Keine Lust auf Verarsche

Journalismus

Ihr Medienunternehmen Flip fokussiert sich auf das Thema Nachhaltigkeit. Im Newsletter decken Sie Greenwashing auf. Warum machen Sie das?

Rohrbeck: Wir wollen in dem ganzen Feld von Nachhaltigkeit und einer besseren Wirtschaft für Transparenz sorgen. Auf der einen Seiten gibt es viele Menschen, die sich für nachhaltiges Wirtschaften interessieren und mit ihrem eigenen Konsumverhalten dazu beitragen wollen. Auf der anderen Seite gibt es viele Unternehmen, die ebenso behaupten, einen Nachhaltigkeitsansatz zu verfolgen. Für Konsumenten ist es jedoch schwer zu durchschauen, was wirklich nachhaltig ist und wer nur so tut – also Greenwashing betreibt. Es braucht mehr Transparenz. Auch in der Hoffnung, dass der Konsum ein großer Hebel ist, um zu einer besseren Wirtschaft beizutragen.

Sie schauen sich konkrete Nachhaltigkeitsversprechen an und prüfen deren Wahrheitsgehalt: Wie werden Sie auf Unternehmen und Kampagnen aufmerksam?

Rohrbeck: Es kommen wahnsinnig viele Vorschläge aus unserer Community. Wir haben rund 14.000 Newsletter-Abonnenten. Allein deren Vorschläge sind zu viele, als dass wir sie alle mit unserem kleinen Team angehen könnten. Wir halten zudem auch selbst Ausschau und werden über Social Media auf bestimmte Themen aufmerksam. Gerade die Unternehmen, die stark mit Nachhaltigkeit werben, sind viel auf Instagram unterwegs. Fallen uns dort immer wieder bestimmte Aussagen auf, ist das ein Impuls, genauer hinzuschauen. Als Journalisten beobachten wir insgesamt Märkte und Branchen. Wir arbeiten auch mit Kooperationspartnern – also anderen Medien und Redaktionen – zusammen, so dass auch von dieser Seite Themen an uns herangetragen werden.

Fast jedes Unternehmen hat inzwischen eine Nachhaltigkeitsstrategie. Wie entscheiden Sie, welche Sie sich genauer anschauen?

Rohrbeck: Es gibt verschiedene Arten, wie wir uns einem Thema nähern. Wenn wir auf eine Kampagne aufmerksam werden, die Nachhaltigkeit laut nach außen schreit, schauen wir schon allein deswegen genauer hin. Manchmal beschäftigen wir uns auch zunächst mit einem Themenfeld. Beispielsweise ist der Bausektor riesig und trägt zu 40 Prozent zu CO2-Emmissionen bei. Ein Bereich, der weniger als Flugverkehr diskutiert wird. Dann schauen wir, welche Ansätze und Initiativen es im Bausektor gibt. Wir gucken ebenso, ob es ein konkretes Problem gibt, das ein Anbieter lösen möchte. Beim Lesen von Nachhaltigkeitsberichten eines Unternehmens weiß ich am Ende nämlich meistens nicht, welches Problem es eigentlich lösen will. Wir fokussieren uns daher auf Lösungsideen. Es sind kleine Spotlights, die wir auf bestimmte Sachen richten.

Tragen kleine Spotlights zu einer Veränderung bei?

Rohrbeck: Punktuell einzelne und besonders dreiste Greenwashing-Fälle aufzudecken, sendet ein Signal in die Branche. Das wird wahrgenommen – auch von Nachhaltigkeitsverantwortlichen in Unternehmen. Wir wollen erreichen, dass sie darüber nachdenken, ob ihre Kommunikation ehrlich ist. Und wenn das nicht der Fall ist, dass sie darüber grübeln, ob sie sich selbst nicht einen Gefallen damit tun, dies zu ändern, bevor Flip bei ihnen anklopft.

Wie gehen Sie bei den Recherchen vor? Auf welche Fakten stoßen Sie?

