Nicht im warmen Büro verstecken

TV-Statements

Seit Mittwochabend streikt die Lokführergewerkschaft GDL. Es ist bereits die fünfte Arbeitsniederlegung in den aktuellen Tarifverhandlungen. Insbesondere in Streik-Zeiten sieht man Anja Bröker und Achim Stauß fast täglich in den Hauptnachrichtensendungen. KOM sprach mit den Konzernsprechern der Deutschen Bahn über ihre Arbeit. Das Gespräch fand Ende Januar statt. Zwei Tage zuvor hatte die GDL zu einem sechstägigen Streik aufgerufen.

Herr Stauß, wie viel Spaß macht es, morgens um sieben Uhr am Berliner Hauptbahnhof zu stehen und Millionen Menschen zu erklären, dass für sie bahntechnisch so gut wie nichts mehr geht?

Stauß: Spaß ist nicht ganz die richtige Beschreibung für meine Gefühle morgens um sieben am Bahnhof, zumal ich dann merke, dass auch unsere Fahrgäste gerade nicht so viel Spaß haben. Aber es ist eine riesige Chance, wenn man durch ein Statement vor fünf bis sechs Kamerateams, die zum Teil live übertragen, mit relativ geringem Aufwand fast ungefiltert Millionen Menschen erreichen und Stimmungen beeinflussen kann. Es ist auch die Gelegenheit, einem Tarifkonflikt, der vielschichtig und zum Teil juristisch ist, ein menschliches Gesicht zu geben. Und nicht zu vergessen die vielen Beschäftigten der DB und deren Familien unter den Zuschauern, die noch genauer hinhören als der Durchschnitt. Deswegen versuchen wir, immer auch eine Botschaft für sie unterzubringen.

Welche Rolle spielt die Uhrzeit? Häufig laden Sie zu sieben Uhr morgens ein.

Bröker: Die Uhrzeit ist wichtig. Sieben Uhr ist bewusst gewählt, weil wir wissen, dass wir so in die Frühsendungen im Radio und Fernsehen kommen. Wir setzen auf diese Weise unsere Botschaften für den Tag. Das frühe Aufstehen lohnt sich.

„Viele fühlen sich ­berufen, Diskussionen mit ihren Beiträgen zu bereichern.“

Ihnen geht es also schon darum, Reichweite zu erzielen und gehört zu werden? Sie könnten auch den Ansatz wählen: Die Situation ist für uns unangenehm. Wir gehen jetzt in Deckung.

Stauß: Wenn wir nicht reden, reden andere über uns. Das ist das Besondere an der Bahn: Viele fühlen sich berufen, Diskussionen mit ihren Beiträgen zu bereichern. Das ist auch okay. Wir sind nun mal ein Unternehmen, das stark wahrgenommen und genutzt wird. Umso wichtiger ist es für Anja und mich, einen Gegenpol zu bilden, komplexe Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen und verständlich zu machen, ohne dabei unzulässig zu vereinfachen.

Der Ort, an dem Sie am häufigsten stehen, ist der Berliner Hauptbahnhof.

Bröker: Ein Bahnhof ist ein geeigneter Ort, um unsere Position zu erklären. Hier spielt sich alles ab. Ich stand vor kurzem bei einem Live-Interview für das ZDF-Morgenmagazin an einem kleinen Bahnhof: in Cottbus. Es ist wichtig, dass man nicht irgendwo in einem warmen Büro sitzt, sondern dort, wo das Leben spielt. Am Bahnhof lässt sich die Situation gut beschreiben und erklären, wie wir mit ihr umgehen. Was machen wir als DB? Wie funktioniert der Notfahrplan? Aber auch, um zu sagen, dass es uns nicht egal ist, wie es den Fahrgästen geht. Diese empathische Note ist mir wichtig.

Stauß: Zu Empathie gehört auch, am Bahnhof die Stimmung zu spüren: Wie geht es den Reisenden, aber auch unseren Mitarbeitenden? Wir schauen immer mal bei den Servicekräften an der DB Information vorbei oder sprechen mit dem Sicherheitspersonal. Diese Stimmung macht etwas mit uns. Wir verstecken uns nicht im warmen Büro. Als mal ein Schneesturm den Fahrplan durcheinanderbrachte, stand Anja beim TV-Interview draußen im Wind. Der Schnee wehte fast waagerecht auf sie zu.

