Wie spricht man für einen Ort, an dem Macht und Ohnmacht regierten?

Gedenkstätte Berliner Mauer

Foto: Hannah Berger (c) Julia Nimke
Ein Blick auf deutsche Geschichte

 

Frau Berger, wie kommuniziert man für einen Ort, den manche lieber vergessen ­würden?
Hannah Berger: Genau das wollen wir ja nicht. Wir glauben, dass es wichtig ist, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu gestalten. Darum kommunizieren wir gegen das Vergessen.

Bei der Fülle von potenziellen Themen stelle ich mir die Kommunikation rund um eine Diktatur und einen Unrechtsstaat kompliziert vor.
Hannah Berger: Ja, zumal es ein Thema ist, bei dem sich vieles verbietet, anders als zum Beispiel bei klassischer Produktkommunikation. Für uns spielt die Tonalität eine wichtige Rolle, wenn wir das Wirken einer Diktatur als historisches Thema kommunizieren, weil wir immer die Opfer, ihre Angehörigen und Zeitzeugen im Blick haben. Das gebietet Respekt und Zurückhaltung.
Außerdem haben wir viele verschiedene Zielgruppen, die jeweils eine andere Ansprache brauchen: Ein Tourist aus den USA hat einen anderen Zugang zum Thema als ein Student aus China oder die Mutter eines Opfers. Wir aber verstehen uns als einen Erinnerungsort für alle Gruppen.

Welche sind Ihre wichtigsten Zielgruppen?
Hannah Berger: Für uns sind verschiedene Zielgruppen wichtig, jede mit ihren Ansprüchen. Dazu gehören nationale und internationale Schülergruppen, viele aus dem europäischen Ausland. Dann nationale und internationale Touristen und natürlich die Berliner. 2014 hatten wir 2.800 Führungen, im vergangenen Jahr mehr als 3.000, davon 720 auf Englisch oder Französisch. Und bislang haben wir für 2016 nur in der Gedenkstätte Berliner Mauer, also ohne die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, bereits knapp 2.500 gebuchte Führungen, 2015 waren es 2.453.

Haben Sie bei der Kommunikation wegen der sensiblen Themen ein Vieraugenprinzip?
Hannah Berger: Grundsätzlich liegt die Verantwortung für die Kommunikation bei mir. Aber natürlich agieren der Direktor der Stiftung und ich gerade bei sensiblen Themen immer abgestimmt.

Wie finanzieren Sie sich?
Hannah Berger: Je zur Hälfte vom Land Berlin und dem Bund, da von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Unser institutioneller Haushalt beträgt derzeit etwa zwei Millionen Euro pro Jahr. Für Ausstellungen und Projekte beantragen wir immer wieder zusätzliche Mittel, so gab es zum Beispiel für die Erweiterung der Außenausstellung EU-Fördermittel.

Zwei Millionen hat so manches Unternehmen als reines Kommunikationsbudget…
Hannah Berger: Ja, und die haben vermutlich nicht alle knapp eine Million Besucher pro Jahr wie wir. Alle Mittel sind öffentliche Gelder, so können wir kostenlose Angebote machen, die jedem freistehen.

Wie vermittelt man kommunikativ historische Themen?
Hannah Berger: Indem man nicht nur einen Zugang anbietet. Und Nähe herstellt durch direkte Ansprache und die Schicksale der betroffenen Menschen. Gerade im Umgang mit Zeitzeugen ist uns die fachliche Begleitung sehr wichtig. Für Schüler ist zum Beispiel das Thema DDR oft ziemlich abstrakt. Eine Kollegin aus der politischen Bildung erzählte gerade, dass es fast immer so ist, dass Teilnehmer von Gruppenführungen, die nicht aus Berlin kommen, zu Beginn denken, es betrifft sie nicht. Sobald sie aber nachfragt, ob sie in der Familie jemanden haben, der von Flucht betroffen ist, gibt es immer mindestens einen, der die Hand hebt.