Rohrbeck: Erst einmal lesen wir uns ein. Dann versuchen wir möglichst schnell ein Interview mit den Gründungspersonen des Unternehmens oder der Initiative zu bekommen. Dabei erhalten wir einen Eindruck, wie sie auf kritische Fragen reagieren und welche Antworten sie haben. Gleichzeitig fangen wir an, mit Experten aus der Branche zu sprechen. Wenn sich mehrere skeptisch zu einem Sachverhalt äußern, werden wir auch kritischer. Es gibt kein Patentrezept für Recherche- oder Investigativjournalismus. Im Extremfall verstecken wir GPS-Sender in Turnschuhen, um herauszufinden, was wirklich mit denen am Ende passiert. Es reicht aber manchmal, wenn man Unternehmen konkret um Belege bittet.

Bei Ihren Geschichten haben Sie häufig mit Pressestellen zu tun. Wann erleben Sie Kommunikationsverantwortliche schmallippig?

Rohrbeck: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben oft mit Start-ups zu tun. Dort sprechen wir meist direkt mit den Gründern, die häufig komplett unterschiedlich reagieren. Die einen sind offen und befürworten es, dass jemand mal genauer hinschaut, sagen, dass sie davon ebenso profitieren. Die anderen wollen gar nicht antworten oder nur schriftlich, was sich über Monate hinzieht. Es ist mitunter ein Kampf. Die Pressestellen verhalten sich ebenfalls sehr unterschiedlich. Was mich als Journalist am meisten aufregt, ist, wenn ich das Gefühl habe, man möchte mich verarschen.

In welchem Moment haben Sie das so empfunden?

Rohrbeck: Bei unserer Recherche zu Nike war es beispielsweise so, dass sie bei ihrem Programm „Nike Grind“ damit geworben haben, Sohlen aus geschredderten alten Schuhen herzustellen. Wir wollten von Nike wissen, wo sie das machen und ob wir uns diese Fabrik anschauen können. Auf diese E-Mail hat die Pressestelle geantwortet, ohne wirklich zu antworten. Sie haben lediglich geschrieben: „Vielen Dank für Ihr Interesse an ‚Nike Grind‘“, und dann einen Link angehängt zu mehr Informationen zu dem Programm. Sie haben aber nicht gesagt, wo diese Fabrik steht und ob wir uns diese anschauen können. Sie hätten uns sagen können, dass sie nicht mitteilen wollen, wo die Fabrik steht. Das wäre dann eine Antwort gewesen. Aber Fragen einfach zu ignorieren, kann ich nicht nachvollziehen und das empfinde ich als unprofessionell.

Gibt es noch mehr, das Sie unprofessionell finden?

Rohrbeck: Was ich häufig erlebe: wenn wir Fragenkataloge mit zum Beispiel zehn Fragen verschicken, dass die eine Frage, die offenbar ins Schwarze trifft, bei der Beantwortung einfach ignoriert wird. Oder es wird reagiert, als hätte es diese Frage nie gegeben. Was glauben die Menschen: dass ich vergessen habe, die Frage gestellt zu haben?

Worüber reden Pressestellen denn gerne?

Rohrbeck: Über Erfolgsmeldungen. Was mich dabei erstaunt: wenn Unternehmen über Vorzeigeprojekte selbst berichten und sagen, was sie machen, dann aber bei Rückfragen oder Interviewanfragen zu diesen Projekten mauern. Sie gehen selbst mit einem Thema an die Öffentlichkeit. Wenn dann jemand sagt: „Cool, das würden wir uns gerne anschauen“, wollen sie lieber doch nicht. Unternehmen sollten sich entscheiden, ob sie mit einem Thema an die Öffentlichkeit gehen. Falls ja, dann müssen sie damit leben, dass sich das jemand genauer ansehen will. Oder sie sagen, wir wollen damit noch nicht an die Öffentlichkeit. Aber dann sollten sie es auch nicht kommunizieren.

Was macht eine professionelle Unternehmenskommunikation aus?