Wenn Sie morgens um sieben Uhr ein fertiges Statement präsentieren. Wann genau entwickeln Sie das? Wie viel Vorbereitung brauchen Sie dafür?

Bröker: Für heute früh (Anmerkung: am Tag vor dem Sechs-Tage-Streik der GDL) habe ich gestern am späten Nachmittag angefangen, mir zu überlegen, was die Botschaften sein könnten. Hätte der Streik in der letzten Nacht begonnen, hätte ich heute um fünf Uhr noch einen Call gehabt, in dem wir die betriebliche Lage abklären. Wir haben in ganz Deutschland Kolleginnen und Kollegen, die uns beispielsweise sagen, wie die Stellwerke besetzt sind, wo es Störungen gibt und wie es mit dem Notfahrplan läuft. Daraus entstehen die aktualisierten Botschaften. Um sechs Uhr geben wir bereits O-Töne für Radiosender an dpa-Audio: drei Fragen, drei Antworten zur Lage am Morgen – einfach ins Smartphone gesprochen und per Mail verschickt. Um sieben Uhr ist dann das Fernsehstatement am Bahnhof dran.

Wer gehört zu Ihrem Team? Wer unterstützt Sie bei Ihrer Arbeit?

Bröker: Wir kommen aus verschiedenen Bereichen der DB-Kommunikation, zum Beispiel Personenverkehr und DB Cargo. Im Streikfall spielt das Personalteam eine entscheidende Rolle, das den direkten Draht zum Vorstand hat. Wir stimmen gemeinsam im Newsroom ab, wie die Lage im Regional-, Fern- und Güterverkehr ist und was wir kommunizieren. Auch wichtig: Wie sieht es auf den Social-Media-Kanälen aus? Was wird diskutiert? Welcher Hashtag trendet gerade? Dadurch setzt sich das Bild zusammen.

Stauß: Zur Unterstützung gehört auch, uns für Nachfragen zu wappnen. In der Regel gehen wir nach einem Statement nicht einfach weg, sondern ermöglichen noch eine Fragerunde. Das ist der schwierigere Teil. Wenn man das Statement draufhat, ist man auf der sicheren Seite. Wenn die Fragen kommen, die dann vielleicht noch live um sieben Uhr auf „Welt“ oder „n-tv“ übertragen werden, kann ein falsches Wort im schlimmsten Fall die Tarifauseinandersetzung negativ beeinflussen. Unerlässlich ist daher, dass unsere Chefin Nicole Mommsen uns das Vertrauen schenkt.

Was ist Ihre Strategie, wenn Sie eine Frage mal nicht beantworten können?

Stauß: Wenn eine Frage kommt, bei der klar ist, dass die Antwort eher etwas für den Hintergrund ist, muss man im Ungefähren bleiben. Das ist besser, als etwas auszuplaudern, was noch nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist. Wenn wir gerade in einer sehr sensiblen Phase eines Tarifkonflikts sind, könnte das ein Grund sein, ausnahmsweise keine Fragerunde zuzulassen.

Wenig los: Während der Streikphasen gibt es einen Notfahrplan. Viele Züge fahren gar nicht. © Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont

Wenig los: Während der Streikphasen gibt es einen Notfahrplan. Viele Züge fahren gar nicht. © Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont

Welche Medien sind bei so einem Statement um sieben Uhr morgens dabei?

Bröker: Die Fernsehsender – egal ob öffentlich-rechtlich oder ­privat – nehmen die Termine gerne wahr, weil sie O-Töne für den ganzen Tag bekommen. dpa kommt meist mit Text und Video. Dazu die Hörfunksender wie der Deutschlandfunk oder der RBB, Reuters, AFP und auch Korrespondenten ausländischer Medien.