Und wie genau stellen Sie in der Kommunikation mit dem Besucher Nähe her?
Hannah Berger: Auch wenn unsere Zielgruppen unterschiedliche Erwartungen haben, möchten sich alle ein Bild von der Mauer machen, sie ist unser wichtigstes Objekt und beeindruckendstes Exponat. Und wir zeigen ja nicht nur die Originalmauer, sondern die komplette Anlage und Struktur in ihrer Tiefenstaffelung. Das ist ein ganzes System von Mauern, Absperrungen und Grenzelementen, die den Charakter der DDR-Diktatur deutlich machen: Sie war weltweit so ziemlich die einzige Mauer, die nicht gegen Invasoren von außen geplant war, sondern nach innen konstruiert wurde, um die Bewohner im Land zu halten. Denn bis zum August 1961 hatte die DDR bereits ein Sechstel ihrer Bevölkerung verloren.
Man bekommt eine Idee, was es für die Stadt bedeutete, diesen Todesstreifen zwischen Hinter- und Vorderlandmauer zu haben. Den Teil halten wir extra nicht zugängig, weil wir Wert auf Ruhe an diesem Ort legen, und die kann nur entstehen, wenn dort keine Massen durchströmen. Die Absperrung macht diesen Teil der Ausstellung besonders attraktiv. Und wir wissen aus der Besucherforschung, dass die Ruhe beim Betrachter etwas auslöst. Wir kommunizieren also auch über die Stille.

Foto: Hannah Berger (c) Julia Nimke
Der Todesstreifen mit Hinter- und Vorderlandmauer

Sie lassen den Ort für sich selbst sprechen?
Hannah Berger: Wir haben die Herausforderung, dass unsere Außenausstellung große Dimensionen hat und ein offener Raum ist. Das macht auch Sinn, wir können die Mauer ja nicht einmauern. Aber so haben wir auch eine kommunikative Herausforderung, weil wir nicht sagen können: Jeder, der kommt, den begrüßen wir mit einem Flyer zum Thema.
Die Informationen dorthin zu bringen, wo sie hingehören, ist nicht leicht. Wir haben jetzt eine mobile Webseite, mit der ich über das Gelände geführt werden kann.

Welche Rolle spielt die Ber­nauer Straße, an der entlang sich die Außenausstellung zieht?
Hannah Berger: Die Lage ist kein Zufall: Hier konnte Mauer erhalten werden, weil es bürgerschaftliches Engagement für Erinnerung und für eine Gedenkstätte gab. In dieser Straße sind viele his­torische Ereignisse passiert. Alles, was wir außen zeigen, hat mit Ereignissen direkt in dieser Straße zu tun. Die war geteilt, eine Seite lag in Ost-, die andere in Wert-Berlin. Daher auch die vielen Bilder, auf denen Menschen aus dem Fenster springen: weil sie in dem Moment ihrer Flucht in der Luft bereits in West-Berlin sind. Darum geht es: Geschichte dort zu erzählen, wo sie passiert ist.

Nutzen Sie die einzelnen Ausstellungsobjekte auch als Kommunikationskanal?
Hannah Berger: Ja, im Außengelände sind überall nummerierte Ereignismarken im Boden eingelassen. Über die mobile Webseite oder einen Fly­er kann sich der Besucher informieren, was dort passierte. Am Punkt C404 steht dann zum Beispiel: „Am Morgen gegen 3.20 Uhr des 23. Juni 1971 wurde ein Mann bei einem Fluchtversuch an der Brunnenstraße festgenommen. Die Pos­ten verhinderten die Flucht, indem sie auf den Flüchtling schossen.“ Das macht deutlich, wofür die Mauer stand.

