„Es geht um Präzision in der Sprache“

Political Correctness

Frau Vassiliou-Enz, warum brauchen wir eine politisch korrekte Sprache?

Konstantina Vassiliou-Enz: Jeder Mensch hat die freie Wahl, sich zu entscheiden, wie er kommuniziert. Dennoch sollte man sich Gedanken machen, ob die Wörter oder Formulierungen, die man benutzt, auch wirklich das vermitteln, was man sagen möchte. Und wenn man andere Menschen eben nicht mit voller Absicht ausgrenzen oder verletzen möchte, hilft politisch korrekte Sprache.

Die „Neuen Deutschen Medienmacher“ haben 2014 ihr erstes Glossar zu politisch korrekter Sprache herausgegeben. Was war der Auslöser?

Die Morde der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Als bekannt war, dass es Neonazis waren, die gemordet hatten, kursierten in der Berichterstattung immer noch Begriffe wie „Dönermorde“. Wir entwickelten daraufhin Formulierungshilfen mit vier oder fünf Begriffen, die damals in den Medien verwendet wurden. Wir wiesen darauf hin, dass da keine Döner, sondern Menschen ermordet wurden. Und dass in unseren Augen das Motiv „Fremdenfeindlichkeit“ in der Berichterstattung eine Täterperspektive beschreibt. Die Toten waren ja nicht Fremde wie Touristen. Sie haben alle seit vielen Jahren in Deutschland gelebt.

Was war Ihrer Meinung nach die korrekte Bezeichnung?

Wir empfahlen, das Motiv als rassistisch oder rechtsextremistisch zu benennen. Unsere Formulierungshilfen wurden damals heftig diskutiert, woran sich zeigte, dass hier großer Bedarf besteht. Einfach weil wir alle unter Zeitdruck arbeiten und oft Formulierungen übernehmen, ohne uns groß Gedanken über ihre Wirkung zu machen.

Wer legt bei Ihnen fest, was politisch korrekt ist?

Mehr als zwei Jahre lang entwarfen wir das Glossar zusammen mit Leuten aus Wissenschaft und Verwaltung, aus verschiedenen Communitys und natürlich mit vielen Journalisten. Wir diskutierten zuerst darüber, wo und bei welchen Themen es überhaupt Schwierigkeiten mit Formulierungen und Bezeichnungen gibt und warum Betroffene damit ein Problem haben. Dann überlegten wir uns alternative Begriffe. Daraus entstand das Glossar, das wir immer wieder mit Experten überarbeiten und erweitern.

Gibt das Glossar nun vor, was sprachlich richtig und was falsch ist?

Das kann man so sehen. Es geht ja häufig nicht nur um „Political Correctness“, sondern um Präzision in der Sprache. Also warum es zum Beispiel nicht richtig ist, pauschal von Migranten zu sprechen, wenn Leute mitgemeint sind, die nie migriert sind. Unsere Absicht ist es eher, Orientierung und Einblicke zu geben, um zu verstehen, wie manche Bezeichnungen bei den Leuten ankommen, die damit beschrieben werden. Das hilft, damit diese sich adäquat angesprochen und nicht diskriminiert fühlen.

Im Grunde eine Selbstverständlichkeit.

Ja, aber im Arbeitsalltag kann man eben oft nicht die Konnotation und Aussage eines jeden Wortes gründlich recherchieren. Darum wollen wir Hilfestellung und Impulse geben. Was ist das eigentlich für ein Begriff? Was sagt der genau aus? Hinterfrage ich bestimmte Formulierungen? Oder übernehme ich die einfach?

Inwieweit sind die Formulierungshilfen für Kommunikatoren wichtig?

So wie ich spreche oder schreibe, nehmen mich die Menschen wahr. Das gilt auch für Unternehmen. Der Markt ist globaler und komplexer geworden. Zielgruppen werden wählerischer und unterschiedlicher. Man erreicht sie besser mit empathischer, diversitygerechter Kommunikation. Eine gelungene Ansprache spiegelt Empathie, Sorgfalt und Offenheit wider. Das sichert die Erreichbarkeit und damit auch Marktzugänge.

Sind Unternehmen, die politisch korrekt kommunizieren, als Arbeitgeber attraktiver?

Definitiv. Weltoffene Unternehmen haben bessere Chancen, qualifiziertes Personal zu finden, und die Leute bleiben auch länger. Eine offene und wertschätzende Kultur ist laut Studien der wichtigste Bindungsfaktor, und 80 Prozent der Menschen bleiben mindestens drei Jahre bei dem Arbeitgeber, dem sie sich verbunden fühlen. Das hat auch eine entsprechend positive Außenwirkung.

Man öffnet sich also für neue Zielgruppen?

Alles andere wäre unwirtschaftlich. Alleine hierzulande hat fast jeder Vierte einen Migrationshintergrund, also fast 20 Millionen Menschen. Wenn Unternehmen und Medienschaffende diese Gruppe nie ansprechen und ihre Themen sich in den Medien nicht wiederfinden, lassen sie eine sehr große Zielgruppe links liegen.

Unternehmen werden multikultureller und globaler. Gleichzeitig wird diskutiert, ob sie politisch Haltung beziehen sollten. Muss sich wirklich jedes Unternehmen politisch äußern?

