Worauf es bei Aufmacherbildern ankommt

Interviews

Frau Schulz, wie kam es zum Fotoshooting mit Patricia Schlesinger?

Schulz: Als die verantwortliche Redakteurin Cathrin Gilbert der Bildchefin Amélie Schneider sagte, sie bekomme das Exklusivinterview, haben wir überlegt: Wer könnte das am besten fotografieren? Das Foto ist bei unserer Wochenzeitung ein wichtiger Teil der Geschichte und die Auswahl der Person, die das Foto schießt, ist schon die erste inhaltliche Entscheidung.

Und die Entscheidung fiel dann auf Gene Glover, der für die „Zeit“ auch schon Jürgen Trittin, Annegret Kramp-Karrenbauer und Joachim Gauck abgelichtet hat.

Schulz: Gene Glover ist fachlich sehr präzise, hat eine unglaubliche Beobachtungsgabe und Wärme. Er hat uns außerdem sein Studio für das Interview zur Verfügung gestellt. Das hat den Vorteil, dass er als Fotograf Zeit für das Foto hat und nicht nach dem Gespräch sagen muss: „So, nun stellen Sie sich einmal vor diese Hauswand.“ So saß Schlesinger auf dem Sofa, auf dem auch schon Julian Reichelt fotografiert wurde.

In diesem Fall wurde das Foto jedoch nicht während des Gesprächs gemacht, sondern davor. Weshalb?

Schulz: Das war eine Absprache, ist aber keine Regel. Während des Gespräches kann man einfach kein gutes Porträt machen. Das Foto entsteht aus einer Begegnung zwischen zwei Menschen, also zwischen Gene Glover und Patricia Schlesinger.

Eigentlich hätte doch Patricia Schlesinger ein Interesse daran haben müssen, nach dem Gespräch fotografiert zu werden, damit es kongruent ist zu dem, was sie gesagt hat, oder?

Schulz: Im Studio waren nur Patricia Schlesinger, Cathrin Gilbert und der Fotograf. Daher kann ich nichts über die Situation selbst sagen, weil ich nicht dabei war. Ich kann nur allgemein sagen, dass man manchmal die Fotos vorher macht, weil die Personen dann einfach noch wacher und konzentrierter sind und nach einem Gespräch oft müde aussehen.

Patricia Schlesinger als Aufmacher in der „Zeit“

Sie haben dann die Fotoauswahl getroffen. Gab es auch Bilder, die eine andere Anmutung hatten?

Schulz: Ja. Eines dieser anderen Bilder, das eine nachdenkliche Frau Schlesinger zeigt, findet sich auch in der gedruckten Ausgabe. Es gehört zu unserem Job, eine Geschichte zu erzählen. Und diese beiden Bilder taten dies.

Welche war das aus Ihrer Sicht?

Schulz: Patricia Schlesinger ist eine selbstbewusste, gestandene Frau, der die Kamera vertraut ist. Wir wollten keine Geschichte erzählen, die sie nicht selbst erzählt hat. Was wir aber bestimmt nicht wollten, war das inszenierte Bild einer Büßerin. Es geht bei einem Porträt darum, der Person gerecht zu werden.

Hat sie denn beim Shooting andere Posen, die der Buße nähergekommen wären, angeboten?

Schulz: Ein Mensch verändert sich nicht über Nacht und ist auf einmal eine andere Person. Patricia Schlesinger ist eine starke Persönlichkeit und genau so hat sie sich uns auch präsentiert. Und das ist auf diesen Fotos zu sehen.

Hat Sie die Resonanz überrascht?

Schulz: Wir sind daran gewöhnt. Wir beziehen nicht jede Aufregung auf uns. Manchmal verrät sie uns auch einfach etwas über die Erwartungen von Menschen. Die Frage müsste also zurückgehen: Welche Fotos wurden denn erwartet?

Es hat vor allem auch die Kommunikationsbranche interessiert. Die Frage war: Hat denn niemand Frau Schlesinger beraten?

Schulz: Bei Menschen aus der Politik sind manchmal Pressesprecher dabei und es gibt natürlich viele aus der Unterhaltungsindustrie, die es gewohnt sind, über ihr eigenes Bild zu bestimmen. Aber wir machen Journalismus. Das Bild von Patricia Schlesinger hat eine große Wertigkeit. Es ist kein trashiger Abschuss und entspricht ihrer Persönlichkeit.

Dürfen Fotografierte bei der Bildauswahl generell nicht mitreden?

Schulz: In der Regel werden Fotos nicht autorisiert. Es gibt sehr seltene Ausnahmen von der Regel, die mit der Chefredaktion abgestimmt werden.

Was geschieht, wenn jemand darauf besteht, ein Bild freizugeben?

Schulz: Das wird vorher geklärt. Das schließt die Option nicht aus, im Konfliktfall ein Interview auch mal abzusagen – oder zur Not mit Archivbildern zu arbeiten.

Werden beim Shooting vom Medium Posen vorgegeben?

Schulz: Wir geben nichts vor, sondern arbeiten mit dem, was von den Menschen selbst kommt. Da machen wir keinen Unterschied zwischen einer Figur des öffentlichen Lebens wie Frau Schlesinger und einer unbekannten Person wie Lieschen Müller aus Castrop-Rauxel, die wir zum Thema Gaspreisbremse vor einem Supermarkt fotografieren.

Was würden Sie Kommunikationsfachleuten raten, die ihre CEOs zum Interview begleiten?

Schulz: Viele Bilder von Vorstandsvorsitzenden und CEOs sehen gleich aus: gleiche Kleidung, gleicher Gesichtsausdruck. Das ist Werbeoptik. Da wird zwar nichts falsch gemacht, aber wir merken auch, dass unsere Leserschaft darauf mit dem Gefühl reagiert: Ich sehe den Menschen überhaupt nicht. Natürlich sollen sie auch nicht mit Turnschuhen, ungekämmt und mit Tränen in den Augen am Schreibtisch sitzen, um möglichst authentisch zu sein.

Ihr Rat lautet also?
Schulz: Kommunikation sollte zulassen, dass die Fotografierten sich wirklich zeigen können. Das ist mein Büro. So bin ich. Sie müssen sich auf den Fotografen oder die Fotografin einlassen können, um einen Moment aus der Situation heraus zu schaffen, der wirklich zu ihrer Rolle passt. Eine Foto-Situation ist wie eine Bühne und auf dieser sollten wir alle ein Stück weit loslassen. Am Ende geht es um Vertrauen.

Malin Schulz
ist Mitglied der Chefredaktion bei der „Zeit“. 2016 hat Chefredakteur Giovanni de Lorenzo die Art Direktorin in die Chefredaktion aufgenommen und damit den hohen Stellenwert des visuellen Journalismus illustriert. Das 30-köpfige Art Department setzt sich aus der Bildredaktion, dem Design Department und der Infografik zusammen. Malin Schulz bildet mit Haika Hinze eine Doppelspitze.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Medienarbeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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