Die lakonische Sprache klingt wie aus einem Einsatzbericht. Soll sie extra schockieren?
Hannah Berger: Bei unseren Themen verbietet sich blumige Sprache ebenso wie eine zu technokratische. Wir sind ein Ort der seriösen Information, auch als Auskunftsgeber. Wir haben eine Verantwortung für Sachlichkeit.

Wenn das Bewahren thematisch im Vordergrund steht, die Welt aber immer agiler wird – wie stellen Sie kommunikativ den Zusammenhang zum Heute her?
Hannah Berger: Zu uns gehört ja auch das ehemalige Notaufnahmelager in Marienfelde. Die eine Hälfte ist Gedenkstätte, aber die andere wird heute als Flüchtlingsunterkunft genutzt, da leben jetzt Geflüchtete, vor allem Familien aus Syrien.
In der Bernauer Straße steht die Mauer im Mittelpunkt. Hier kann man unsere Grundbotschaft erleben: Demokratie ist nicht selbstverständlich, aber sie ist möglich. Darin stecken zwei Seiten: die Geschichte der Teilung der Stadt 1961, aber auch die Botschaft von 1989: von einer friedlichen Revolution, bei der kein Schuss fiel. Mit dem glücklichen Ende ist es einfacher, die Botschaft als großes optimistisches Zeichen zu kommunizieren. Das sehen wir täglich bei Besuchern aus Ländern, die sich aktuell mit Demokratiebestrebungen auseinandersetzen, wie Korea oder die Länder des Arabischen Frühlings.

Foto: (c) Julia Nimke
Bröckelnder Beton als Sinnbild der Botschaft „Demokratie ist möglich“

Sie müssen also möglichst viele Touchpoints schaffen?
Hannah Berger: Ja, wir haben mit Häusern, der Außenausstellung und Veranstaltungen einen gro­ßen Kommunikationsmix. Für uns ist es wichtig, jedes Jahr thematische Schwerpunkte zu setzen.

Wonach richten die sich?
Hannah Berger: Die Lage von Gedenktagen ist für unsere Jahresplanung extrem wichtig. Wir richten die Veranstaltungen für den Tag des Mauerbaus ebenso aus wie die für den Fall. Im 25. Jahr des Mauerfalls war die Kommunikation zum 9. November das wichtigste Großprojekt im ganzen Jahr. Das war nicht nur die Gedenkveranstaltung, sondern auch die Wiedereröffnung unseres Dokumentationszentrums nach der Renovierung mit einer neuen Dauerausstellung. Sie wurde durch Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet. Das war Teil einer ARD-Live-Sendung.
Aber wir nutzen Jahrestage auch, um andere Aspekte unserer Arbeit in den Vordergrund zu rücken. „50 Jahre Tunnel 57“ interessiert auf den ersten Blick nicht viele außerhalb unserer Kern-Community, aber das Thema der Tunnelfluchten erzielt eine große Breitenwirkung, weil es spannend ist. So können wir über einen historischen Teilaspekt das Gesamte beleuchten.

Wie setzen Sie in der Kommunikation machtvolle Bilder ein jenseits vom bekannten „Mauersprung“ des Grenzsoldaten Conrad Schumann?
Hannah Berger: Ausgerechnet für das Foto haben wir keine umfassenden Bildrechte. (lacht) Machtvolle Bilder sind die der Häuser, deren Außenfassade Teil der Mauer waren, und der Menschen, die sie verlassen. Außerdem die Porträts der Todesopfer. Wenn man sie nebeneinander betrachtet, hat man eine Vorstellung, wer diese Menschen waren – die Mehrzahl sind junge Männer. Das hat ja auch eine Aussage: Viele Todesopfer waren junge Erwachsene, die ihr Leben noch vor sich hatten. Eine Brücke, die man kommunikativ gut schlagen kann zu Schülern.