Unser Eindruck ist, dass Sie, Frau Bröker, aktuell häufiger vor der Kamera zu sehen sind als Herr Stauß. Wie entscheiden Sie, wer den Teil vor den Kameras übernimmt?

Stauß: Die Regel ist, dass es in einer Streikphase nur ein Gesicht gibt. Das ist aktuell Anja. Bei den ersten GDL-Streiks im November und Dezember war ich es. 50 zu 50 würde ich sagen.

Bei Unternehmen läuft viel über schriftliche Anfragen und Antworten. Sie äußern sich live. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, dass Sie für die Deutsche Bahn vor die Kameras treten? Welche Tragweite muss eine Krisenlage haben?

Bröker: Das Wort „Lage“ hat es gut beschrieben. Das kann ein Extremwetter sein, für das wir Vorsorgemaßnahmen treffen müssen. Auch bei Streiks ist es wichtig, dass wir unsere Fahrgäste informieren. Diese „Lagen“ dauern meist mehrere Tage, so dass wir im Verlauf mehrere Statements machen – die auch auf unserem DB-Presseblog abrufbar sind. Die Journalisten wissen inzwischen, dass sie dort die Updates und Statements finden. Dadurch nimmt in unserer Pressestelle, die übrigens immer rund um die Uhr besetzt ist, der Anfragedruck ab.

„Es gibt kein Schema F, das festlegt, wann wir vor die Kameras treten.“

Wie definieren Sie eine „Lage“?

Stauß: Es gibt kein Schema F, das festlegt, wann wir vor die Kameras treten. Wir wägen jedes Mal ab. Beispiel Unwetter: Da lassen wir gerne auch mal anderen den Vortritt, denn Flughäfen und Straßen sind ja auch betroffen. Wenn nur wir Interviews geben, entsteht der Eindruck, die Bahn habe es besonders hart getroffen, selbst wenn es nicht so ist. Ich will aber nicht den Eindruck erwecken, dass wir nur bei Krisen gefragt sind. Die Themenfülle ist enorm: Preismaßnahmen, Zugpremieren oder auch ein Bahn-Spezial der „heute-show“.

In anderen Unternehmen äußern sich in Krisen häufig die CEOs. In dieser Streiksituation ist der Bereich Ihres Personalvorstands besonders betroffen. Warum treten Herr Seiler oder Bahn-Chef Lutz nicht vor die Kameras?

Stauß: Das tun sie schon. Unser Personalvorstand Martin Seiler war ein paarmal vor der Kamera. Als wir unser jüngstes Angebot vorgelegt haben, gab es eine gut besuchte Pressekonferenz mit ihm. Und wenn Richard Lutz in einer solchen Phase einen öffentlichen Termin hat, setzt auch er aus CEO-Perspektive unsere Botschaften.

Bei einem Gespräch im „Morgenmagazin“ erwähnte der Moderator, der Personalvorstand sei angefragt worden, aber stattdessen spreche er jetzt mit Ihnen, Frau Bröker. Finden Sie solche Aussagen unfair?

Bröker: Ich kann aus Sicht der Redaktion verstehen, dass sie gerne den Vorstand gehabt hätten. Es liegt aber in unserer Hand zu entscheiden, wen wir schicken. Ich fand es nicht nett, fühlte mich aber auch nicht unfair behandelt. Wir sind die Konzernsprecher und stehen Rede und Antwort.

Stellen Sie eine Art Schutzschild für Ihren Vorstand dar, indem Sie Kritik abblocken?

Stauß: Das sehe ich nicht so. Richard Lutz stellt sich auch schwierigen Themen. Ein Beispiel: Bei einer Veranstaltung zur Infrastruktur der DB war uns klar, dass man ihm in TV-Interviews auch Fragen zum Streik stellt. Das blocken wir dann nicht ab. Aufgrund der Fülle der Fernsehanfragen ist es sowieso nicht machbar, dass der Vorstand alles übernimmt. Und was wir in den Sammelstatements zum Streik sagen, sind ja weniger CEO-Botschaften, sondern oft ganz praktische Dinge: Wie lange gelten die Fahrkarten? Wie erfahre ich, welche Züge fahren?

