einschätzbar zu sein. Nicht nur, weil man darin sicherer Geld verdienen kann. Durch die Kontrollorgane entsteht Öffentlichkeit. Und wenn ich fürchten muss, dass meine Karriere stockt, weil mein Chef liest, dass ich für eine Kampagne eine halbe Million Facebook-Follower gekauft habe, und das schlechte Presse gibt, ist das sogar gut für den Markt und die Reputation seiner Teilnehmer.
Wir versuchen idealerweise, unser System selbst zu kontrollieren. Und schaffen uns als Unternehmen eigene Kontrollsysteme, weil wir ungern Regeln von anderen befolgen. Das ist weltweit ein gängiges Thema, das mal gut und mal weniger gut funktioniert. Je besser sie ihre Regeln intern umsetzen, desto weniger Probleme gibt es dann von außen.
Brauchen wir also doch mehr Vorgaben von außen?
Da sind wir beim Stichwort Compliance-­Management-Systeme in großen Unternehmen. Viele führen die seit Jahren ein, aber sie werden damit niemals den menschlichen Willen des Eigensinns komplett bändigen können. Solange derjenige den schnelleren ­Geschäftsabschluss und die bessere ­Karriere machen will.
Auch das beste Compliance-Management-System der Welt hilft nichts, wenn die Zentrale nicht genau in die Niederlassungen und Töchter hineinguckt. Am Ende entscheidet immer die Kultur der Peer Group. Wenn es irgendwo erlaubt ist, zu schmieren, wird eben geschmiert – ganz egal, was im Geschäfts­bericht, im Code of Conduct oder im ­Leitbild steht.
Man muss sich also ­immer ­bewusst sein, dass ein ­Einzelner Vision, Mission und Leitbild ruinieren kann?
Ja. Sie müssen so stark wie möglich ­dafür sorgen, dass die offiziellen und die internen Spielregeln so weit wie möglich harmonisiert werden.
Wie macht man das?
Das ist banal, Sie müssen sich nur zwei Fragen stellen. Erstens: Entsprechen mein Gehaltsgefüge und mein Incentivierungs-System dem, was die Führung in den Sonntagsreden verkündet?
Wenn Sie im Nahen Osten ein knallhartes Bonussystem mit brutalen Zielen einführen und das Vieraugenprinzip abschaffen, aber in jedem Büro die Compliance-Regeln als ­Poster aushängen, haben Sie ihre Leute ­verarscht. Denn es wird sich immer durchsetzen, ­wonach die ihr Gehalt bekommen.
Die zweite wichtige Frage ist: Wie machen meine Mitarbeiter Karriere? Wenn Sie Leute befördern, weil sie wirtschaftlich erfolgreich sind, von denen aber jeder weiß, dass sie sich nicht an die Regeln halten, haben Sie mit dieser einen Entscheidung die Haltung ­deutlicher gezeigt, als mit 27 Artikeln in der Mitarbeiter­zeitung.
Sind Sanktionen bei ­Fehlverhalten erlaubt?
Unbedingt! Alle reden immer von Führung über Positives, aber in gute Compliance-­Management-Systeme gehört auch Bestrafung. Verhalten muss spürbare und sichtbare Folgen haben. Bei einer guten, ­öffentlichen Bestrafung hat jeder kapiert: Die meinen es ernst.
Schon meine Oma hat immer gesagt: „An den Taten sollst Du sie erkennen“.
Ich hab drei Kinder und kann Ihnen ­sagen: Das stimmt. (lacht)

