Kreativsession für eine Kommunikationskampagne. Wir wollen ein Seed-Treatment-Produkt bewerben, das Saatgut vor hungrigen Vögeln schützt. „Der Acker wird zur No-Go-Area“, sagt jemand. „Und wir brauchen keine Vogelscheuchen mehr.“ Bei uns allen beginnt das Kopfkino. Was macht eine Vogelscheuche, wenn sie in Rente geht? Wie sieht sie aus? Normalerweise würden wir jetzt mit Charakter-Design-Skribbels und klassischem Composing prüfen, wie sich unsere Ideen grafisch umsetzen lassen. Stattdessen starten wir Midjourney und prompten. Nach wenigen Sekunden erscheinen die ersten Vorschläge auf unseren Bildschirmen.
Generative KI-Tools wie Midjourney, Adobe Firefly, Dall-E, Oxolo, Runway oder Synthesia mischen die Kommunikation auf. Weil sich mit ihnen per Texteingabe in kürzester Zeit viele Varianten von Bildern und Videos erstellen lassen. Das hilft, um Ideen visuell durchzuspielen und sie einem ersten Proof of Concept zu unterziehen.
Übung macht den KI-Meister
Zurück zu unserer Vogelscheuche. Die ersten Ergebnisse kommen über eine Ansammlung von Stereotypen nicht hinaus: gruselige Fratzen, dunkle Farbgebung, kurz: noch nicht das, was wir uns vorgestellt haben. Wir verfeinern unsere Prompts, lassen Iterationen durchlaufen, kontrollieren immer wieder die gesetzten Parameter. Bis Pete auf dem Bildschirm strahlt: eine freundliche Vogelscheuche, die mit einem Strohhut auf dem Kopf neben einem Kürbis entspannt an einem sonnenbeschienenen Strand sitzt. In Photoshop verleihen wir noch kurz den Final Touch – fertig.
Seit rund 20 Monaten beschäftigen wir uns intensiv mit generativer KI, testen Tools, prüfen Anwendungsfälle und setzen Projekte um. Wir teilen unser Wissen in Vorträgen und Panel-Diskussionen, beraten unsere Kunden bei Fragen rund um den Einsatz von KI in ihrem Unternehmen und begleiten sie bei der Umsetzung. Über der technologischen Entwicklung steht dabei auch die Frage, wie die Zukunft unserer kreativen Arbeit aussieht. Das Feld der Kreativarbeit schien lange unantastbar, KI-Tools senken nun die Zugangshürde.
Die KI-Anwendungen entwickeln sich rasant weiter, die Qualität der Ergebnisse steigt. Das bedeutet aber keinesfalls das Ende der menschengeprägten Kreativwirtschaft. Denn das reine Werkzeug macht einen nicht automatisch auch zu einer kreativen Person: Mit einem Bleistift in der Hand kann ich nicht automatisch auch fotorealistisch zeichnen. Nur weil ich einen Taschenrechner habe, kann ich nicht jede Gleichung lösen.
Dass viele Menschen selbst mit KI experimentieren und mit wenigen Handgriffen Visuals mit KI erstellen, ist nachvollziehbar. Den Ergebnissen wird man aber in der Regel ansehen, dass sie weder auf einer Designstrategie noch einem Kreativkonzept fußen. Denn die Ausgestaltung eines Bildes in Midjourney hat relativ wenig mit originärer Kreativität zu tun. Dieser Prozess passiert vorher in unseren Köpfen.
Mehr Zeit für Konzeption
Für uns Kreative liegt die größte Veränderung durch KI darin, dass wir mehr Raum für den konzeptionellen Part haben. Wir können mit weniger Aufwand Storyboards erstellen. Steht beispielsweise ein Fotoshooting für das Employer Branding eines Kunden an, sparen wir uns die mühsame Suche nach einheitlichen Bildern auf Stockfoto-Plattformen. Stattdessen erstellen wir mithilfe von KI unsere eigenen Bilderreihen. Mit dem Midjourney-Feature „Consistent Character“ lassen sich nun endlich auch die Personen in verschiedene Positionen oder Szenen einbetten, ohne dass sich ihr Aussehen durch die Iteration verändert.
