Frau Pein, alle reden über Communitys – wie würde Sie die definieren?
Vivian Pein: Eine Community ist eine Gruppe von Menschen mit einem gemeinsamen Bezugspunkt. Das kann zum Beispiel ein gemeinsames Interesse, eine Marke oder ein demografisches Merkmal sein.
Die Gruppe muss also nicht virtuell sein, auch wenn sie heute meistens so verstanden wird.
Nein, wir definieren das nicht nach dem Kanal wie einer Facebook-Gruppe oder einem Online-Forum. Die Verbindung kann auch offline entstehen, und die Mitglieder tauschen sich zusätzlich online darüber aus. Umgekehrt habe ich es oft erlebt, dass sich die Bindung verstärkt, wenn sich eine virtuelle Gruppe persönlich trifft. Online fehlt das Nonverbale in der Sprache, man schätzt Menschen, und damit deren Äußerungen, nicht immer richtig ein. So ein Treffen offline hilft dabei, das eigene Bild eines Menschen mit der Realität abzugleichen. Das erleichtert dem Community Manager die Arbeit.
Man sagt ja, lachen verbindet. Und online sind manche Plattformen berühmt für den Humor ihrer Manager. Gar nicht so einfach, in rein schriftlicher Form, oder?
Glatter Humor ist Typsache, aber nicht das Problem. Aufpassen muss der Community Manager dagegen bei Ironie und Sarkasmus. Viele Menschen verstehen diese Spielarten der Sprache schlichtweg nicht, das macht so manchen Scherz zu einem gefühlten Angriff. Um die Zwischentöne zu verstehen, benötigt der Mensch Empathie und „Theory of Mind“, muss also in der Lage sein, sich selbst und anderen Personen Gefühle und Gedanken zuzuschreiben. Diese Fähigkeit haben weniger Menschen, als man denkt. Bevor ein Community Manager sich dieser Stilmittel bedient, sollte er entsprechend stets prüfen, ob seine Zielgruppe und insbesondere das Gegenüber Ironie und Sarkasmus versteht.
Helfen bei der Relativierung keine Icons?
Doch, aber auch die kann man ja unterschiedlich deuten: Ist ein Augenzwinker-Smiley relativierend gemeint, oder macht sich jemand über mich lustig? Die Kunst des Community Managers besteht darin, das Gegenüber einschätzen und die eigene Online-Sprache genau dosieren zu können.
Welche Communitys sollten für Kommunikatoren Prio 1 haben?
Das hängt von ihrer Strategie ab. Ich sollte mich immer am meisten mit denjenigen beschäftigen, die sich am meisten mit meiner Marke oder Organisation beschäftigen. Und Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, ist immer eine große Chance, gerade bei negativen Ereignissen. Nehmen wir mal ein Beispiel aus der Logistik, da gibt es in der Regel viel „Gesprächsbedarf“ aus der Community – und der ist nicht immer positiv. Das ist aber gleichzeitig eine große Chance, denn jedem Beschwerdeführer kann noch geholfen werden. Dabei zeigt sich immer wieder: Der größte Fan ist ein Kritiker, dem man geholfen hat.
Weil das doppelt auf die Bindung einzahlt?
Genau, in einer Problemsituation macht es einen großen Unterschied, ob ich im Stich gelassen werde oder ob mir jemand schnell und kompetent hilft, oder zumindest versucht zu helfen. Der Nutzer fühlt sich gehört und das wird positiv konnotiert. Ein richtig guter Community Support kann hier eine Menge rausreißen.
Aber Trolle füttern wir damit in falscher Währung.
Trolle sind in der Regel nicht an einem Dialog interessiert, sondern wollen die Kommunikation innerhalb einer Community stören. Aber nicht jeder negative Nutzer ist gleich ein Troll. Der Community Manager muss also erst einmal evaluieren: Habe ich hier einen klassischen Störenfried, hat die Person in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit uns gemacht oder einfach Langeweile? Je nach Antwort muss der Community Manager anders reagieren. Im mittleren Fall hilft es beispielsweise, mit demjenigen in einen nichtöffentlichen privaten Kontakt zu treten und ohne Publikum nachzuhaken. Ich habe so einen Fall selbst erlebt, ein Nutzer kritisierte jeden Schritt des Community Managements und machte uns viel Arbeit. Irgendwann schrieb ich ihn direkt an und fragte, was eigentlich los sei. Es kam heraus: Er hatte zwei Jahre zuvor schlechte Erfahrungen mit einem Kollegen gemacht, übrigens genau wegen nichtverstandenem Sarkasmus. Der Kollege war längst nicht mehr im Unternehmen, aber der Nachhall war gewaltig. Ich hab mich dann in dessen Namen entschuldigt und den Troll zu einem unser Offline-Treffen eingeladen, auf dem wir uns persönlich kennenlernten. Danach war der Ton ein komplett anderer. Einen echten Troll zu sperren, bringt übrigens leider oft wenig – die kommen schnell mit einem neuen Profil und noch motivierter zurück.
Hilft also der Trick, sich den Feind durch Nähe zum Freund zu machen?
