Fluch und Segen im Spiel um Aufmerksamkeit

Egomacher-Kolumne

Ein entscheidender Schlüssel zur Aufmerksamkeit ist es, dem eigenen Image markante Merkmale hinzuzufügen, der die Leute amüsiert und über den man spricht – wie charakteristische Kleidungsstile oder einen Persönlichkeitszug. Das Spiel um die Aufmerksamkeit erfordert Wachsamkeit und Kreativität. So schockierte Pablo Picasso sein Publikum mit radikalen Stilwechseln. Er konfrontierte die Kunstszene mit unerwarteten Bildern, Skulpturen und Plastiken, die allen bekannten Erwartungen widersprachen. Er schuf nicht nur neue Sehgewohnheiten in der Kunst. Es gelang ihm immer wieder, sich neu zu erfinden und die gesamte Aufmerksamkeit der Kunstwelt auf sich zu lenken. Picassos Überzeugung nach war es besser, etwas neues Abstraktes zu schaffen, was bei vielen Betrachtern als etwas Hässliches oder Irritierendes angesehen wurde, als zuzulassen, dass seine Werke zu vertraut würden. Mit dieser Überzeugung konnte sich Pablo Picasso seinen Traum vom Leben als Künstler erfüllen: „Als ich ein Kind war, sagte meine Mutter zu mir: ´Wirst du Soldat, so wirst du General werden. Wirst Du Mönch, so wirst du Papst werden.´ Ich wollte Maler werden und ich bin Picasso geworden.“

Regeln brechen

Wer sich unterscheidet, wer Regeln bricht, wer etwas Unerwartetes macht, der bekommt Aufmerksamkeit. Was glauben Sie, warum erfolgreiche Musiker sich so gerne in schrillen Kostümen präsentieren oder sich in ungewöhnlichen Kulissen fotografieren lassen? Die großen Stars nutzen den Effekt der Aufmerksamkeit. Es ist ein Irrtum zu glauben, Ihre Erscheinung dürfe nicht zum Widerspruch führen oder Kritik sei per se etwas Schlechtes. Nichts entspricht weniger der Wahrheit.

Damit Sie keine Eintagsfliege bleiben und Ihre Bekanntheit nicht von anderen überlagert wird, muss es Ihnen egal sein, welche Art der Aufmerksamkeit Sie für sich nutzen. Akzeptieren Sie, dass es nicht nur Beifall für Ihr Wirken gibt. Aber stellen Sie immer sicher, dass Ihr Wirken mit Gehalt gefüllt ist.

Picasso konnte neue Kunstrichtungen vorgeben, David Bowie prägte verschiedene Stile und galt als das Chamäleon der Musikbranche, ohne dabei seiner eigenen Persönlichkeit untreu zu werden. Es gelang ihnen, weil sie Genies ihres Genres waren. Aber auch sie mussten im privaten wie im beruflichen Umfeld Niederlagen einstecken. Erfolg verläuft selten geradlinig. Den Umgang mit dem eigenem Scheitern zu lernen, gehört zu den größten und schwierigsten Aufgaben unseres Lebens. Und jeder Tag lädt uns neu dazu ein, unsere Schwächen zu erkennen und mit unseren Stärken zu arbeiten.

Mutig sein

Als Dozent habe ich jedes Jahr über 200 neue Studenten vor mir sitzen. Zu Beginn meiner Tätigkeit war ich bemüht, alle Gesichter und die dazu passenden Namen zu lernen. Dieses Unterfangen habe ich nach einiger Zeit aufgeben müssen. In der Retrospektive bleiben bestimmte Personen in tiefer Erinnerung. So war eine junge Frau mit einer leichten Sprachbehinderung im Kurs. Eine echte „Berliner Type“. Auffällige Brille. Eigenwilliger Haarschnitt. Wilder Klamotten-Mix. Der jungen Frau fiel die Vorstellungsrunde vor den Kommilitonen sichtlich schwer. Sie kämpfte mit ihrer Sprachbehinderung. Keine einfache Aufgabe, schließlich saß sie im Kurs für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, wo die meisten Absolventen das Ziel des Pressesprechers vor Augen haben. Doch ihre Anfangsnervosität war völlig unbegründet: Ihre Wortwahl spiegelte ihren Erfahrungs- und Wissensschatz wieder. Ihre Körperspannung offenbarte ihr Engagement. Und ihre glänzenden Augen gaben einen Einblick in ihre Leidenschaft für Pressearbeit. Die Anerkennung vor ihrer Lebenskraft war im Raum fast mit Händen zu greifen. Schnell wurde sie zur Wortführerin eines kritischen Dialogs.

Bereits 1907 hat der Wiener Arzt und Psychiater Alfred Adler in seinem Werk „Studien über Minderwertigkeit von Organen“ das oben dargelegte Phänomen aus Sicht der Psychologie beschrieben. „Wenn ein Mensch zur Feststellung gelangt, dass er in irgendeiner Hinsicht, wie zum Beispiel Schwerhörigkeit oder geringere Körperkraft, den anderen Menschen unterlegen ist, so entsteht in ihm ein Minderwertigkeitsgefühl – das Gefühl, von vornherein im Nachteil zu sein. In jedem Menschen besteht aber auch ein Drang nach Geltung. Geltungsstreben und Minderwertigkeitsgefühl sind gegensätzliche psychische Kräfte. Um gegen das Minderwertigkeitsgefühl anzukommen sucht der Mensch aus seinem Geltungsstreben nach Möglichkeiten, es zu besonders hohen Leistungen zu bringen.“