Das Wort „Mauer“ allein hat schon eine große Wirkung. Welche machtvollen anderen nutzen Sie noch in der Kommunikation?
Hannah Berger: Wordings sind für uns sehr wichtig, da gibt es unter Historikern große Diskussionen: Heißt es nun „Wende“ oder „Friedliche Revolution“ – das ist ja auch politisch konnotiert.

Was nutzen Sie?
Hannah Berger: Wir sind bei der „Friedlichen Revolution“. Für uns steht im Mittelpunkt, dass sie von Menschen herbeigeführt wurde, das wird deutlicher als in „Wende“. Ein anderes praktisches Beispiel: Die Stiftung Berliner Mauer wurde 2009 gegründet. Es gab im Zuge der Erweiterung der Gedenkstätte viele Diskussionen darüber, ob die Fläche draußen „Open Air“ heißen soll oder „Außen­ausstellung“. Da gab es diejenigen, die schon lange dabei waren, und neu Hinzugekommene. Die, die Kommunikation machen, und die, die es einfach haben wollten. Das brauchte viele Gespräche.

Und wie hieß es am Ende?
Hannah Berger: Außenausstellung.

Foto: Hannah Berger (c) Julia Nimke
Hannah Berger zwischen Ost und West

Welche Rolle spielt für Ihre Arbeit die Digitalisierung?
Hannah Berger: Eine große. Wir haben viel Bewegtbild in der Ausstellung. Unsere mobile Webseite ist wichtig, ebenso Social Media. Da konzentrieren wir uns auf Facebook. Wir würden das gern ausbauen, wobei sich Twitter sicher für uns weniger anbietet als zum Beispiel Instagram.

Kommt bei Facebook viel Inter­aktion zustande?
Hannah Berger: Wir sehen unsere feste Community, einige kommentieren jeden Post. Heute spielt Interaktivität in der Kommunikation eine große Rolle, aber mit Blick auf die Opfer können wir kein lustiges Gewinnspiel bei Facebook starten. Toll lief Ende Juni ein Video zum Transport eines alten Grenzwachturms, den wir auf unserem Gelände lagern.

Und welche Themen interessieren Medien besonders?
Hannah Berger: Gedenktage, die Vermittlung von Zeitzeugen und neue, unbekannte Geschichten. Die Recherchen nach bisher unbekannten Todesopfern läuft ja bis heute.
Spannend für Journalisten ist auch, wenn Historisches Stadtgeschichte erklärt. 2015 meldete sich bei uns jemand, der ein Fotoalbum zur Teilung erstellt hatte und uns schenkte. Die Aufnahmen waren ein Schatz, weil der Mann über Jahre hinweg die Mauer von Osten aus fotografiert hat – das war ja nicht erlaubt. Wir haben daraus eine eigene Publikation gemacht mit dem Titel „Fotografieren verboten“, dazu ein Pressegespräch mit dem Zeitzeugen.

Gab es auch schon skurrile Medienanfragen?
Hannah Berger: Bei der Erteilung von Drehgenehmigungen gibt es manchmal Anfragen ohne Respekt: Als jemand Werbung damit machen wollte, dass er lustige Produkte über die Mauer wirft, fanden wir das nicht so witzig.

Und welches ist Ihr nächstes Projekt?
Hannah Berger: Das sind gleich drei: Am 13. August begehen wir den 55. Jahrestag des Mauerbaus. Im Herbst erscheint ein Buch über die Todes­opfer, die zwischen 1949 und 1961, also vor dem Mauerbau, erschossen wurden und an die man zunächst gar nicht denkt. Und wir treiben den WLAN-Ausbau auf dem Gelände voran, was nicht unkompliziert wird: Zum einen wünschen sich die Besucher natürlich, sich auch digital bei uns frei zu bewegen, andererseits müssen wir dafür sorgen, dass niemand auf dem Gelände picknickt und gleichzeitig bei ­Snapchat unterwegs ist. Vergnügen im Todesstreifen – das verbietet sich.

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Macht. Das Heft können Sie hier bestellen.

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