Einige Unternehmen machen das ganz gezielt: Sie laden ihre größten Kritiker einmal im Jahr zu sich ein und diskutieren die Kritikpunkte. Wenn sich jemand noch die Mühe macht, uns zu kritisieren, hat er doch noch eine Verbindung zu uns, da lohnt sich das Hinschauen.
Jenseits der Abgrenzung gegen das persönlich Gemeintsein: Welche menschlichen Eigenschaften braucht ein guter Community Manager?
Das wichtigste ist Empathie. Er muss in der Lage sein, zwischen den Zeilen zu lesen, Dinge zu sehen, die nicht explizit aufgeschrieben sind. Ein guter Community Manager hat ein feines Gespür für Stimmungen und Bedürfnisse seiner Community und weißt, wie er diese aktiviert. Er muss ein guter Kommunikator sein, Konflikte moderieren können und in dem Spannungsfeld zwischen den Wünschen der Nutzer und denen des eigenen Unternehmens bestmöglich vermitteln können.
Welche besondere Herausforderung entsteht vor dem Hintergrund der Digitalisierung?
Man sieht und spricht nicht. Es ist dieselbe Herausforderung, die man auch aus dem Privatleben kennt: In der Online-Community fällt die nonverbale Kommunikation weg, das führt zu Missverständnissen. Man muss sich schriftlich deutlich präziser ausdrücken als face to face. Und man muss sich darüber Gedanken machen, was heutzutage Arbeitszeiten bedeuten: Online-Kommunikation kann man nachts nicht abstellen, aber man kann zum Beispiel im Kundenservice Öffnungszeiten einführen. Wenn man die klar kommuniziert, akzeptiert das die Community auch. Man muss natürlich trotzdem sicherstellen, dass man als Community Manager mitbekommt, wenn sich etwas zusammenbraut. Hier hilft eine enge Vernetzung innerhalb der Community oder ein gutes Social Media Monitoring, das meldet, wenn plötzlich das Gesprächsvolumen ungewöhnlich schnell ansteigt.
Verstehen vermeidet Krisen. Sind Erklärformate für den eigenen Content die Lösung in einer immer komplexer werdenden Welt?
Inhalte müssen Mehrwert bringen. Ja, das ist ein abgegriffener Satz, aber er wird in der Realität noch lange nicht umgesetzt. Es besteht oft noch ein großer Unterschied zwischen dem, was Community und Unternehmen als Mehrwert ansehen, darüber hinaus sehe ich noch viel zu oft oberflächlichen „Katzencontent“, der nicht viel mit dem Kern der Marke zu tun hat. Infografiken, Erklärvideos und How-to-Anleitungen, bei denen die Bedürfnisse der Nutzer und nicht zwingend die Produkte im Mittelpunkt stehen, sind da ein guter Weg.
Sind die Deutschen im internationalen Vergleich gut gerüstet für den Umgang mit Interessensgemeinschaften?
Da ist noch Luft nach oben. Das Problem: Viele Community Manager sind Seiteneinsteiger und noch komplett ohne Ausbildung. Chefs denken, ach, das bisschen Kommentieren auf Facebook kann doch jeder. Nee, eben nicht. Die Flüchtlingsdebatte war da zum Beispiel auch vor diesem Hintergrund eine große Herausforderung für viele Community Manager. Hier wurde nicht nur auf politisch geprägten Seiten mit sehr rauem Ton diskutiert. Selbst bei Themen wie der Pferdeversicherung oder Kindergeld dauerte es nur wenige Postings bis zu Hassparolen oder sogar Drohungen gegen das Community Management. Das belastet Community Manager auch menschlich, ich habe in dem Bereich Junioren gesehen, die den Job nach drei Wochen wieder aufgaben. Arbeitgeber müssen an dieser Stelle für eine vernünftige Ausbildung, die Möglichkeit für einen fachlichen Austausch sowie Supervision sorgen.
Welche Länder können es besser?
In den USA ist der Wert von Communitys schon länger besser erkannt. Zum Beispiel war der zweite Mitarbeiter bei Instagram ein Community Manager – die haben von Anfang an darauf gesetzt und sind sehr erfolgreich damit. 2010 wollten plötzlich alle Social Media machen, dabei existierte der Beruf des Community Managers schon seit der Jahrtausendwende. Inzwischen entwickeln sich viele Unternehmen online zurück und bauen ihre Communitys erfolgreich selbst, wie zum Beispiel Douglas, die vorher ihre Nutzer sehr genau analysiert haben.
Wie verlängern Marken denn Online-Communitys ins physische Leben?
On- und offline gehen heute immer mehr zusammen – außer, wir legen uns ein Alter Ego an. (lacht) Man schafft das, indem man selbst Treffen organisiert oder Events besucht, bei denen die eigene Community vor Ort ist. Community Manager sind mobil und da ist man irgendwann ja auch bekannt. Ich bin bei meinem früheren Arbeitgeber viel gereist und habe vor der Abreise gern getwittert: „Ich bin bald daundda – hat jemand Zeit und Lust auf einen Kaffee?“ Ich bin nie ohne Kaffee nach Hause gefahren.