Alfred Adler, der noch heute als einer der größten und bedeutendsten Psychologen angesehen und dessen Name in Fachkreisen auf einer Ebene mit Siegmund Freund gehandelt wird, beobachtete, dass Menschen nicht Opfer ihrer Makel bleiben müssen. Auch der britische König Georg VI., Vater der heutigen Queen Elizabeth II., wurde von einem durch Selbstzweifel geplagten Stotterer zu einem würdevollen Staatsoberhaupt. Gerade seine bedeutsame Radioansprache vom 3. September 1939 zum Kriegseintritt des British Empire gegen Nazi-Deutschland, im Film „The King’s Speech“ dargestellt von Colin Firth in der Rolle Georges‘ VI., dokumentiert den Kampf des Königs und die Überwindungskraft seiner menschlichen Schwäche eindringlich.

Folge nie der Menge

Wie König Georg VI. zog auch die britische Premierministerin Margaret Thatcher zu Beginn ihrer politischen Karriere einen Sprachtrainer heran. Als Hinterbänklerin im englischen Parlament blieb der Erfolg bei ihren Reden aus. Ihre Stimme war zu hoch und überschlug sich auch noch, wenn sie vor dem Unterhaus laut und energisch ihren Standpunkt vortragen wollte. Die überwiegend männlichen Abgeordneten schenkten ihren Ausführungen kaum Beachtung. In einem wahren Gewaltakt senkte sie mit Hilfe eines speziellen Sprechtrainings ihre Stimme um eine halbe Oktave. Dies entsprach einem männlichen Stimmbruch in der Pubertät. Die harte Schule zahlte sich aus. Durch ihre disziplinierte Körperhaltung, ihren strengen Kleidungsstil und nicht zuletzt durch ihren charakteristischen Tonfall und ihren Sprachduktus setzte sie sich in der Männerdomäne des englischen Unterhauses durch.

Margaret Thatcher wurde zur ersten Premierministerin ihres Landes gewählt. Nun hörten ihr die mächtigsten Männer der Welt zu. Als Tochter eines Milchladenbesitzers aus einfachen Verhältnissen war sie geboren worden, als „Eiserne Lady“ ging sie in die Geschichtsbücher ein. Der „Thatcherismus“ prägte – im Positiven, wie im Negativen – ein ganzes Land. Sie prägte den bedeutenden Satz: „Folge nie der Menge, nur weil du Angst hast, anders zu sein.“

Verstärker der Unzufriedenen

Eine ganz andere Geschichte ist die von Donald Trump. Der Kandidat im Vorwahlkampf der Republikaner ist ein wahrer Meister der Selbstinszenierung. Die Journalisten weit über die Grenzen der USA sprechen und analysieren seine Auftritte und Entgleisungen. Doch im Gegensatz zu Picasso, Bowie, King George oder Thatcher liefert Trump keinen Inhalt. Seine Reden sind faktenfrei. Lösungen sind bei ihm Mangelware. Der Bau einer Mauer zu Mexiko ist ebenso wie die Errichtung von Zäunen in Europa inhaltsleer, da sie keine Probleme lösen.

Das Wahlkampfmittel von Donald Trump ist ausschließlich die Empörung. Er ist der Verstärker der Unzufriedenen. Ohne ein Angebot für einen innovativen Diskurs zu bieten, nutzt er die Stimmung für sich. Um diese Person zu entzaubern, gibt es nur eine Schlüsselfrage, die es zu beantworten gilt: „Bist Du Teil des Problems oder bist Du Teil der Lösung? Wenn Du Teil der Lösung bist, dann präsentiere sie mir und wir können darüber diskutieren.“

Bis heute begründet Donald Trump alles über seinen Reichtum. Sein Geld ist der Beweis seiner Kompetenz. Doch diese sehr einfache Argumentation wurde längst entzaubert: Er stieg in millionenschwere Immobilienfirma seines Vaters Fred Trump ein, die ihr Geld mit subventionierten Mietskasernen und staatlich geförderten Unterkünften für Marinesoldaten erworben hat. Bei der vollständigen Übernahme der Firma im Jahre 1973/74 durch den Sohn lag das Vermögen bei 200 Millionen US-Dollar. Berechnungen zeigen, dass Donald Trump das Vermögen seines Vaters nicht besonders gut verwaltet hat. Bei einer sehr konservativen Geldanlage von zehn Prozent Rendite pro Jahr wäre Donald Trump mit einfachem Nichtstun sogar zu einer besseren Firmenbewertung gekommen als heute.

Forbes schätzt das Vermögen auf 4,1 Mrd. US-Dollar. Somit ist seine Management-Leistung mehr als überschaubar. Hinzu kommt, dass seine Legende vom Selfmade-Milliardär, die die Amerikaner so gerne hören, einfach nicht der Wahrheit entspricht.

Jetzt ist es an den führenden Köpfen der Republikanischen Partei ob sie Donald Trump gewähren lassen oder ob sie ihm die Gefolgschaft verwehren. Sie haben es in der Hand einen Egomahnen zu stoppen und die Werte ihrer Partei neu auszurichten.

Das Spiel mit der Aufmerksamkeit in Marketing, Werbung und Kommunikation bleibt Fluch und Segen. Es unterhält uns täglich. Jedoch müssen wir stets wachsam sein und den gebotenen Inhalt hinterfragen. Doch Kritik schafft keine Lösungen. Der Diskurs ist der Weg.

 

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