Unsere Beobachtung ist, dass Sie in Ihren Statements meist eine Art Dreiklang anschlagen: Erstens: Sie beschreiben die Situation und die Folgen für die Fahrgäste. Zweitens: Sie kritisieren die Gewerkschaft. Drittens: Sie machen die Position der Deutschen Bahn deutlich. Inwieweit gibt es ein Schema? Was soll vorkommen in den wenigen Minuten Ihrer Statements?

Stauß: Neben tarifpolitischen Aussagen immer auch das Kundendienstliche. Eine Live-Übertragung bei einem Nachrichtensender ist eine fantastische Möglichkeit, den Fahrgästen aktuell Ratschläge zu geben.

Bröker: Meist sagen wir noch etwas zum Güterverkehr. So ein Streik hat nicht nur im Personenverkehr verheerende Folgen. Er hat auch Auswirkungen auf die Versorgung der Wirtschaft.

Stauß: Und wenn wir dann alle Themen handwerklich sauber durch Senken der Stimme trennen, kann sich jeder Sender das heraussuchen, was er braucht.

Herr Stauß, Sie haben gesagt, dass Sie in Ihren Statements versuchen, eine Botschaft nach innen zu senden. Warum?

Stauß: Unsere Kolleginnen und Kollegen haben es verdient, ihnen den Rücken zu stärken. Gerade in Krisensituationen sind sie mit viel Engagement und Herzblut dabei, was in der Öffentlichkeit oft nicht wahrgenommen wird. Nehmen Sie eine Streckensperrung nach einer Sturmnacht. Dann erzähle ich auch mal von unseren Reparaturtrupps, die die ganze Nacht bei Wind und Wetter unterwegs waren, um Oberleitungen zu reparieren. Eine solche Wertschätzung kommt bei allen gut an, die für die Bahn arbeiten. Und die Zuschauer, die nachts im warmen Bett gelegen haben, erfahren so, wer für sie draußen war.

„Wir haben die Lage im Griff, und das sollten wir auch ausstrahlen.“

Welche Grundatmosphäre wollen Sie für die Bahn erzeugen? Sie kennen die sonstigen Probleme der Deutschen Bahn nur zu gut.

Bröker: Wir möchten nahbar sein und nicht nur offizielle Verlautbarungen von uns geben. Das Empathische soll durchdringen, auch im Unterschied zu einem Gewerkschaftschef, der polarisiert und spaltet. Wir sind der Meinung, dass es auch verbal ein friedlicher Austausch bleiben sollte. Deshalb sprechen wir in einem ruhigen Ton. Und ganz wichtig: immer wieder erklären und so einfach wie möglich formulieren, so dass es jeder versteht.

Stauß: Ruhe ausstrahlen – das kann ich nur unterstreichen. Gerade bei Krisen muss man das Gefühl vermitteln: Wir haben die Lage im Griff, und das sollten wir auch ausstrahlen. Wenn wir nervös wirken, könnte man daraus schließen, dass die ganze DB gerade etwas durcheinander ist. Das wollen wir vermeiden.

Haben Sie das Gefühl, die Öffentlichkeit versteht, welche Rolle ein Konzernsprecher hat? Oder lassen Leute an Ihnen ihre Emotionen raus?

Stauß: Es gibt schon mal Verwechslungen zwischen Sprecher und Vorstand. Aber wenn ich mir vorstelle, wie viele Leute sehen, was wir sagen, dann ist die Zahl der negativen Rückmeldungen doch eher gering. Wir bekommen auch viel Zuspruch.

Sind Sie geschützt, wenn Sie am Bahnhof stehen?

Bröker: Wir geben dem Bahnhofsmanagement Bescheid, wenn wir Kamerateams eingeladen haben. Ein Team von DB Sicherheit sorgt dann dafür, dass niemand unabsichtlich durch das Bild läuft oder sich von den Mikrofonen angezogen fühlt.


Dies ist eine gekürzte Version des Interviews, das in der Ausgabe #Extern erschienen ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Extern. Das Heft können Sie hier bestellen.

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