Rohrbeck: Professionalität ist immer gegeben, wenn man merkt, dass ein Pressesprecher das journalistische Interesse versteht sowie kompetent und auf persönlicher Ebene sachlich und zugewandt reagiert – auch wenn die Person versteht, dass der Bericht vielleicht kritischer und nicht unbedingt vorteilhaft für das Unternehmen wird. Das ist sein Job. Mein Job ist es, kritisch nachzufragen. Trotzdem können wir normal miteinander reden. Wenig gewinnbringend empfinde ich auch, wenn es immer nur heißt: Fragen bitte schriftlich einreichen. Ganz oft kommen phrasenhafte Antworten, die dazu führen, dass man wieder nachhaken muss. Wenn Unternehmen möchten, dass Journalisten sie besser verstehen, dann ist ein persönliches Gespräch mit jemandem, der das wirklich verstanden hat im Unternehmen, viel hilfreicher und weckt auf beiden Seiten mehr Verständnis.

Was überwiegt denn – Professionalität oder Unprofessionalität?

Rohrbeck: Wenn ich jetzt nicht nur aus meiner Flip-Position, sondern ebenso aus meiner Zeit als Journalist bei der „Zeit“ darauf schaue, arbeitet der überwiegende Teil professionell. Bei kleineren Start-ups ist es oft ein bisschen schwieriger. Sie haben häufiger noch keine eigene Kommunikationsabteilung, wofür wir natürlich Verständnis haben. Es ist vieles noch nicht so organisiert. Aber gerade Start-ups im Nachhaltigkeitsbereich sind es oftmals gewohnt, dass sie unkritisch gefeiert werden, und nehmen kritische Berichterstattung häufig sehr persönlich, was menschlich auch nachvollziehbar ist. Sie verstehen manchmal nicht, dass es der Beruf von Journalisten ist, genau hinzuschauen.

Wann kommen Sie eher an Informationen: wenn Sie als Flip bei Unternehmen anfragen oder für die „Zeit“?

Rohrbeck: Am Anfang hatten wir es mit Flip etwas schwerer, weil uns einfach niemand kannte. Mittlerweile erlebe ich das nicht mehr so. Gerade in der Bubble von Nachhaltigkeitsunternehmen und -journalismus kennt man uns mittlerweile schon. Am Anfang hat es geholfen, dass zwei der vier Flip-Gründer einen journalistischen Hintergrund haben und für Medien wie die „Zeit“ oder den NDR gearbeitet haben. Das haben wir bei Anfragen dazugeschrieben. Es hilft uns auch, dass wir mit großen Medien kooperieren können, wenn wir wollen. Ein beliebter Vorwurf ist das Greenwashing.

Welche Unstimmigkeiten zwischen dem nach außen verkauften Image und der Realität sehen Sie am häufigsten?

Rohrbeck: Es ist schwer zu definieren, wo Greenwashing anfängt und wo es aufhört. Wir konzentrieren uns vor allem auf die Versprechen der Unternehmen selbst. Wenn diese Versprechen einfach nicht stimmen – also Angaben auf der Faktenebene falsch sind –, dann handelt es sich für uns um Greenwashing. Denn es werden Verbraucher mit falschen Informationen in die Irre geführt. Das ist der härteste Fall von Greenwashing.

An welchen Fall denken Sie dabei?

Rohrbeck: Wenn Air Up, Anbieter eines duftbasierten Trinksystems, behauptet hat, die Trinkflaschen seien zu 100 Prozent aus recyceltem Material, was aber einfach nicht stimmte, weil tatsächlich null Prozent aus recyceltem Material ist, dann ist das hartes Greenwashing. Es ist einfach gelogen. Das gilt auch, wenn Unternehmen behaupten, jedes ihrer Produkte spare eine bestimmte Menge an CO2 ein – und sich dann herausstellt, dass es gar keine Berechnung oder Studie dazu gibt. Hat das mal jemand so über den Daumen gepeilt, ist es für mich auch Greenwashing. Denn am Ende wirbt man mit Zahlen, die nicht belegt sind.