Wenn der Community Manager selbst eine Marke ist, wird’s aber schwer bei einem Jobwechsel.
Das ist nicht einfach, aber auch ein Erfolg für das neue Unternehmen, das damit ein Gesicht bekommt. Es ist immer leichter, mit einer Person in den Dialog zu treten als mit einer Front, die das Unternehmen darstellen soll. Das beweist doch nur: Unternehmen sollten ihre Community Manager festhalten – der Markt ist derzeit nämlich leer gefegt an guten und erfahrenen.
In Twitter-Profilen lese ich häufig „bin hier privat unterwegs“ und finde das schräg. Ist die Trennung zwischen Berufsfunktion und Privatperson im Netz noch sinnvoll?
Das muss im Endeffekt jeder selbst entscheiden. Ich finde es verständlich, wenn man in heiklen Unternehmen oder Branchen arbeitet. Bei kritisch-emotionalen Themen, wie zum Beispiel im Rahmen der Flüchtlingsdebatte, dient es dem Selbstschutz nicht unter Klarnamen aufzutreten und die Profile zu trennen. In einem gemäßigtem Umfeld sehe ich aber keine Notwendigkeit für zwei Profile, wenn man mit gesundem Menschenverstand agiert. Man sollte sich vor jeder Äußerung im Netz einfach fragen: Will ich, dass mein Chef das sieht? Wenn nicht, nutzt man einfach persönlich gefilterte Listen oder Privatsphäre-Einstellungen beziehungsweise twittert es nicht.
Welche Metatrends sehen Sie im Community Management?
Zum Glück rückt das Community Management endlich in den Fokus. Das war bis vor zwei Jahren eher ein Stiefkind nach dem Motto „wir machen zwar Social Media aber reden nicht mit den Leuten“. Inzwischen kommt Community Management generell immer mehr Bedeutung zu, die Wertschätzung nimmt zu. Und die Strategie rückt in den Vordergrund. Es geht nicht mehr darum, mal eben auf Facebook zu gehen, weil der Chef das will, sondern Unternehmen wollen wissen: Wer redet über uns? Wo? Mit welcher Tonalität? Und welche Kanäle machen für die Community Sinn? Dabei geht es immer öfter um eine Corporate Identity, darum, einen zusätzlichen Tone of Voice zu entwickeln.
Bevor man gute Geschichten erzählen kann, muss man die erstmal finden. Muss der Content Manager für die -Suche nicht erstmal seine Firma als Community verstehen, um sich selbst zu positionieren?
Ja, das ist schon Teil der Strategie. Ich muss zunächst intern Prozesse und Kontakte aufbauen, um von potenziellen Geschichten zu erfahren. Muss allen Abteilung die Social-Media-Strategie vorstellen und nahebringen, Unterstützer suchen, Kontakte knüpfen und idealerweise aus allen relevanten Bereichen eine Person finden, die zum monatlichen Content Meeting kommt.
Und wenn die Strategie besagt, dass alle Mitarbeiter zu Markenbotschaftern werden sollen, bedeutet das zusätzlichen Drive für den Community Manager?
Ja, aber nicht jeder möchte oder kann Markenbotschafter werden.
Oder sollte es…
Ja, genau. Aber es geht auch anders. Nehmen Sie das Beispiel Microsoft, die haben 2007 ein Community Management aufgesetzt. Die Mitarbeiter gingen zu Offline-Events und Barcamps, haben Vorträge bei Unternehmen gehalten, die voller Mac-Usern waren. Die wurden natürlich nicht alle konvertiert zu Windows-Nutzern, aber die Community Manager erreichten eine positive Wahrnehmung der Marke. Das ist eine Frage der Persönlichkeit, die Nachfolgerinnen machen das bis heute.
Was war ihr persönliches Highlight im Umgang mit Communitys?
Das Twestival. Die Kombination aus Twitter und Festival wurde vor einigen Jahren weltweit von Ehrenamtlichen organisiert. Auch ich habe geholfen, Spenden für soziale Projekte wie Brunnenbau in Afrika zu sammeln. Allein über Twitter wurden die Menschen dazu aktiviert, eine Location, Sachspenden für eine Tombola und Getränke zu stellen oder eben selbst zur Charity zu kommen. So wurden in dem fünfjährigem Bestehen mehr als 1,84 Millionen Dollar gesammelt, da waren selbst wir Community Manager vom Erfolg überrascht.
Und wann ist es genug mit der Gemeinschaft, wann sollte man aussteigen?
Sobald man nicht mehr von dem Unternehmen oder der Marke überzeugt ist, hinter der man stehen muss. Wenn man die nach außen vertritt, geht das nur mit Authentizität und Leidenschaft. Wer nicht auf Beauty steht, geht nicht zu einer Lifestyle-Marke. Wer gerne Hiphop hört, arbeitet lieber nicht in einem Metal-Verlag. Man sollte sich immer vorher überlegen, ob die Bezugspunkte und Werte stimmen und zu mir passen. Das Image ist nur zweitrangig, aber es muss genug Themen geben, die da draußen noch nicht bekannt sind.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Communitys. Das Heft können Sie hier bestellen.