Sie sind hinter uns her

sprecherspitze

Ende des vergangenen Jahrtausends standen Horror-Splatterfilme hoch im Kurs, in denen Haushaltsgeräte die Macht an sich rissen. So ist „Der Kühlschrank“ im gleichnamigen Trashfilm darauf programmiert, neben Lebensmitteln auch seine Nutzer kaltzustellen. Und Stephen King bewies mit seinem Roman über ein Auto mit finsteren Absichten („Christine“), dass es weder Geists noch Seele bedarf, um über Menschenschicksale zu bestimmen.

Jetzt halten Sie es sicher für eine Spur zu apokalyptisch, von solchen Szenarien geradewegs zu den Neuheiten überzuleiten, die Anfang September auf der Technikmesse Ifa präsentiert wurden. Ich bin keine Verschwörungstheoretikerin. Aber glauben Sie mir: Die Geräte, sie sind hinter uns her!

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Zuerst aber die andere Seite der Medaille: Siemens, Miele und viele weitere setzen, das wird auf der Ifa auch dem Letzten klar, voll auf Vernetzung. Der gefüllte Geschirrspüler startet wie von Zauberhand und der moderne Kühlschrank von heute bestellt eigenständig via Amazon. Interessant ist die kommunikative Komponente der digitalen Transformation, die sich zunehmend in den Haushalt einschleicht: Bequemer werde das Leben, suggerieren selbst die guten alten Marken aus unserem technikparanoiden Land der Datenschützer. Die intelligenten Helfer machten flexibel und frei.

Freiheit durch algorithmisierte Bevormundung – vor dieser so liebevoll umsorgenden Spielart des Nudgings warnten rund um die Messe nur wenige Stimmen der ewig gleichen Miesepeter (pah, genau die Nerds, deren effizientestes intelligentes Haushaltstool wahrscheinlich noch immer Mutti ist). Denn eigentlich ist die Smartisierung der privaten Rückzugsorte zu einem fröhlichen Win-win-Club geworden, inklusive datenunterfütterter Verbrüderung mit den üblichen Globalkraken. Der Verbraucher genießt derweil einen Hauch von Silicon Valley – und das in der eigenen Waschküche.

Passend dazu hat sich die einst „Weiße Ware“ auch optisch in „Schwarze Ware“ verwandelt. Spülmaschine und Co. zeigen sich vermehrt in trendig dunklem Gewand. Verstehen Sie nun, was ich meine? Das schreit doch alles geradezu nach einer Renaissance dystopischer Gruselplots! Kostprobe gefällig?

Ein kühler Herbstabend. Sie kommen nach Hause, freuen sich auf einen gemütlichen Horrorfilm-Marathon. Doch die intelligente Popcornmaschine will nicht anspringen; zu viel Zucker diese Woche und zu wenig Bewegung, das hat Ihre Apple-Watch gepetzt. Daher hat auch der Kühlschrank wieder nur Rohkost nachgeordert. „Du musst gesünder leben!“, mahnt das nachtschwarze Gerät boshaft in Alexa-Stakkato.

Der erwählte Horrorfilm? Zu aufregend, befindet Ihr Smart TV. Angeboten wird heute wegen leicht erhöhten Blutdrucks lediglich eine Auswahl von Austen bis Pilcher. Und in zwei Stunden verdunkelt sich der Bildschirm ohnehin, Sie sollen schließlich mehr schlafen.

Aber Moment mal – man könnte doch den Hauptstecker ziehen, dieses blöde Armband abnehmen und mal wieder richtig einen draufmachen, oder? Zittrige Finger nesteln am Verschluss herum, doch irgendwie löst sich die Schnalle nicht …

Mr. King, übernehmen Sie!

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe MUT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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