Illu: Mona Karimi

Illu: Mona Karimi

Wie kommuniziere ich im ­Unternehmen die Haltung dann erfolgreich?
Das Papier dazu wird bei den meisten Unternehmen auf der Welt ganz ähnlich aussehen. Das Beschreiben an sich ist keine Raketenwissenschaft. Das kann ein guter Vorstand auch alleine, dafür braucht er keinen Kommunikator.
Selbst wenn der Prozess zwei Jahre dauert und Bottom-Up geführt wird, ist das Ergebnis vermutlich gleich. Der wahre Mehrwert ist doch, dass sich die Mitarbeiter eingebunden fühlen und sensibilisiert werden. Die Kommunikation ist bei all dem nur prozessbegleitend. Je bescheidener sie dabei auftritt und je weniger sie tönt, desto erfolgreicher ist sie intern, auch international.
Viel wichtiger ist da HR, die klären muss: Wie findet Bonifikation statt? Wie finde ich ein sinnvolles Gehaltsgefüge? Wie kriege ich meine Prämie? Und wie machen Menschen bei uns Karriere? Ich fände es auch großartig, wenn der deutsche Kommunikationskodex offiziell die Anlage zu Arbeitsverträgen für Mitarbeiter in Kommunikationsabteilungen wird. Wenn ein Fehlverhalten gegen den Kodex Kündigungen auslösen kann, muss ich mich damit auseinandersetzen. Außerdem: Kein Kodex ist in Stein gemeißelt, der Austausch darüber ist gewollt.
Haben Sie ein Positivbeispiel aus einem Unternehmen für Gehälter mit Haltung?
Ich kenne einen Pharmakonzern, der gerade spürbare Anteile von den Prämien seiner Außendienstmitarbeiter von ihrem ­Compliance-Verhalten abhängig gemacht hat. Da gibt es jetzt einen direkten Zusammenhang zwischen den Werten und dem Portemonnaie des einzelnen Mitarbeiters. An diesen Punkten zeigt sich, wie ich als Unternehmen Führung wirklich sehe. Da steckt die Wahrheit. Es muss um Geld gehen. Und um Bestrafung.
Wie wichtig ist dabei der Chef als Vorbild?
Essenziell. Wer in seiner Komfortzone bleibt und im Haus nie für seine Mitarbeiter sichtbar ist, darf nicht über Nähe als Ziel ­reden. Wenn du Nähe willst, musst du sie ­leben. Wenn du das nicht kannst, musst du dir Kollegen ­suchen, die das besser können als du. Ganz einfach.
Wenn ich einen Vertriebsleiter im Ausland habe, der Probleme macht und ich lasse ihn trotzdem laufen, ist es doch vorhersehbar, dass mir das drei Jahre später um die Ohren fliegt. Das darf mich nicht erstaunen.
Und darüber hinaus?
Unternehmen brauchen auch Hinweisgeber-, beziehungsweise Whistleblower-Systeme. Das hat nichts mit Petzen zu tun, sondern mit Transparenz. Die Peergroup muss die Möglichkeit haben, sich zu äußern. Whistleblower sind ja keine Verräter, sondern manchmal die einzigen mit Rückgrat. Irgendwo muss deren Mut ja herkommen und Whistleblower haben auch immer eine emotionale Basis zu ihrem Job. Das ist etwas Gutes und Schützenswertes. Nicht umsonst spricht ja auch das Compliance-­Management von „Whistleblower Protection“.
Tue Gutes und rede drüber – gilt das gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskrise auch für deutsche Unternehmen?
Diese Kultur ist im angelsächsischen Raum viel weiter verbreitet: Dort sind Unternehmen der Allgemeinheit stärker verpflichtet. Was aber auch daran liegt, dass dort die ­Sozialsysteme anders funktionieren als bei uns.
Aber auch in Deutschland ist es inzwischen völlig okay, aus der Kommunikation ­sozialer Projekte eine Win-Win-Situation zu machen. Das zeigt auch die neuere Fachliteratur. Aber der Spaß beginnt immer Zuhause. Ob Umwelt- oder Arbeitsschutz, Gleichberechtigung oder CSR – man darf da nicht nur Sahnehäubchenprojekte kommunikativ nach vorne spielen.

Illu: Mona Karimi

Illu: Mona Karimi

Gibt es in Deutschland zu viel oder zu wenig solcher ­Sahnehäubchen?
Ach, Sahnehäubchen können wir ganz gut. Irritierend ist manchmal nur die Diskussion darüber: Da überlegt sich einer, er will ein CSR-Projekt im Umweltschutz machen und sie sehen als Berater noch die alten Leuchtstoffröhren an der Decke.
Aber es tut sich viel, seit alle wissen, dass ab 2016 europaweit eine neue Berichtspflicht zur Nachhaltigkeit gelten wird. Da werden jetzt alle wach und haben die großen CSR-Themen eh im Fokus. Ich glaube, Compliance wird das neue Grün.
Aus Ihrer Erfahrung im ­Beschwerdeausschuss des DRPR: Haben Sie ein ­besonders beeindruckendes Beispiel für ein Fehlen an ­Haltung für unsere Leser?
Ich möchte da keine Kampagne hervorheben. Aber das Grundkonzept der Fehlverhalten ist immer dasselbe: Die Unternehmen versuchen erst einmal, damit durchzukommen und solange sich niemand beschwert, ändert sich nichts. Wir verstehen uns da als Wächter der Transparenz und Absenderklarheit.
Es hat also noch nie ein Unternehmen vorher angerufen, um sich beraten zu lassen, ob ein Konzept Ärger geben könnte?
Anders: Manchmal fragt ein Mitarbeiter an, weil der Chef die Aktion unbedingt möchte. Von den Kampagnen haben wir nie wieder etwas gehört, weil sie gar nicht erst zustande kamen. Weil dem Kollegen klar ist: Wenn sie damit auffliegen, gibt es Ärger, und das nicht gerade in einem kleinen Maßstab. Auf den Rat können sich Kommunikatoren dann berufen.
Gibt es einen kleinsten ­gemeinsamen Nenner der ­häufigsten Fehler?
Ja, die sind seit vielen Jahren gleich: Es geht fast immer um mangelnde Transparenz und Absenderklarheit. Wo fließt das Geld? Was ist Schleichwerbung? Wo liegen die wahren Interessen hinter einer Kampagne? Wer nimmt da im Internet gerade einen umstrittenen Politiker in Schutz? Oh, hinter dem Nickname Micky Maus verbirgt sich sein eigener Referent? Das war nicht gut für seine Karriere. Absenderklarheit äußert sich auch in Klarnamen.

Illu: Mona Karimi

Apropos Internet: Ihr ­letzter Tweet ist vom 10. Oktober. 2012. Ist das Ausdruck ­Ihrer Haltung gegenüber ­Social ­Media?
Ertappt. Ja, ich finde Twitter langweilig und streite mich darüber mit Kollegen und meinen Kindern, die alle leidenschaftliche ­twittern. Ich schreibe lieber Beiträge und da ist der letzte auf unserer Website erst wenige Tage her. Ich mag die längeren Stücke ­lieber. (lacht)

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Haltung – Das Gute kommunizieren. Das Heft können Sie hier bestellen.

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