Sackgasse im Quadrat

Ritter Sport

Der Schokoladenhersteller Ritter Sport steht massiv in der Kritik. Das Unternehmen aus Waldenbuch in Baden-Württemberg sieht sich mit Boykottaufrufen konfrontiert, weil es trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine seine Geschäfte in Russland fortführen will. Investitionen und Werbung habe man eingestellt, teilte Ritter Sport in einem Statement mit. Teilen der Öffentlichkeit und der ukrainischen Regierung reicht das nicht. „Quadratisch. Praktisch. Blut“, twitterte der Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, angelehnt an den bekannten Ritter-Sport-Claim „Quadratisch. Praktisch. Gut“. Er schuf damit ein Bild, das das Potenzial besitzt, sich langfristig in den Köpfen festzusetzen, was für ein Genussprodukt, das Familien und Kinder ansprechen soll, fatal wäre.

Rund 1.750 Angestellte beschäftigt die Alfred Ritter GmbH & Co. KG. Der Jahresumsatz des Familienunternehmens betrug zuletzt nach eigenen Angaben etwa 500 Millionen Euro. Zwischen 40 bis 50 Millionen Euro würden auf den russischen Markt entfallen, sagte Alfred-Ritter-CEO Andreas Ronken in einem „FAZ“-Interview vor wenigen Wochen. Etwa zehn Prozent.

Häufig sorgen Boykottaufrufe vor allem für Aufregung. Sie verpuffen dann. Die Empörung zieht weiter. Die geschäftlichen Auswirkungen bleiben gering. Doch für Ritter Sport könnte die Sache anders ausgehen.

Das Unternehmen ist fast vollständig von einer Marke abhängig, die fast jeder kennt: „Ritter Sport“. Das unterscheidet den schwäbischen Hersteller von Konzernen wie Nestle, Mondelez, Ferrero oder Mars. Sie haben den Vorteil, mit einer Vielzahl von Süßigkeiten-Produkten auf dem Markt präsent zu sein. Verbraucher dürften nur in seltenen Fällen wissen, wer hinter Milka, Smarties oder Milky Way steckt. Bei Ritter Sport schlagen eine negative Berichterstattung und Shirtstorm-Wellen wie aktuell sofort auf die Marke durch.

Abhängig von einer Marke

Ritter Sport betont in seiner Kommunikation seit Jahren, sich für Nachhaltigkeit in der Kakaoherstellung und für gute Arbeitsbedingungen in den Anbauländern einzusetzen. Man handele verantwortungsvoll und habe verstanden. Doch nun hat selbst Nestle – für viele der Inbegriff eines profitgierigen Lebensmittelkonzerns – angekündigt, Schokoladenprodukte wie Kitkat nicht mehr in Russland verkaufen zu wollen. Man will sich auf die Lieferung lebenswichtiger Lebensmittel beschränken. Will Ritter Sport nun Schokolade als lebenswichtig deklarieren?

In Sachen Kommunikation hat das Unternehmen in den vergangenen Tagen ungeschickt agiert. Statt eine konsistente Argumentation aufzubauen und die eigene Position zu erklären, verhedderte man sich in Einzelstatements gegenüber Medien wie der „Wirtschaftswoche“ und „Bild“. Was bisher extern kommuniziert wurde, wirkte empathielos und gewinnorientiert. Man argumentierte rein wirtschaftlich, was in einer Situation, in der in der Ukraine täglich Menschen sterben und furchtbare Bilder die Welt schockieren, maximal kaltherzig erscheint, vor allem, wenn man sonst seine vermeintliche Nachhaltigkeit ins Schaufenster stellt.

Zu allem Überfluss instrumentalisierte das Unternehmen die Kakaobauern. Die Pflanzen werden hauptsächlich in Lateinamerika und Westafrika angebaut. „Um Arbeitsplätze und auch die Lebensgrundlage von vielen Kakaobauernfamilien zu sichern, liefern wir weiterhin Schokolade für die russische Bevölkerung“, heißt es in einem Statement vom 31. März. Das wirkte wie ein Ablenkungsmanöver und der Versuch, den Russland-Geschäften etwas Positives – das Engagement in den Anbauregionen – gegenzurechnen.

Die Ankündigung, „jeglichen Gewinn aus dem laufenden Russland-Geschäft an humanitäre Hilfsorganisationen“ spenden zu wollen, brachte zwar positive Berichterstattung, ist aber nicht zu Ende gedacht. Warum soll man einer GmbH & Co. KG, die in der Vergangenheit Umsatzzahlen veröffentlicht hat, aber Gewinne nie ausweist, an dieser Stelle blind vertrauen? Die Menschen in der Ukraine benötigen zudem jetzt Hilfe und nicht erst dann, wenn das Unternehmen in etwa einem Jahr seine Bilanz aufgedröselt hat.

Für Ritter Sport sind verschiedene Szenarien denkbar. Möglicherweise kaufen die Menschen in wichtigen Zielmärkten wie Deutschland und Frankreich weiterhin die liebgewonnene Schokolade und das Thema verschwindet schnell aus der Öffentlichkeit. Wahrscheinlich ist das nicht.

Ukrainische Politiker scheinen an dem Schokoladenhersteller ein Exempel statuieren wollen. Neben Botschafter Melnyk hat auch Außenminister Dmytro Kuleba die Ritter-Sport-Aktivitäten angeprangert. „Hören Sie auf, Kriegsverbrechen zu finanzieren, Ritter Sport“, schrieb er auf Twitter. Das ukrainische Verteidigungsministerium wurde noch schärfer: „153 getötete ukrainische Kinder werden nie wieder in der Lage sein, Schokolade zu schmecken. Wir rufen Ritter Sport dazu auf, Russland zu verlassen und damit aufzuhören, den Mördern unserer Kinder Munition, Granaten und Raketen zu sponsern“, lautet die Übersetzung des in englischer Sprache verfassten Tweets. Bereits jetzt kursieren von der Schokoladenmarke Fake-Bilder einer „Kriegs-Edition“. Das Verteidigungsministerium postete die Montage einer Tafel „Hitler Sport”, Edition „Blood of Children“. Schlimmer geht es für eine Schokoladenmarke kaum.

Der eigentliche Hebel für einen Boykott dürften die Supermarktketten sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Druck auf Rewe, Edeka und Co. entsteht, Ritter-Sport-Produkte doch schnellstens aus dem Sortiment zu nehmen. Sonst könnten sich Boykottaufrufe in Kürze auch gegen die Supermärkte richten.

„Schokolade ist ein Impulsprodukt, kein bewusster Kauf. Keiner hat eine Ritter Sport Marzipan auf dem Einkaufszettel. Beim Konsumenten muss sich abspielen: Der Ritter, der macht etwas besser, kümmert sich, hat eine eigene Plantage“, sagte Firmenchef Andreas Ronken der „FAZ“. Bei negativen Assoziationen dürfte ein gegenteiliger Impuls entstehen. Produkte einer Schokoladenmarke, die mit einem Krieg in Verbindung steht, wollen wohl die wenigsten in ihrem Einkaufskorb haben. Die lila Alternative ist meist nur ein paar Schritte entfernt. Eine fröhliche Kuh gibt es für das Gewissen dazu.

Das Russland-Engagement könnte sich für Ritter Sport sowieso bald erledigt haben. Die EU kündigte weitere Sanktionen an. Selbst wenn Schokolade von diesen weiterhin ausgenommen bleiben sollte, dürfte das Geschäft in Russland von Ritter Sport für längere Zeit massiv beeinträchtigt sein. Die Marke ruiniert sich also möglicherweise ihre Reputation für wenig bis nichts.

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