Wenn ein Werbeversprechen gar nicht zutrifft, ist es Betrug.

Rohrbeck: Genau. Die härteste Form von Greenwashing ist tatsächlich justiziable Verbrauchertäuschung – also wenn Aussagen einfach nicht der Wahrheit entsprechen. Bei der Trinkflasche hatte das Unternehmen später behauptet, es sei ein Übersetzungsfehler gewesen. Die Flaschen seien zu 100 Prozent recycelbar, nicht recycelt. Wobei das ein großer Unterschied ist.

Welche Abweichung bei Nachhaltigkeitsversprechen ist in Ordnung, welche nicht?

Rohrbeck: Die Zahlen müssen stimmen. Ich würde kein Unternehmen, das sich in einer Nachkommastelle geirrt hat, skandalisieren. Geht es jedoch um ein zentrales Werbeversprechen, dann sollte wirklich alles stimmen. In dem Fall ist für mich keine Abweichung zulässig.

Wie ist es bei der Verwendung des Begriffs „Klimaneutralität“? Wie transparent und glaubwürdig sind hier Unternehmen?

Rohrbeck: Den Begriff „Klimaneutralität“ würde ich gar nicht benutzen. Das gibt es aus meiner Sicht nicht. Es wurden schon Unternehmen abgemahnt, die damit geworben haben. Es erweckt einen falschen Eindruck. Klimaneutralität bedeutet, dass ich auf der einen Seite was ausstoße, auf der anderen etwas kompensiere. Niemand ist klimaneutral, indem er wirklich keine CO2-Emissionen mehr ausstößt. Alle gleichen sie mit irgendwas aus. Schaut man sich die Ausgleichsmechanismen an, habe ich große Zweifel daran, dass das tatsächlich funktioniert.

Wem nehmen Sie echte Nachhaltigkeitsbestrebungen ab? Welche Unternehmen machen es richtig?

Rohrbeck: Wir haben in unserem allerersten Newsletter über die Schokoladenfirma Tony’s Chocolonely geschrieben. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Sklavenarbeit in der Kakaoindustrie zu bekämpfen. Wir wollten wissen, wie sie das machen und mit welchen Mitteln. Dabei kam heraus, dass sie wirklich etwas bewirken. Sie bieten zum Beispiel allen anderen Unternehmen in der Industrie ihre Hilfe an, wie sich nachhaltige und faire Kakaoproduktion umsetzen lässt. Sie haben neue Standards gesetzt. Man schaut sich auch konkrete Situationen an. Wie verhält sich ein Unternehmen, wenn es wirtschaftlich mal schwierig wird? Macht es Abstriche bei der Nachhaltigkeit oder beim Gewinn?

Welche Reaktionen erhalten Sie im Nachgang einer Veröffentlichung von Unternehmen und Pressestellen?

Rohrbeck: Das ist sehr unterschiedlich. Es ist alles dabei: von total verärgert mit öffentlichem Brief, der uns reißerischen Journalismus und falsche Darstellungen vorwirft, über gar keine Reaktion bis hin zu Dank für die Kritik und einer Entschuldigung bei denjenigen, denen sie nicht ganz die Wahrheit erzählt haben. Journalisten sehen sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, aktivistisch zu agieren. Insbesondere wenn sie eine Mission haben.

Wie sehen Sie Ihre Rolle?

Rohrbeck: Ich sehe mich nicht als Aktivist. Wenn jemand meine Arbeit aktivistisch auffasst, kann ich das natürlich nicht ändern. Das Einzige, was wir machen wollen, ist für Transparenz im Nachhaltigkeitsbereich zu sorgen. Das ist eine hochjournalistische Aufgabe, die sehr ursprünglich journalistisch und nicht aktivistisch ist. Wir hoffen, dass durch diese Transparenz der nachhaltige Konsum zu einer Veränderung führt.

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Nachhaltigkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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