Das ist jedem Unternehmen selbst überlassen. Sie sind schließlich in erster Linie daran interessiert, Geld zu verdienen. Trotzdem trägt jeder Betrieb eine gewisse Verantwortung – gegenüber Mitarbeitern, die zur Wirtschaftlichkeit beitragen, aber auch gegenüber der Gesellschaft und dem Land, in dem er agiert. In Deutschland unsere Verfassung hochzuhalten, halte ich da für selbstverständlich. Letztlich ist ein Wirtschaftsbetrieb zwar nicht dazu verpflichtet, aber fürs Image kann das nur gut sein. Wenn ich mir ein Unternehmen mal als Person vorstelle, dann wirkt sie schon wesentlich sympathischer und anziehender, wenn sie Weltoffenheit, Gerechtigkeit und demokratische Werte hochhält.

Was können Kommunikatoren tun, wenn sie merken, dass sich Mitarbeiter fremdenfeindlich äußern?

Es kommt sehr auf den Einzelfall an. Grundsätzlich rate ich Unternehmen, Leitsätze zu entwickeln, die verdeutlichen, dass beispielsweise Menschenfeindlichkeit im Unternehmen keinen Platz hat. Darauf kann man sich berufen und entsprechend handeln. Wichtig ist es, Vielfalt, Toleranz und Akzeptanz vorzuleben als selbstverständlichen Teil der Unternehmenskultur. Man kann über Diversity- Workshops nachdenken, um die Mitarbeiter für das Thema zu sensibilisieren.

Kritiker wie der Journalist Josef Joffe befürchten, dass Political Correctness eine reale Gefahr für die freie Gesellschaft sei.

Es kann schon sein, dass es Hemmungen gibt, bestimmte Dinge zu sagen. Aber: Warum sollte man denn hemmungslos Leute mit abwertenden Begriffen belegen wollen? Dass unsere Gesellschaft und damit auch unsere Sprache sich entwickeln, ist ganz normal. In den Fünfzigerjahren war es beispielsweise üblich, eine unverheiratete Frau als „Jungfer“ zu bezeichnen und „Fräulein“ zu sagen. Und wenn eine Frau sexuelle Gewalt erfahren hatte, war sie zu damaliger Zeit ein „Flittchen“. Heute würde das niemand sagen können, ohne sofort Kritik zu ernten.

Wehren sich heutzutage Menschen mit Migrationshintergrund schneller, wenn sie sich sprachlich diskriminiert fühlen?

Ja, meiner Erfahrung nach schon. Vor allem die junge Generation ist heute selbstbewusster. Viele leben schon in der zweiten und dritten Generation in Deutschland und fühlen sich selbstverständlich zugehörig. Mittlerweile sind sie auch sichtbarer, in Medien und Öffentlichkeit oder in den Sozialen Medien. Zudem wird die Gruppe der Menschen mit internationaler Geschichte hier immer größer. Das alles führt dazu, dass die Leute den berechtigten Anspruch erheben, nicht diskriminiert zu werden, auch sprachlich.

Was raten Sie Unternehmen, die mit Hass im Netz zu kämpfen haben?

Zeigt Haltung! Das kann eine starke Community anziehen, die die eigene Haltung schätzt. Ein Unternehmen sollte bereit sein, sich zu erklären, klare Werte zu vermitteln und auch andere zu Wort kommen zu lassen. Dafür braucht es eine gute Moderation auf den Social-Media-Kanälen, aber auch eine deutliche Positionierung. Da komme ich auf Ihre Frage von vorhin zurück. Gerade im Netz ist es fast unmöglich, nicht politisch zu sein. Aber Shitstorm ist nicht gleich Shitstorm. Man muss vor allem erstmal herausfinden, wer dahintersteckt.

Sie sprechen von organisierten Shitstorms.

Genau. Es ist oft nur eine kleine Gruppe von Leuten, die einen solchen Angriff koordiniert und orchestriert und die einen aufgeblähten Shitstorm verursacht. Das ist durch einfach manipulierbare Mechanismen im Netz leicht möglich und spiegelt nicht die Meinung vieler Menschen wider. Es ist der Versuch einer Minderheit, die öffentliche Debatte zu verfälschen. Das kommt häufiger vor, als man denkt. Schon deshalb sollte ein Unternehmen solche Manipulationen aufdecken und transparent machen.

Im vergangenen Jahr wurde das Gesetz zum dritten Geschlecht verabschiedet. Darf man überhaupt noch „Sehr geehrte Damen und Herren“ schreiben?

Es ist durchaus möglich, wirklich alle Menschen adäquat anzusprechen. Das passiert ja schon an vielen Stellen. Man spricht längst von „Studierenden“ statt von „Studenten und Studentinnen“. Wir nutzen inzwischen den Begriff „Medienschaffende“ oder eben „Medienmacher*innen“. Fakt ist: Es gibt Männer, Frauen und Menschen, die sich mit keinem der beiden Geschlechter identifizieren. Das Sternchen drückt aus, dass Platz für alle Geschlechter ist. Wer Leute ausschließen möchte, spricht und schreibt eben weiter so, als gäbe es nichts als Männer auf der Welt.

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe VERANTWORTUNG. Das Heft können Sie hier bestellen.

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