Wir können ganze Szenen mit Parametern vordefinieren und diese als „Prefer Option Set“ anlegen. Das hilft, um in unterschiedlichen Projekten eine Stil-Konsistenz herzustellen. Praktisch, um beispielsweise das Corporate Design des Kunden direkt mit einzuarbeiten. Mithilfe der „Describe-Funktion“ können wir Bilder, zu denen wir die Rechte besitzen, im Tool hochladen und diese von der KI beschreiben lassen. Der Text lässt sich dann als Promptvorlage für ein neues Bild in diesem Stil nutzen.
Das ist nur eine kleine Auswahl der Funktionen, die uns den Alltag erleichtern. Entscheidend bleibt: Die originären Ideen kommen von uns. Angelehnt an das Segelschiff-Logo von Midjourney verstehe ich uns Kreative als Kapitän:innen, die das Tool durch das Datenmeer – den sogenannten latent space – navigieren. Wir kennen unser Ziel, den Weg dorthin und wissen, welchen Hindernissen wir ausweichen müssen. Und mit jeder Iteration wächst das Datenmeer, sodass auch wir immer wieder unsere Route anpassen und so lange reisen, bis wir am richtigen Ort angekommen sind.
Rechtliche Hindernisse
Und wie es sich für gute Kapitän:innen gehört, kennen wir die nötigen Kniffe und haben mit jeder Fahrt neue Erfahrungen gesammelt. Der Weg zum Erfolg führt über die Qualität unserer Prompts: Sind die Prompts sehr kurz und allgemein, greift Midjourney auf einen Standardstil zurück. Die Ergebnisse sind entsprechend weniger spezifisch. Alle Attribute, die ein gutes Bild ausmachen, wie beispielsweise die Komposition, das Licht, die Perspektive oder der Stil, müssen wir daher durch unsere Eingabe selbst steuern. Dazu braucht es Imagination und Kreativität, aber auch unser Fachwissen als Art Directors.
Das bislang größte Hindernis sind Fragen um Nutzungs- und Urheberrechte. Obwohl die juristische Diskussion längst Fahrt aufgenommen hat, gibt es noch immer keine einheitliche Regelung. Adobe Firefly verspricht seinen User:innen, dass die KI nur mit Inhalten trainiert wurde, für die Adobe die Rechte besitzt. Qualitativ spielt aber noch immer Midjourney die besten Ergebnisse aus. Um rechtlich abgesichert zu sein, setzen wir mit unseren Kunden eine schriftliche Vereinbarung auf. Diese gilt für den Input, beispielsweise Produktfotos des Kunden, ebenso wie für den Output, zum Beispiel KI-generierte Anzeigenmotive. Auf diesem Weg sind alle Parteien über etwaige Risiken informiert.
Was sich für mich durch die KI-Tools verändert hat? Gar nicht mal so viel. Unsere Arbeit verschiebt sich weg vom Produktionsfokus immer mehr hin zum Konzeptionsfokus. Das ist aber keine neue Entwicklung, die KI-Anwendungen beschleunigen lediglich diese Umstellung. Der Kern unserer kreativen Arbeit aber – die Ideenentwicklung, das In-Bildern-Denken, die Suche nach dem Ungesehenen und dem bewussten Regelbruch –, der bleibt. Oder anders formuliert: Das wahre Können liegt in unserer Vorstellung. Nicht umsonst beginnen die Prompts stets mit dieser Aufforderung an die Software: „/imagine:“.
Dieser Beitrag ist Teil der Themenreihe „How-to GenAI“, die sich mit dem Einsatz von generativer künstlicher Intelligenz in der Unternehmenskommunikation beschäftigt. Regelmäßig erscheinen an dieser Stelle Beiträge wechselnder Autor*innen zu theoretischen und praktischen Aspekten.